Lieblingsstellen suchen Entdecker

Rezensiert von Brigitte Neumann |
Die drei Bände der historisch-kritische Gesamtausgabe des Werkes von Wilhelm Busch wiegen insgesamt dreizehneinhalb Kilo und zählen zusammen 2850 Seiten. Wer's zum Einstieg leichter mag, der sei auf ein Hörbuch verwiesen: Otto Sander und Götz Alsmann lesen ihre Lieblingsstellen aus dem Werk des urdeutschen Desillusionisten.
Sie lesen abwechselnd oder dialogisch, robben mit der Stimme dicht am Boden, hecheln, predigen, stoßen spitze Schreie aus. Es ist eine Wonne, zuzuhören. Sowohl dem 65-jährigen Theaterschauspieler Otto Sander, der in seiner Jugend von der Schauspielschule flog wegen "ungebührlichen Verhaltens", was ihn den Lausbuben des dichtenden Malers Wilhelm Busch ein wenig näher rückt. Aber auch dem sehr beweglichen Tenor Götz Alsmanns hört man gerne zu. Diesem kulturell ausgesprochen bewanderten Tollenträger, Pianist, Sänger, promovierten Musikwissenschaftler, Grimme-Preisträger, Träger des Jazz-Awards. Es gibt ja kaum etwas, was der 49-jährige Medienmulti noch nicht angepackt hätte - außer Wilhelm Busch.

"Ganz geschwinde, eins, zwei, drei,
Schneiden sie sich Brot entzwei,
In vier Teile, jedes Stück
Wie ein kleiner Finger dick.
Diese binden sie an Fäden,
übers Kreuz, ein Stück an jeden,
Und verlegen sie genau
In den Hof der guten Frau. –
Kaum hat dies der Hahn gesehen,
Fängt er auch schon an zu krähen:
Kikerikie! Kikerikihi!
Tak tak tak - da kommen sie."

Wilhelm Busch, der nie eine Familie gründete, schrieb 1865 das erfolgreichste Kinderbuch der Welt; es wurde übersetzt in 40 Sprachen, inklusive Latein und Blindenschrift. Wir hören Götz Alsmann mit der Fabel über Witwe Bolte, deren ganzer Lebenszweck sich in der Sorge ums Federvieh erschöpft.

Busch hatte übrigens kein Talent, aus seinen erfolgreichen Bilderbögen und Gedichten für sich ordentlichen Profit zu schlagen. Max und Moritz verkaufte er an den Verleger Kaspar Braun für das Pauschalhonorar von 1000 Gulden. Der machte damit das Geschäft seines Lebens.

Nicht nur Verleger Braun nervte, summa summarum bereiteten die Menschen im Allgemeinen Busch ohnehin von Anfang an Verdruss. Seinen Vater beschreibt er als hartherzig und kleinlich, die Mutter als fromm und fleißig. Mit neun wird er von den Eltern in die Obhut eines Pastorenonkels gegeben. Zwar ist der Onkel freundlich, aber Wilhelm fühlt sich verstoßen. Ab da sieht er seine Familie kaum noch.

"Ich kam in diese Welt herein,
Mich baß zu amüsieren,
Ich wollte gern was Rechtes sein
Und musste mich immer genieren.
Oft war ich hoffnungsvoll und froh,
Und später kam es doch nicht so."

Buschs Menschenscheu und Skepsis, die im Elternhaus begründet wurde, dehnt sich später, in den Jahren seines Ruhmes, auf Journalisten, Verleger und andere Würdenträger aus, die dem populären Künstler trotzdem immer wieder gerne ihre Aufwartung machen.

Hier ein Ausschnitt aus seinem letzten, zu Lebzeiten veröffentlichten Werk "Maler Kleksel", in dem er einen sarkastischen Blick auf die Welt der Honoratioren wirft.

"Vor allem der Politikus
Gönnt sich der Rede Vollgenuss;
Und wenn er von was sagt, so sei’s,
Ist man auch sicher, dass er’s weiß.

Doch andern, darin mehr zurück,
Fehlt dieser unfehlbare Blick.
Sie lockt das zartere Gemüt
Ins anmutreiche Kunstgebiet,
Wo grade, wenn man nichts versteht,
Der Schnabel um so leichter geht.

Fern liegt es mir, den Freund zu rügen,
Dem Tee zu kriegen ein Vergnügen
Und im Salon mit geistverwandten
Ästhetisch durchgeglühten Tanten
Durch Reden bald und bald durch Lauschen
Die Seelen säuselnd auszutauschen."

Im so genannten Hausschatz des deutschen Humors steht Wilhelm Busch noch immer an erster Stelle. Dieser Rang, den er seit gut 130 Jahren behauptet, wird ihm auch so schnell keiner streitig machen können, denn seine Knittelverse sind längst Bestandteil des 'kulturellen Volksvermögens'. Noch vor Goethe und Schiller ist Wilhelm Buch der Dichter der Deutschen, aus dessen Werk die meisten Zitate als geflügelte Worte in den Sprichwörtervorrat eingegangen sind.

Wie kein anderer hat es Wilhelm Busch verstanden, mit den Ängsten und Überangepasstheiten der deutschen Spießerseele seinen ernsten Spaß zu treiben. Dass die Spießer ihn dafür lieb hatten, mag paradox erscheinen. Aber wahrscheinlich hat Theodor Heuss Recht, der einmal schrieb, das liege an der "unpathetischen Schlagkraft seiner Kritik". Wahrscheinlich liegt es aber auch daran, dass Busch glaubwürdig wirkt, weil er sich gerne selbst auf die Schippe nahm.

Nach der 60-Minuten-Busch-Performance von Götz Alsmann und Otto Sander will man mehr vom urdeutschen Desillusionisten lesen und sehen. Die CD wirkt rundherum animierend: Wie wär's, wieder mal selbst vorzulesen? Zum Beispiel aus dem dreibändigen Gesamtwerk von Wilhelm Busch. Da warten noch sehr viele Lieblingsstellen auf ihre Entdecker.

Götz Alsmann und Otto Sander: Max und Moritz und andere Lieblingswerke von Wilhelm Busch
Hörbuch-CD, Tacheles: Hamburg 2006, 62 Minuten