Liebesqualen und Liebesfreuden

12.02.2007
Warum sollten wir heute Ronsard lesen? Weil seine Gedichte wunderschön sind. Weil ihre Lektüre ein musikalisch-sprachlicher Genuss ist. Und weil diese Gedichte auf heute ungewohnte, immer wieder überraschende und doch oft unmittelbar anrührende Weise über die Liebe sprechen. Jetzt liegt eine berühmte Sammlung von Liebesgedichten des französischen Renaissance-Dichters vor.
"Amoren für Cassandre": Der kleine Berliner Elfenbein Verlag legt mit diesem Band eine berühmte Sammlung von Liebesgedichten des französischen Renaissance-Dichters Pierre de Ronsard vor. 229 Sonette, außerdem einige Elegien, Stanzen und Chansons, werden dem deutschsprachigen Publikum in einer schönen Ausgabe zugänglich gemacht — in einer sehr gut lesbaren, sehr klangvollen deutschen Übersetzung von Georg Holzer, die Rhythmus und Reim respektiert und gelungene sprachliche Wendungen und Bilder findet. Die beigegebenen, modernisierten französischen Originaltexte erhöhen für diejenigen Leserinnen und Leser, die des Französischen mächtig sind, mit ihrer Klangfülle den Lesegenuss noch erheblich.

Warum sollten wir heute Ronsard lesen? Weil seine Gedichte wunderschön sind. Weil ihre Lektüre ein musikalisch-sprachlicher Genuss ist. Und weil diese Gedichte auf heute ungewohnte, immer wieder überraschende und doch oft unmittelbar anrührende Weise über die Liebe sprechen.

Pierre de Ronsard (1524—1585), der humanistisch gebildete Kleriker, der beinahe Diplomat geworden wäre und die höfische Welt gut kannte, schrieb in einer Zeit religiöser Unruhen, der Bürgerkriege und Kriege — und des Aufblühens der humanistischen Kultur in Frankreich. Ronsard gehört zu den bedeutenden französischen Dichtern; er zählte zur Dichterschule der "Pléiade", benannt nach dem Siebengestirn, die sich auf den Dichter Petrarca berief und sich vehement für eine Dichtung in Volkssprache (statt in Latein) einsetzte. Die "Amours de Cassandre" erschienen 1552, wurden immer wieder erweitert und schließlich durch Zyklen von Liebesgedichten an andere Frauen fortgesetzt: Ronsard war nicht einmal lyrisch einer einzigen Frau treu, anders als Dante oder Petrarca, seine großen Vorläufer.

Literatur war damals nicht vorrangig eine Frage von Inspiration und Genie, sondern von Bildung, Kennerschaft und Brillanz. Großes Vorbild waren die Antike und die Dichtung der italienischen Renaissance. Franceso Petrarcas (1304—1374) Liebesgedichte an Laura, die er in 366 Gedichten anbetet, verklärt und von der irdischen Geliebten zur Vermittlerin göttlicher Liebe werden lässt, setzten Maßstäbe für die Liebesdichtung ganz Europas bis weit ins 19. Jahrhundert hinein (Petrarkismus). Das Sonett mit seiner kurzen, strengen Form, das dennoch unendlich viele Variationen zulässt und einen betörenden Klang entfaltet (sonare = klingen), wird zu der Gattung der Liebeslyrik schlechthin.
Wie andere Dichter des europäischen Petrarkismus entwickelt auch Ronsard auf seine eigene Weise die Ideen und lyrischen Redeweisen Petrarcas weiter, spitzt sie zu, entwickelt Scharfsinn und Witz und auch immer mehr Sinnlichkeit in der Beschreibung der Geliebten und ihrer Schönheit. Die Gefühle des Liebenden werden ausführlich beschrieben, ihr Auf und Ab, die Sehnsucht und die Eifersucht. Diese Lyrik ist weltlich. Man kann sie als eine große Verführung lesen, und die Geliebte ist keineswegs mehr grundsätzlich unerreichbar.

Nicht nur die Form des Sonetts, auch die Bilder, mit denen Schönheit, das Entstehen der Liebe, die Liebesqualen und Liebesfreuden beschrieben werden, sind kodifiziert, ebenso die unzähligen mythologischen Anspielungen oder das Prinzip der Wortspielereien mit dem Namen der Geliebten – aber alles das wird auf vielfältigste Weise variiert. Und obwohl diese Gedichte hochartifiziell sind, "funktionieren" sie doch auch, wenn man sie so lesen möchte, als unmittelbarer Gefühlsausdruck.

Die heutigen Lesern nicht immer auf Anhieb verständlichen mythologischen Anspielungen und geistreichen sprachlichen Raffinessen werden in den gut verständlichen, auf das Wesentliche reduzierten Anmerkungen der Romanistin Carolin Fischer erläutert. Ein kurzes Nachwort gibt Informationen zum Leben des Dichters. Ich hätte mir freilich ein paar Sätze über den Übersetzer und die Übersetzung gewünscht.

Fazit: Ein rundum gelungenes Buch. Dem Verlag sei Dank für seinen (nicht zum ersten Mal bewiesenen) Mut, heutzutage Lyrik —und dazu noch so alte Lyrik — zu einem erschwinglichen Preis sowohl für ein fachlich vorgebildetes als auch ein breiteres Publikum auf den Markt zu bringen und auf diese Weise die Lektüre wunderbarer Texte zu ermöglichen.

Rezensiert von Gertrud Lehnert

Pierre de Ronsard: Amoren für Cassandre. Le Premier Livre des Amours Französisch — Deutsch, übersetzt von Georg Holzer, herausgegeben von Carolin Fischer.
Elfenbein Verlag, Berlin 2006, 236 Seiten, 24 Euro