Liebeserklärungen an die Musik
17.09.2010
16 Stimmen, 16 Musikliebhaber: Prominente Autoren verfassen Liebeserklärungen an die Musik. Dieses Projekt war für Herausgeberin Elke Heidenreich ein besonderes Herzensanliegen.
"Zwei Herzen im Dreivierteltakt" und: "Auch Du wirst mich einmal betrügen, auch Du!" Ich erinnere mich daran. Wie ich vor dem Tod meines Vaters in der großen Diele auf meinem Dreirad herumfuhr, drei Jahre alt, singend: "Ade, mein kleiner Gardeoffizier, ade, nun vergiß´ mich nicht, nun vergiß´ mich nicht."
Kindheitserinnerungen an die erste Begegnung mit Musik sind allgegenwärtig in diesem Hörbuch. Die wenigsten der hier versammelten Autoren aber lassen die Lieder auch erklingen, die sich so früh in ihr Gedächtnis eingebrannt haben. Der elsässische Künstler und Schriftsteller Tomi Ungerer hat seinen Essay "Zwischen Lärm und Klang" genannt. Er würdigt darin auch das, was selten mit Musik assoziiert wird: den Schrei eines Neugeborenen oder die akustische Schönheit von Wind und Regen. Ungerer beschreibt aber auch wichtige Zäsuren seines Lebens, die sich durch Musik manifestiert haben: eine davon das Ende des 2.Weltkriegs, als er einem Organisten lauscht beim Üben in einer zerbombten Kirche.
"Das Stück, das er spielte, hat sich mir tief eingeprägt. Erst Jahre später konnte ich es identifizieren. Es war Johann Sebastian Bachs Kantate 'Schafe mögen sicher weiden'."
16 Stimmen, 16 Musikliebhaber - vom Sänger der Toten Hosen, Campino, bis hin zum Publizisten Axel Hacke sind auf der Dreier-CD-Box "Ein Traum von Musik" zu hören. So unterschiedlich ihr Hintergrund, so unterschiedlich klingen ihre Beiträge. Sie variieren in der Länge, in der Stimmung, im Ton, – und spiegeln in den jeweiligen Vorlieben für Genres, Stile oder Epochen den unendlichen Kosmos von Musik. Dass Leute vom Fach – Sänger wie André Heller oder Opernregisseure wie Hans Neuenfels – auf dieser CD eindringliche Worte finden, war zu ahnen. Die große Überraschung sind Geschichten wie die vom Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, dessen "Bekenntnisse eines Unmusikalischen" einen humorvollen Kontrapunkt setzen zum sonst vorherrschenden elegischen Ton. Nicht minder witzig der Schriftsteller Jan Weiler, der mit "Hüsteln bei Horowitz" die Auswirkungen fanatischer Musik-Liebe der Eltern auf ihre wehrlosen Kinder beschreibt. Ganz anderer Art die folgenden "Musikalischen Offenbarungen":
"Meine erste bewusste musikalische Begegnung war Zarah Leander – aus dem Volksempfänger. Es waren Liebeslieder, und ich erlebte plötzlich diffuses Heimweh und offensichtlich verbotene Sehnsucht, weil meine Mutter das Radio immer abdrehte, wenn ich wie gebannt dieser Musik lauschte. Sie erklärte, das sei nichts für mich. Die sinnliche Musik, die tiefe Frauenstimme verwirrten meine Sinne total und machten mich gleichzeitig unglücklich."
Heiner Geißler erlebte die Macht der Musik durch den Volksempfänger. Maren Kroymann - leider die einzige Frau auf diesem Hörbuch – verfolgte die Jahreshitparaden im amerikanischen Sender AFN. Reinhardt Mey verehrte den alten "Grundig-Mittel-und Langwellen-Empfänger" –ihre Liebeserklärungen an die Musik sind auch gleichzeitig solche ans Radio. Roger Willemsen hörte es als kleiner Junge mit seiner Großmutter:
"Wir saßen - mit einem Altersunterschied von etwa 75 Jahren- schweigend davor und waren, was das Radio auch war: Weltempfänger. Einmal ist auf diesem Wege eine Stimme in unser Zimmer gekommen, die mit ihren losen Enden in den Luftraum flatterte und tremolierte wie ein Sperlingsschwarm. Es war die Stimme, die meine Großmutter rührte, weil sie die Zeit trug wie ein altes Kleid. So klang einfach keine Stimme der Gegenwart mehr, so inständig und dabei so leicht, und es war die Stimme, die mich rührte, weil ich erst durch sie erfuhr, dass Stimmen so sein können: nicht groß wie in der Oper, nicht virtuos wie in der Koloratur, sondern wahrhaftig wie das Atmen, ohne hörbare Technik, voller Schmelz, elegant, sogar süß, aber dabei doch rücksichtslos durch alles hineingreifend, was an konventionellem Fühlen zur Verfügung stand."
Sehnlichst – aber leider vergeblich- verlangt es den Hörenden nach dem so wunderbar beschriebenen Klang dieser magischen Stimme. Sie gehörte Billie Holiday. Das Fehlen von Musik, von Klangbeispielen ist ein schmerzlicher Mangel dieses Hörbuchs. Aber man kann es auch umgekehrt sehen: Es ist zugleich eine einzige fantastische Einladung, Musik wieder und neu, und bewusst zu hören.
Besprochen von Olga Hochweis
"Ein Traum von Musik - 46 Liebeserklärungen"
Hg. Elke Heidenreich
Random House, 3 CDs
210 Minuten, 19,99 Euro
Kindheitserinnerungen an die erste Begegnung mit Musik sind allgegenwärtig in diesem Hörbuch. Die wenigsten der hier versammelten Autoren aber lassen die Lieder auch erklingen, die sich so früh in ihr Gedächtnis eingebrannt haben. Der elsässische Künstler und Schriftsteller Tomi Ungerer hat seinen Essay "Zwischen Lärm und Klang" genannt. Er würdigt darin auch das, was selten mit Musik assoziiert wird: den Schrei eines Neugeborenen oder die akustische Schönheit von Wind und Regen. Ungerer beschreibt aber auch wichtige Zäsuren seines Lebens, die sich durch Musik manifestiert haben: eine davon das Ende des 2.Weltkriegs, als er einem Organisten lauscht beim Üben in einer zerbombten Kirche.
"Das Stück, das er spielte, hat sich mir tief eingeprägt. Erst Jahre später konnte ich es identifizieren. Es war Johann Sebastian Bachs Kantate 'Schafe mögen sicher weiden'."
16 Stimmen, 16 Musikliebhaber - vom Sänger der Toten Hosen, Campino, bis hin zum Publizisten Axel Hacke sind auf der Dreier-CD-Box "Ein Traum von Musik" zu hören. So unterschiedlich ihr Hintergrund, so unterschiedlich klingen ihre Beiträge. Sie variieren in der Länge, in der Stimmung, im Ton, – und spiegeln in den jeweiligen Vorlieben für Genres, Stile oder Epochen den unendlichen Kosmos von Musik. Dass Leute vom Fach – Sänger wie André Heller oder Opernregisseure wie Hans Neuenfels – auf dieser CD eindringliche Worte finden, war zu ahnen. Die große Überraschung sind Geschichten wie die vom Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, dessen "Bekenntnisse eines Unmusikalischen" einen humorvollen Kontrapunkt setzen zum sonst vorherrschenden elegischen Ton. Nicht minder witzig der Schriftsteller Jan Weiler, der mit "Hüsteln bei Horowitz" die Auswirkungen fanatischer Musik-Liebe der Eltern auf ihre wehrlosen Kinder beschreibt. Ganz anderer Art die folgenden "Musikalischen Offenbarungen":
"Meine erste bewusste musikalische Begegnung war Zarah Leander – aus dem Volksempfänger. Es waren Liebeslieder, und ich erlebte plötzlich diffuses Heimweh und offensichtlich verbotene Sehnsucht, weil meine Mutter das Radio immer abdrehte, wenn ich wie gebannt dieser Musik lauschte. Sie erklärte, das sei nichts für mich. Die sinnliche Musik, die tiefe Frauenstimme verwirrten meine Sinne total und machten mich gleichzeitig unglücklich."
Heiner Geißler erlebte die Macht der Musik durch den Volksempfänger. Maren Kroymann - leider die einzige Frau auf diesem Hörbuch – verfolgte die Jahreshitparaden im amerikanischen Sender AFN. Reinhardt Mey verehrte den alten "Grundig-Mittel-und Langwellen-Empfänger" –ihre Liebeserklärungen an die Musik sind auch gleichzeitig solche ans Radio. Roger Willemsen hörte es als kleiner Junge mit seiner Großmutter:
"Wir saßen - mit einem Altersunterschied von etwa 75 Jahren- schweigend davor und waren, was das Radio auch war: Weltempfänger. Einmal ist auf diesem Wege eine Stimme in unser Zimmer gekommen, die mit ihren losen Enden in den Luftraum flatterte und tremolierte wie ein Sperlingsschwarm. Es war die Stimme, die meine Großmutter rührte, weil sie die Zeit trug wie ein altes Kleid. So klang einfach keine Stimme der Gegenwart mehr, so inständig und dabei so leicht, und es war die Stimme, die mich rührte, weil ich erst durch sie erfuhr, dass Stimmen so sein können: nicht groß wie in der Oper, nicht virtuos wie in der Koloratur, sondern wahrhaftig wie das Atmen, ohne hörbare Technik, voller Schmelz, elegant, sogar süß, aber dabei doch rücksichtslos durch alles hineingreifend, was an konventionellem Fühlen zur Verfügung stand."
Sehnlichst – aber leider vergeblich- verlangt es den Hörenden nach dem so wunderbar beschriebenen Klang dieser magischen Stimme. Sie gehörte Billie Holiday. Das Fehlen von Musik, von Klangbeispielen ist ein schmerzlicher Mangel dieses Hörbuchs. Aber man kann es auch umgekehrt sehen: Es ist zugleich eine einzige fantastische Einladung, Musik wieder und neu, und bewusst zu hören.
Besprochen von Olga Hochweis
"Ein Traum von Musik - 46 Liebeserklärungen"
Hg. Elke Heidenreich
Random House, 3 CDs
210 Minuten, 19,99 Euro