Liebeserklärung durch die Blume
Ein liebevoll gestalteter Bildband aus dem Delius Klasing Verlag präsentiert auf satten 576 Seiten die wilden Gewächse Europas. Dem Autorenpaar gelingt es, Seitenaspekte wie die volksmedizinische Bedeutung von Pflanzen mit botanischem Sachwissen zu verbinden.
Ein Herbarium ist eine Sammlung getrockneter und gepresster Pflanzen und Pflanzenteile für wissenschaftliche Zwecke. Normalerweise wird der Vergänglichkeit zarter Botanik entgegen gewirkt, indem Blätter, Blüten und Stängel aufwendig getrocknet, gepresst und anschließend auf Herbarbögen aufgeklebt werden. Ein neuer, liebevoll gestalteter Bildband aus dem Delius Klasing Verlag (Pierre Vignes, Délia Vignes: "Faszinierende Wildpflanzen") nimmt seinen Leserinnen und Lesern diese Arbeit ab und präsentiert - in Herbariums-Optik auf satten 576 Seiten - die wilden Gewächse Europas.
Tiefschwarz glänzt das Papier. Bis in die feinsten Details sind darauf Blätter, Härchen, Windungen und Ausläufer der 275 ausgewählten Arten zu betrachten, darunter Bäume, Sträucher, Blümchen am Wegesrand und sogar Wasserpflanzen. Hübsch und gefährlich präsentiert sich zum Beispiel die "Brennende Waldrebe", in der Fachsprache Clematis flammula aus der Familie der Ranunculaceae. Im flauschig-silbrigen Haarteppich ihrer locker verzweigten Rispen liegt eine hellrote, sternförmige Blüte. Ihr scharf schmeckender Pflanzensaft enthält das Gift Protoanemonin. In Kontakt mit den Schleimhäuten löst es starke Reizungen aus. Verschluckt man den Pflanzensaft gar, kann er das zentrale Nervensystem lähmen und sogar den Tod herbeiführen. Die frühere Volksmedizin verwendete die Flammende Waldrebe mutig zur Linderung von Rheuma.
Mühelos gelingt es dem Autorenpaar, Seitenaspekte - Namenskunde, volksmedizinische Bedeutung - mit botanischem Sachwissen zu verbinden. Wer möchte, kann altes Schulwissen auffrischen, Spross- und Zwiebelknollen unterscheiden lernen, stängelbürtige, wirtelige und quirlige Blattstellungen, gezähmte, gekerbte und gebuchtete Blattränder, Trauben, Dolden und Ähren. Glossar, Register und eine Tabelle der Blütenformeln aller vorgestellten Pflanzen runden die Sachinformationen ab.
Alles das wird nicht in steriler Sachbuch-Ästhetik präsentiert, sondern das Layout erschafft wunderschön eine Welt der an die Wand gehefteten Zettel, handschriftlich gefüllten Notizbücher und alten Pergamentpapieren mit Blumenzeichnungen. Eine altertümliche Ruhe und Gelassenheit strahlt er aus, dieser optische Kosmos von Botanisiertrommel, Pflanzenpresse und überquellenden Holzschubladen. Visuelles Herzstück sind die großformatigen Fotografien - Pendants der Herbarbögen - , die jeweils die gesamte rechte Buchseite füllen und die Pflanzen und ihre Organe auf schwarzem Grund leuchten lassen.
Natürlich ist der Atlas nicht dazu gedacht, in den Rucksack gepackt zu werden und bei botanischen Exkursionen Bestimmungsübungen anzuleiten. Dazu ist er schlicht zu schwer, aber auch nicht vollständig genug. Algen, Flechten, Moose und Schachtelhalme beispielsweise wurden nicht berücksichtigt. Die Autoren verfolgen ein anderes Ziel: Eine Liebeserklärung möchten vorlegen, an eine Botanik diesseits von Gen-Markern und Biochemie. Das gelingt ihnen mit Bravour.
Besprochen von Susanne Billig
Pierre Vignes/Délia Vignes: Faszinierende Wildpflanzen
Übersetzung von Christine und Markus Mössel
Verlag Delius Klasing, Bielefeld 2010
576 Seiten, 1315 Farbfotos, 49,90 Euro
Tiefschwarz glänzt das Papier. Bis in die feinsten Details sind darauf Blätter, Härchen, Windungen und Ausläufer der 275 ausgewählten Arten zu betrachten, darunter Bäume, Sträucher, Blümchen am Wegesrand und sogar Wasserpflanzen. Hübsch und gefährlich präsentiert sich zum Beispiel die "Brennende Waldrebe", in der Fachsprache Clematis flammula aus der Familie der Ranunculaceae. Im flauschig-silbrigen Haarteppich ihrer locker verzweigten Rispen liegt eine hellrote, sternförmige Blüte. Ihr scharf schmeckender Pflanzensaft enthält das Gift Protoanemonin. In Kontakt mit den Schleimhäuten löst es starke Reizungen aus. Verschluckt man den Pflanzensaft gar, kann er das zentrale Nervensystem lähmen und sogar den Tod herbeiführen. Die frühere Volksmedizin verwendete die Flammende Waldrebe mutig zur Linderung von Rheuma.
Mühelos gelingt es dem Autorenpaar, Seitenaspekte - Namenskunde, volksmedizinische Bedeutung - mit botanischem Sachwissen zu verbinden. Wer möchte, kann altes Schulwissen auffrischen, Spross- und Zwiebelknollen unterscheiden lernen, stängelbürtige, wirtelige und quirlige Blattstellungen, gezähmte, gekerbte und gebuchtete Blattränder, Trauben, Dolden und Ähren. Glossar, Register und eine Tabelle der Blütenformeln aller vorgestellten Pflanzen runden die Sachinformationen ab.
Alles das wird nicht in steriler Sachbuch-Ästhetik präsentiert, sondern das Layout erschafft wunderschön eine Welt der an die Wand gehefteten Zettel, handschriftlich gefüllten Notizbücher und alten Pergamentpapieren mit Blumenzeichnungen. Eine altertümliche Ruhe und Gelassenheit strahlt er aus, dieser optische Kosmos von Botanisiertrommel, Pflanzenpresse und überquellenden Holzschubladen. Visuelles Herzstück sind die großformatigen Fotografien - Pendants der Herbarbögen - , die jeweils die gesamte rechte Buchseite füllen und die Pflanzen und ihre Organe auf schwarzem Grund leuchten lassen.
Natürlich ist der Atlas nicht dazu gedacht, in den Rucksack gepackt zu werden und bei botanischen Exkursionen Bestimmungsübungen anzuleiten. Dazu ist er schlicht zu schwer, aber auch nicht vollständig genug. Algen, Flechten, Moose und Schachtelhalme beispielsweise wurden nicht berücksichtigt. Die Autoren verfolgen ein anderes Ziel: Eine Liebeserklärung möchten vorlegen, an eine Botanik diesseits von Gen-Markern und Biochemie. Das gelingt ihnen mit Bravour.
Besprochen von Susanne Billig
Pierre Vignes/Délia Vignes: Faszinierende Wildpflanzen
Übersetzung von Christine und Markus Mössel
Verlag Delius Klasing, Bielefeld 2010
576 Seiten, 1315 Farbfotos, 49,90 Euro