Liebe und Diskurse

Ulrich Peltzer hat sich mit seinen hochkomplexen, die aktuellen Bewusstseinsstrukturen reflektierenden Romanen einen großen Namen gemacht, er hat bedeutende Literaturpreise erhalten - auffällig ist aber, dass er auch spannend erzählen und Plots bauen kann. Mit "Teil der Lösung" scheint er auf den ersten Blick sogar an seinen flotten Erstlingsroman "Die Sünden der Faulheit" anzuknüpfen: eine Gegenwartsgeschichte aus Berlin mit Thrillerelementen und einem für deutsche Texte ungewohnten Drive, irgendwo zwischen Don DeLillo und zeitlosen Schwarzweißfilmen angesiedelt.
Peltzer ist ein politischer Autor, der Wert auf die soziale Situation seiner Figuren legt und unter der Hand auch eine aktuelle Gesellschaftsdiagnose mitliefert. Hauptfigur ist Christian, um die 40 Jahre alt, einer der typischen postakademischen Existenzen unserer Tage, die sich von Job zu Job hangeln. Zwischen Filmkritiken und Gastrotipps denkt er über eine große Reportage oder ein Interview nach, das er unbedingt machen will: In Paris sitzen ehemalige Aktivisten der italienischen Roten Brigaden, die in den siebziger Jahren politische Terrorakte verübten und in der Ära Mitterand in Frankreich Unterschlupf fanden - die Regierung Berlusconi fordert nun offensiv ihre Auslieferung, und sie sehen sich mit einer längst zurückliegenden Vergangenheit konfrontiert. Christian interessiert sich für diese Überlagerung der Zeiten und sucht den Kontakt zu den Untergetauchten.

Die weibliche Hauptfigur Nele ist 23, studiert Literaturwissenschaft bei Christians Freund Jakob und schreibt gerade über Jean Paul. Zugleich gehört sie einer politischen Gruppe an, die gezielt Aktionen unternimmt: gegen die Überwachung durch Kameras an öffentlichen Plätzen, gegen die Tarifpolitik im öffentlichen Nahverkehr, gegen die Shopping-Malls, in denen sich der Kapitalismus selbst feiert. Menschenleben zu gefährden ist dabei tabu, doch es gibt eine nicht genau zu definierende Grauzone zwischen politischer Analyse und radikalem Handeln, es stellt sich das Problem der Illegalität.

Die Liebesgeschichte zwischen Christian und Nele, die von ihren parallel laufenden Interessen zunächst nichts wissen, gehört zu den besten, die in den letzten Jahren auf deutsch geschrieben worden sind - gerade in ihrer Nüchternheit und vermeintlichen Abgeklärtheit. Peltzer arbeitet mit schnellen Schnitten, mit Filmtechniken, mit knappen Dialogen. Es ist erstaunlich, wie plastisch die Figuren werden, obwohl die Sprache nicht psychologisiert und ausmalt. Genauer hat man das Zeitgefühl, das Lebensgefühl des gegenwärtigen Berlin noch nirgends beschrieben gefunden.

Peltzer schildert das junge, akademische Milieu, dessen Zukunft ungewiss ist. Aber es wird auf neue Weise nach dem Wesen der Gesellschaft gefragt, auf aktuelle Weise Kritik geübt. Peltzer beschreibt bei aller Desillusionierung, bei allem Aufweichen alter Fronten das Weiterleben von Erkenntnissuche und Analyse. Ein großer Zeitroman, auf der Höhe der theoretischen Diskurse, gleichzeitig eine packende Krimi- und Liebesgeschichte.

Rezensiert von Helmut Böttiger

Ulrich Peltzer: Teil der Lösung
Roman. Ammann Verlag, Zürich 2007
455 Seiten, 19,90 Euro