Liebe statt Hiebe

05.03.2010
Der Schriftsteller Frank Schulz gilt vielen als Anführer der Hamburger Bier-Bohème, der überwiegend männliche Leser anzieht. In seinen neuen Kurzgeschichten "Mehr Liebe" zeigt sich der Autor dagegen von einer ganz sanften Seite.
Monatelang holt er jeden morgen bei ihr seine Brötchen, schmachtet sie an, und kriegt kein Wort raus. So schlimm hat es Brinkmann erwischt. Nach einer durchgrübelten Nacht meint er, heute müsse es passieren. Leider stiehlt ihm aber der Draufgänger in der Schlange vor ihm die Schau. Und bestellt neben allerlei Backwerk bei Frau Lammers: ein Lächeln.

"Noch verschlossen, hatte sie gestutzt, aber nicht länger als Brinkmann gebraucht, um zu verstehen, was da passierte, und nach anderthalb Wimpernschlägen platzte ihre anmutige Schwermut auf, und mit einem verlegen übertriebenen Ha! entfaltete sie ein Antlitz mit Grübchen, strahlenden, kleinen Zähnen und Brauenspiel. Während sie die Kanne aus der Kaffeemaschine nahm und einschenkte, sagte sie mit aufgehellter Stimme: 'Stehen Sie hier mal den ganzen Tag, da würde Ihnen auch das Lachen vergehen!'"

Der Autor Frank Schulz liest aus seiner Geschichte "Seele mit Käse". Um verpasste Liebe geht es auch in der nächsten Geschichte "Der Stich des Bienenmörders".

"Es geschah, als sie 24 war, am Pier von Ancona, zu Beginn ihrer Hochzeitsreise im Juni 1993. Sie schaute zu, wie die Lastzüge die Laderampe des Fährschiffs El. Venizelos hinaufdirigiert wurden. Obwohl sie ihn auf Anhieb erkannte, jagte ihr sein langer Blick aus dem Führerhaus jedes Fünfundzwanzigtonners Heidenangst ein. Wie eine Spritze ins Rückenmark fühlte sich das an; die Injektion schien endlos zu dauern (literweise süßes Gift), und noch Stunden, nachdem sie den Einstich verschmerzt hatte, war ihre Wirbelsäule wie taub. Ihre Augäpfel brannten."

Katja, die schmachtende Arzthelferin aus Hamburg-Hamm, glaubt, sie sei für einen Besseren gemacht als ihren Florian. Und trifft ihren Traummann just während der Flitterwochen. Aber Pavlos, der Grieche von apollonischer Schönheit, sieht in Katja nicht die Frau seiner Träume, sondern an ihr vorbei, das Land seiner Träume von künftigem Wohlstand: Deutschland. Ende des Lore-Romans: Katja landet hart auf dem Boden der Tatsachen.

Frank Schulz, dem man durchaus zugetraut hätte, aus dieser Szene eine ironische Abrechnung mit den Möchtegern-Prinzessinnen dieser Welt zu stricken, beschreibt Katjas hartnäckige Sehnsucht nach dem Traummann voller Anteilnahme und Melancholie. Seine Ehegeschichten, von denen es in "Mehr Liebe" etliche gibt, atmen ohnehin eine gewisse Vergeblichkeit. Denn "Heiraten sei der pathetische Versuch, eine Einsamkeit zu überwinden, von der wir ahnten, dass sie endgültig sei", zitiert er an anderer Stelle Klaus Mann.

Vergeblichkeit und leise Trauer schon. Aber keine Häme, kein Zynismus, keine vernichtenden intellektuellen Drechselsätze, alles Eigenschaften, für die der Romanautor Frank Schulz bekannt war. Nun der 52-jährige, ganz neue Schulz. Mit einem alten Freund – Harry Rowohlt – der die meisten "Mehr Liebe"-Geschichten liest.

"Es wird’n büschen schaukeln, aber keine Bange, es kippt nur jede dritte Barkasse im Hafen um; wir ham heude Glück, wir sind die neunte."

Aber dieses Duett Rowohlt-Schulz – ein Gastauftritt wird von Peter Jordan bestritten – dieses Duett hat es in sich. Denn sich als Vorleser einem Vergleich mit dem Meister aller Sprecher Harry Rowohlt auszusetzen, ist nachgerade selbstmörderisch – wie auch ein Hörbeispiel aus der Geschichte "Trugnattern" gleich beweist. Da geht es um den ersten Kuss und dessen Begleitmusik. Ein Arzt rekapituliert die alten Zeiten vor einem Freund.

"Doch als Sylvia Görritz Dieter Fotzenschuch küsste – während des Engtanzes, während der schwankenden, gänsehautdünnen Worte 'So I could’nt believe it/ That you would stand here by me/ Making me strong, so strong' - , das war unerhört, weil auf freier Wildbahn."

So hört es sich an, wenn einer Worte zum Leben erwecken kann, trotz fortgeschrittenen Alters und des dazugehörenden Stimmbruchs. Der Vorleser Frank Schulz dagegen schafft es sogar, seinen besten Witz - aus dem an humoresken Stellen wahrlich nicht armen Buch - in der Audioversion zu vergeigen.

"'Warum kucken Frauen Pornofilme immer bis ganz zu Ende?' Wenig auf der Welt würde Bolle davon abhalten, seine Pointe zum Besten zu geben. 'Weil', ächzte der denn auch umgehend - 'weil sie meinen, am Ende wird geheiratet.'"

Hört sich an, als habe Schulz ausgerechnet an dieser Stelle eine rätselhafte Niedergeschlagenheit heimgesucht. Dabei sind seine Liebesminiaturen, von denen das Hörbuch nur eine kleine Auswahl wiedergibt, von einer genialen Süße - leicht, locker, reif und humorvoll. Und ein Glück, dass Frank Schulz das Lesen der meisten seiner Geschichten dem Freund Harry Rowohlt überließ.

Besprochen von Brigitte Neumann

Frank Schulz: Mehr Liebe. Heikle Geschichten
Gelesen von Harry Rowohlt, Peter Jordan und Frank Schulz
Hörbuch Hamburg, 2010
2 CDs, 19,95 Euro