Liebe mit Puccini

Ob frommes Frauenzimmer, freches Früchtchen oder Femme fatal - das weibliche Geschlecht faszinierten den Liebhaber und Erotomanen Giacomo Puccini. Helmut Krausser beschreibt in "Die kleinen Gärten des Maestro Puccini" drei Liebschaften des Komponisten: eine Mischung aus Dokumentation und Roman.
Die große Oper kommt nicht aus mit Heldentenören und - zumeist im Bassbereich operierenden - Schurkenrollen. Fantastische Frauen sind ihr eigentliches Element. Das wusste niemand besser als Giacomo Puccini, der sie alle auf die Bühne brachte: die kokette Femme fragile und das fromme Cowgirl, die männermordende Prinzessin aus China und die kindliche japanische Geisha, die Nonne auf Abwegen und das Luxusweib.

Kein Zweifel, der Komponist kannte sich aus mit dem Spektrum des anderen Geschlechts; auch im realen Leben war er ein Erotomane und Frauenverschleißer vor dem Herrn. Aus der stattlichen Longlist von Puccinis Eroberungen hat der bekennende Musikfreund Helmut Krausser für die drei Teile seines dokumentarischen Romans "Die kleinen Gärten des Maestro Puccini" jeweils eine markante weibliche Figur ausgewählt. Zunächst die große unbekannte Geliebte der Jahre nach 1900 - in hartnäckiger Recherche, unterstützt vom Puccini-Biografen Dieter Schickling, hat Krausser das Geheimnis um "Corinna" gelüftet. Mächtig stolz montiert er die gefundenen Dokumente in den Roman ein, insbesondere einen bislang in einem Bibliothekssafe ruhenden Briefentwurf Puccinis, in dem dieser wütend von "Corinna" Abschied nimmt.

Hinter diesem Namen verbirgt sich nicht, wie bisher angenommen, eine Turiner Grundschullehrerin, sondern die blutjunge Näherin Maria Anna Coriasco. In drei leidenschaftlichen Jahren nutzte der bereits in den Vierzigern stehende Puccini jede Gelegenheit zu heimlichen Treffen. Hier nun setzt der Roman ein, und es gehört zu seiner schönen Ironie, dass der sympathische Sexprotz in allen drei Teilen des Buches nicht recht zum Zuge kommt. Seine Liebesverhältnisse stehen im Zeichen von Verhinderung und Entsagung.

Bei Corinna ist es ein schwerer Unfall, der den frühen Autonarren - ungeachtet der bescheidenen Höchstgeschwindigkeit von 30 Kilometern - lange auf das Krankenbett zwingt. So kann er seinen kleinen Garten nicht pflegen. Er verwildert, so glaubt er zumindest. Und schaltet Detektive ein, um Corinnas angeblich luderhaftem Lebenswandel auf die Spur zu kommen. Der Roman schildert die Agonie der Affäre. Sie kommt zu einem schmählichen Ende unter wechselseitigem Intrigenspiel, insbesondere von Seiten der Lebensgefährtin Elvira, die selbst mit allem Nachdruck danach strebt, Madame Puccini zu werden.

Bei der vornehmen Engländerin Sybil Seligman, der der zweite Teil gewidmet ist, treffen die Triebwünsche des Komponisten dann auf grundsätzliches sexuelles Desinteresse. Es ergibt sich allerdings eine bis ans Lebensende währende Seelenfreundschaft. Das intime Verhältnis zu Doria Manfredi schließlich ist nur ein böswilliges Gerücht. Am ergreifendsten ist zweifellos dieser dritte Teil des Romans. Das liebenswürdige, schüchterne, etwas linkische Hausmädchen gerät in die Mühlen der Eifersucht - nicht ihrer eigenen, sondern jener der Madame Puccini.

Elvira hatten allen Grund, ihrem Mann zu misstrauen; nur dieses eine Mal nicht. Denn Puccini schlief nicht mit der den Meister keusch verehrenden Doria, sondern mit deren attraktiveren Schwester. Elvira aber glaubte an Seitensprünge im eigenen Haus und verfolgte die harmlose Doria, zu der Puccini einmal bloß ein innig-väterliches Verhältnis hatte, mit übelster Nachrede und Unterstellungen, bis das Mädchen qualvoll Selbstmord beging. Die Angehörigen strengten einen Prozess gegen Elvira an, Puccini trennte sich vorübergehend von der furienhaften Gattin; die Klatschpresse hatte viel zu schreiben. Und die Arbeit des Komponisten ruhte auf lange Zeit. In einem Brief klagte er: "Ich bin am Ende und verzweifelt, meine Lage ist rettungslos verloren. Doria hat sich mit Sublimat vergiftet und jeden Moment erwarte ich die Nachricht ihres Todes. Sie können sich ausmalen, wie es mir geht. Ich bin völlig ruiniert. Dies ist das Ende meines Familienlebens, das Ende von Torre del Lago, das Ende von allem." Es ist ein Realroman mit allen denkbaren Aufgipfelungen des Tragischen und Grotesken; der Autor kann hier über weite Strecken die Dokumente selbst sprechen lassen.

Kleine Gärten, große Oper - umso besser, dass Krausser selbst nicht ins Singen gerät. In anderen Büchern profilierte er sich als barocker Formulierer, hier nimmt er sich zurück, schreibt einen angenehm trockenen Stil mit lakonischem Witz, gleichermaßen zärtlich und krass. Zum Crossover der Genres - biografische Dokumentation, Roman - gehört auch die Mischung der sprachlichen Verhältnisse. Mal sind wir ganz dicht dran am Originalton der Zeit und der beteiligten Figuren, dann wieder erlaubt sich Krausser Verfremdungseffekte durch ganz heutige Worte und Sätze.

Dem Komponisten-Roman ist vorgeworfen worden, dass die Musik zu sehr außen vor bleibe. Bisweilen hat man tatsächlich den Eindruck, die größte Schwierigkeit Puccinis habe darin bestanden, passende Libretti zu finden. Aber schon Thomas Mann hat in seinem ultimativen Roman der Musik, "Doktor Faustus", zwar die fiktiven Kompositionen Adrian Leverkühns ausgiebig beschrieben, es hingegen weitgehend vermieden, den Tonsetzer bei der Arbeit am Notenblatt zu zeigen - eine heikle Zone, in der einem Roman zwangsläufig die Sprache vergeht. So zeugt es von Instinkt, wenn auch Krausser die Darstellung von genialen Schaffensräuschen ausspart. Angesichts der Popularität der Puccini-Opern kann er auch auf die Beschwörung der Musik weitgehend verzichten.

Es ist ein Vorzug des Romans, dass der Zusammenhang von Libido und Melodie nicht zu sehr ausbuchstabiert wird. Jeder Leser nach Freud weiß, dass es immer auch um die Bedingungen der Kreativität geht, wenn in Künstlerromanen so viel von Liebesdingen die Rede ist.

Rezensiert von Wolfgang Schneider

Helmut Krausser: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini
Dumont Verlag, 380 Seiten, 19,90 Euro