Liebe macht klug

17.10.2012
Zuwendung ist das beste Rüstzeug für die kindliche Entwicklung. Das bestätigen Studien, die die Wissenschaftsjournalistin Anne-Ev Ustorf in ihrem Buch "Allererste Liebe" aus Bindungsforschung, Psychoanalyse und Hirnforschung zusammengetragen hat.
Ausschlaggebend für eine gute Entwicklung ist die Bindung. Bindung beginnt schon im Mutterleib, und damit beginnt auch das Buch. Was die Mutter fühlt, überträgt sich auf das ungeborene Kind, ihre schönen Gefühle wie auch ihr Stress. Depressive Mütter reichen ihre Depression über die Nabelschnur weiter, indem sie die Aktivitäten der Stresshormone des Kindes programmieren. Das schlimmste Leid, das in dieser Zeit dem Kind zugefügt werden kann, ist aber, es gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Verleugnung der Schwangerschaft bringt die größten Geburtsrisiken mit sich.

In den ersten Lebensjahren, Kapitel 2 des Buches, lernt das Kind vor allem, seine Gefühlszustände zu erkennen und zu regulieren. Die Mutter deutet die Zeichen seiner Wohl- und Unwohlgefühle und handelt danach. In der emotionalen Kommunikation mit ihr lernt das Kind auch, dass andere Menschen andere Gefühlszustände haben als es selbst, was für das Baby anfangs keine Selbstverständlichkeit ist.

Alles, was hierzu die Bindungsforschung zu sagen hat, präsentiert Anne-Ev Ustorf nicht mit dem Druck, nun die beste aller Mütter (oder Väter) zu sein. Zu gut zu sein, kann schaden, weil das Kind auch lernen muss, dass seine Bedürfnisse von den Eltern verfehlt oder frustriert werden, und man dennoch wieder zueinander findet. Das gilt auch für die Frage, ob man selbst immer für das Kind da ist oder es in die Krippe gibt. Ustorf fasst in einem Kapitel Forschungen zu dieser Frage zusammen und sagt: Das Wichtigste ist ein von sozialen und psychischen Problemen einigermaßen unbelastetes Familienleben.

Ein langes Kapitel widmet sie den schädlichen Folgen misslungener Bindung für das weitere Leben. Nicht nur früher Verlust, extreme Vernachlässigung und sexueller oder körperlicher Missbrauch, auch psychische Störungen der Eltern können die Entwicklung beeinträchtigen. Zum Beispiel, wenn depressive Mütter ihre Babys seltener anschauen und berühren und weniger mit ihnen reden und spielen. Dann kann sich ein Muster des Rückzugs beim Kind herausbilden, mit dem es für den Rest des Lebens an seine Beziehungen herangeht. Aber, so Ustorf, ein Umlernen ist auch als Erwachsener möglich, vor allem durch heilsame Partnerschaften oder Psychotherapie.

Und auch Baby-Englisch-Kursen und Musik-Kindergärten setzt sie etwas entgegen: Liebe macht klug. Das Buch macht es auch. Es ist fundiert und gut geschrieben, jeder Satz verständlich. Man liest es und atmet durch nach dem Satz: "Es ist an der Zeit, mehr Unbeschwertheit und weniger Druck in das Leben mit Kindern einziehen zu lassen.” Anne-Ev Ustorf fordert genau dazu auf. Und das macht das Buch für Eltern, die sich selbst viel zu sehr unter Druck setzen, die alles richtig machen wollen, lesenswert.

Besprochen von Ulfried Geuter

Anne-Ev Ustorf: Allererste Liebe. Wie Babys Glück und Gesundheit lernen
Klett-Cotta, Stuttgart 2012
208 Seiten, 18,95 Euro