Liebe durch die Jahrhunderte
Nach einem Autounfall, bei dem er schwerste Verbrennungen erlitt, lernt der namenlose Ich-Erzähler in "Gargoyle" die Bildhauerin Marianne Engel kennen, die behauptet, sie seien bereits im Mittelalter ein Paar gewesen: sie als Nonne im Kloster Engelthal, er als Medicus. Geschickt verknüpft Andrew Davidson die Erzählungen aus dem Mittelalter mit denen aus der Neuzeit und hält trotz einiger Längen die Spannung bis zum Schluss.
Ein namenloser Ich-Erzähler kommt auf einer nächtlichen Autofahrt von der Fahrbahn ab, stürzt einen Hang hinunter und erleidet schwerste Verbrennungen. Als er im Krankenhaus aus dem Koma erwacht, erfährt er, dass er für immer als Verbrennungsopfer gezeichnet ist und dass er sein Leben radikal ändern muss. Früher als Pornodarsteller beschäftigt, wird er künftig überhaupt keine körperliche Liebe mehr haben können, denn sein Penis ist verbrannt.
Selbstmord scheint ihm der einzige Ausweg aus dem Dilemma. Bis eine rätselhafte Frau an seinem Krankenbett erscheint, die sich als Marianne Engel vorstellt und behauptet, er sei schon zum dritten Mal verbrannt worden. Mehr noch: Marianne und der Erzähler seien vor siebenhundert Jahren in Deutschland erstmals zusammengetroffen. Ihm zuliebe habe sie das Leben als sprachbegabte Übersetzerin im Kloster aufgegeben, und sie habe seinerzeit ein Kind von ihm erwartet.
Marianne Engel übernimmt nach der Entlassung des Mannes aus dem Krankenhaus dessen Pflege. Zunächst hält der Erzähler Mariannes Ausführungen für Hirngespinste; da sie ihm jedoch neuen Lebensmut gibt, willigt er in diese ungewöhnliche "Partnerschaft" ein. Den Lebensunterhalt bestreitet Marianne Engel mit Bildhauerei. In geradezu entfesselten Aktionen erschafft sie so genannte Gargoyles, steinerne Wasserspeier in Drachengestalt, deren Verkauf anscheinend viel Geld einbringen.
In ihren Schaffenspausen erzählt Marianne aus der gemeinsamen Zeit im Mittelalter, und der Erzähler meint allmählich, bestimmte Passagen und Umstände wiederzuerkennen. Als ihm Marianne eröffnet, dass sie nur noch kurze Zeit in ihrer jetzigen Gestalt wird leben können, steht der Erzähler vor der entscheidenden Frage seines Lebens.
Die Geschichte klingt auf Anhieb verworrener als sie eigentlich ist. Der Part rund um den aktuellen Verkehrsunfall könnte jedem Polizeibericht sowie mancher Krankenakte entnommen sein, Andrew Davidson hat akribisch in medizinischen Büchern recherchiert.
Und nicht nur dort: Die durch die Figur der Marianne Engel eingeführten Versatzstücke aus dem Mittelalter - das Kloster Engelthal, Dantes Beschreibung der Hölle, die Übersetzungen heiliger Schriften - lassen sich alle historisch bzw. literarisch belegen. Auch zwischendurch eingeflochtene Geschichten fließen geschickt in das Hauptgeschehen ein.
Andrew Davidsons große Leistung besteht in seiner kraftvollen Sprache: Er wechselt immer wieder vom sarkastischen Tonfall des Ich-Erzählers zu einer sehr sensiblen Ausdrucksweise der Marianne Engel. Die Kunst, Parallelen zwischen dem Mittelalter und der heutigen Zeit herzustellen, meistert er mühelos. Ein überaus starker Beginn des Romans führt unmittelbar in das menschliche Drama des Helden ein, und als Leser geht man bereitwillig mit in andere Zeiten und Welten.
Die Geschichte bleibt spannend bis zum Schluss, auch wenn es ein paar Stellen gibt, an denen die Schnittpunkte zwischen der Vergangenheit und der erzählten Gegenwart nicht ganz optimal gesetzt sind. Auch eine geringfügige Straffung hätte dem Roman nicht geschadet, es scheint mitunter, als habe Davidson für manche seiner Gedanken so viele historische und literarische Belege gefunden, dass ihm die Weglassung schwer fiel.
Hier liegt auch der einzige Schwachpunkt des Romans. Er ist gar zu prall-phantasievoll gefüllt mit allen Zutaten. Streckenweise kann er es an Spannung und vermutlich auch an historischer Korrektheit mit Umberto Ecos "Der Name der Rose" aufnehmen, dann kommt als schneidiges Intermezzo eine isländische Sage dazu, bevor der Ich-Erzähler qualvoll über seine nächste Entscheidung nachsinnen muss und sich gleichzeitig fragt, ob er tatsächlich im Mittelalter tatsächlich schon einmal gelebt haben könnte. Zwar hat man als Leser keine Schwierigkeiten, diese Sprünge nachzuvollziehen, manchmal aber wünscht man sich, die Hauptgeschichte möge etwas schneller voranschreiten.
Großen Spaß machen am Rande Bemerkungen, in denen sich Andrew Davidson durch seinen Ich-Erzähler direkt an den Leser wendet: Inmitten einer langen Aufzählung italienischer Speisen etwa (Fettucine, Maccaroni, Rigatoni, Canneloni, Tortellini) fällt plötzlich der Name eines Physikers, bekannt als Pionier der drahtlosen Kommunikation: Guglielmo Marconi, versehen mit dem Hinweis "nur mal sehen, ob Sie noch lesen". Und ob!
Rezensiert von Roland Krüger
Andrew Davidson: Gargoyle
Roman. Aus dem Kanadischen Englisch übersetzt von Eike Schönfeld
Bloomsbury Verlag, Berlin 2009
580 Seiten, 22,00 Euro
Selbstmord scheint ihm der einzige Ausweg aus dem Dilemma. Bis eine rätselhafte Frau an seinem Krankenbett erscheint, die sich als Marianne Engel vorstellt und behauptet, er sei schon zum dritten Mal verbrannt worden. Mehr noch: Marianne und der Erzähler seien vor siebenhundert Jahren in Deutschland erstmals zusammengetroffen. Ihm zuliebe habe sie das Leben als sprachbegabte Übersetzerin im Kloster aufgegeben, und sie habe seinerzeit ein Kind von ihm erwartet.
Marianne Engel übernimmt nach der Entlassung des Mannes aus dem Krankenhaus dessen Pflege. Zunächst hält der Erzähler Mariannes Ausführungen für Hirngespinste; da sie ihm jedoch neuen Lebensmut gibt, willigt er in diese ungewöhnliche "Partnerschaft" ein. Den Lebensunterhalt bestreitet Marianne Engel mit Bildhauerei. In geradezu entfesselten Aktionen erschafft sie so genannte Gargoyles, steinerne Wasserspeier in Drachengestalt, deren Verkauf anscheinend viel Geld einbringen.
In ihren Schaffenspausen erzählt Marianne aus der gemeinsamen Zeit im Mittelalter, und der Erzähler meint allmählich, bestimmte Passagen und Umstände wiederzuerkennen. Als ihm Marianne eröffnet, dass sie nur noch kurze Zeit in ihrer jetzigen Gestalt wird leben können, steht der Erzähler vor der entscheidenden Frage seines Lebens.
Die Geschichte klingt auf Anhieb verworrener als sie eigentlich ist. Der Part rund um den aktuellen Verkehrsunfall könnte jedem Polizeibericht sowie mancher Krankenakte entnommen sein, Andrew Davidson hat akribisch in medizinischen Büchern recherchiert.
Und nicht nur dort: Die durch die Figur der Marianne Engel eingeführten Versatzstücke aus dem Mittelalter - das Kloster Engelthal, Dantes Beschreibung der Hölle, die Übersetzungen heiliger Schriften - lassen sich alle historisch bzw. literarisch belegen. Auch zwischendurch eingeflochtene Geschichten fließen geschickt in das Hauptgeschehen ein.
Andrew Davidsons große Leistung besteht in seiner kraftvollen Sprache: Er wechselt immer wieder vom sarkastischen Tonfall des Ich-Erzählers zu einer sehr sensiblen Ausdrucksweise der Marianne Engel. Die Kunst, Parallelen zwischen dem Mittelalter und der heutigen Zeit herzustellen, meistert er mühelos. Ein überaus starker Beginn des Romans führt unmittelbar in das menschliche Drama des Helden ein, und als Leser geht man bereitwillig mit in andere Zeiten und Welten.
Die Geschichte bleibt spannend bis zum Schluss, auch wenn es ein paar Stellen gibt, an denen die Schnittpunkte zwischen der Vergangenheit und der erzählten Gegenwart nicht ganz optimal gesetzt sind. Auch eine geringfügige Straffung hätte dem Roman nicht geschadet, es scheint mitunter, als habe Davidson für manche seiner Gedanken so viele historische und literarische Belege gefunden, dass ihm die Weglassung schwer fiel.
Hier liegt auch der einzige Schwachpunkt des Romans. Er ist gar zu prall-phantasievoll gefüllt mit allen Zutaten. Streckenweise kann er es an Spannung und vermutlich auch an historischer Korrektheit mit Umberto Ecos "Der Name der Rose" aufnehmen, dann kommt als schneidiges Intermezzo eine isländische Sage dazu, bevor der Ich-Erzähler qualvoll über seine nächste Entscheidung nachsinnen muss und sich gleichzeitig fragt, ob er tatsächlich im Mittelalter tatsächlich schon einmal gelebt haben könnte. Zwar hat man als Leser keine Schwierigkeiten, diese Sprünge nachzuvollziehen, manchmal aber wünscht man sich, die Hauptgeschichte möge etwas schneller voranschreiten.
Großen Spaß machen am Rande Bemerkungen, in denen sich Andrew Davidson durch seinen Ich-Erzähler direkt an den Leser wendet: Inmitten einer langen Aufzählung italienischer Speisen etwa (Fettucine, Maccaroni, Rigatoni, Canneloni, Tortellini) fällt plötzlich der Name eines Physikers, bekannt als Pionier der drahtlosen Kommunikation: Guglielmo Marconi, versehen mit dem Hinweis "nur mal sehen, ob Sie noch lesen". Und ob!
Rezensiert von Roland Krüger
Andrew Davidson: Gargoyle
Roman. Aus dem Kanadischen Englisch übersetzt von Eike Schönfeld
Bloomsbury Verlag, Berlin 2009
580 Seiten, 22,00 Euro