Liebe bis zum Schluss

Es ist eine Illusion der perfekten Beziehung: Lasse und Kicki halten seit 30 Jahren zusammen – und selbst der Tod kann sie nicht voneinander trennen. Der schwedische Beststeller "Liebe ganz oder gar nicht" von Peter Kihlgard erzählt die Geschichte eines Paares, das bis an die Grenzen geht.
Diese Geschichte beginnt mit dem Ende. Zwei Liebende wollen gleichzeitig sterben. Ein Leben ohne den Anderen? Nie und nimmer. Egal was kommt, sie bleiben zusammen. Das gilt auch für den Tod.

Lasse und Kicki sind um die 50 und seit fast 30 Jahren zusammen. Sie hat ihre erste Chemo gut überstanden, alles sah nach einer langen gemeinsamen Zukunft aus, sie waren im Urlaub in Portugal, um das wieder gewonnene Leben zu feiern. Als sie in Stockholm landen und in ihre Wohnung fahren, bemerkt sie wieder die extrem geschwollenen Lymphknoten. Es sind die selben Symptome an den selben Stellen - wie damals. Er zeigt sich wieder, der Lymphkrebs.

"Lasse, ich mache das nicht noch einmal durch ... ich nehme mir lieber das Leben”, sagt Kicki. Er überredet sie nicht zum Kampf gegen die Krankheit, sondern kauft sich einen Sportwagen. Als sie schnell genug sind und die Gurte abgeschnallt haben, lässt er das Lenkrad los.

Mit dieser Szene beginnt der vorliegende Roman des schwedischen Autors Peter Kihlgard. Sein Buch, das im Original "Kicki und Lasse” heißt, war wochenlang ganz oben auf Schwedens Bestsellerlisten. Es ist sein erster großer Verkaufserfolg. Er war vorher bei weitem kein Unbekannter, aber eher der Mann für die Literaturpreise, nicht für die Buch-Charts. Offenbar hat er mit "Liebe ganz oder gar nicht” einen Nerv getroffen. Leser wollen die Illusion von der absoluten Liebe erzählt bekommen. Absolute Liebe heißt in diesem Fall, dass sich die beiden eigentlich nicht gut tun, dass sie sich das Leben schwer machen, dass sie sich streiten, dass sie sogar ihre bürgerliche Existenz gefährden.

Beide haben gut bezahlte Jobs, er hat eine eigene Firma in der Textilbranche, sie ist Theaterproduzentin. Sie ziehen in ihrer Ruhelosigkeit von einer großen, teuren Stockholmer Wohnung in die andere. Aber nirgendwo kommen sie an. Stattdessen gerät er sogar in den Konflikt mit der Justiz, landet für ein paar Wochen im Knast. Sie wiederum legt eine Untreue an den Tag, die jede andere Beziehung sprengen würde, sie wirft sogar ein Auge auf Lasses Vater. Nur, um am Ende wieder zu Lasse zurückzukehren, vielleicht um diese Liebe zu testen, vielleicht auch, um sie paradoxerweise noch intensiver zu spüren.

Aber vermutlich ist es etwas anderes: beide wünschen sich Kinder, aber es gelingt nicht miteinander. Als ihr Adoptionsgesuch wegen Lasses Gefängnisstrafe abgelehnt wird, haben sie noch den Sarkasmus übrig, diesen, wie der Erzähler zu berichten weiß, "schlimmsten Moment ihres gemeinsamen Lebens”, mehrfach nachzuspielen und zu filmen. Sie lachen sich halb Tod über ihren Auftritt.

Peter Kihlgard zeigt dramaturgischen Mut mit seinem Erfolgsroman. Er erzählt ihn rückwärts. Das Buch beginnt mit dem tragischen Ende und endet mit dem ersten Treffen der beiden Protagonisten. Dazwischen findet ihre Liebe statt, die aber keinem zeitlichen Muster folgt - insofern konstruiert das Rückwärtserzählen eher die Rahmenhandlung, nicht den Plot. Und da ist schon die Schwäche dieses Romans ausgemacht. Er weiß nicht so recht, wohin er will. Allzu assoziativ mäandert er durch das Leben der Beiden, ohne recht zu einem erzählerischen Kern zurückzufinden. Allzu selbstverliebt dreht er sich um Szenen herum, anstatt an die Geschichten zu glauben, die doch eigentlich erzählt werden sollen. Viele Anfänge, wenig vollendet. Dabei steckt so viel in diesem Roman!

Peter Kihlgard hat einiges zu erzählen, seinen Protagonisten glaubt man ohne Weiteres, auch das Setting stimmt, das Thema ist etwas mit Ewigkeitswert – aber die literarische Ausführung lässt leider zu wünschen übrig. Schade!

Besprochen von Vladimir Balzer

Peter Kihlgard: Liebe ganz oder gar nicht
Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann
Deutsche Verlags-Anstalt DVA, München 2009
283 Seiten, 19,90 Euro