Licht und Schatten

Von Johannes Halder |
Unter dem Titel "elegant expressiv - Von Houdon bis Rodin" zeigt die Karlsruher Kunsthalle erstmals in Deutschland einen Überblick über die Entwicklung französischer Plastik von der Aufklärung bis zur frühen Moderne. Zu sehen sind 160 Werke von über 30 Bildhauern und Bildhauerinnen, darunter Jean-Antoine Houdon, François Rude, Edgar Degas, Paul Gauguin, Henri Matisse und Auguste Rodin. Das Spektrum reicht vom überlebensgroßen Standbild bis zur intimen Statuette, ausgeführt in Marmor, Bronze, Terrakotta, Gips, Holz oder Wachs.
Der Kopf sieht aus, als hätte der Bildhauer nur mal kurz eine Pause eingelegt. Man kann seine Fingerabdrücke noch sehen im trockenen Ton, wie er zahllose Lehmklümpchen aneinanderklebte und daraus das hagere Haupt Johannes' des Täufers formte: den geöffneten Mund des Predigers, seine suchenden Augen, die wirren Haare und den zerzausten Bart, den sehnigen Hals über dem kurzen Ansatz der Schultern.

1878 hat Auguste Rodin den Kopf aus Terrakotta modelliert im Angesicht eines einfachen Abruzzenbauern, der ihm dafür posierte. Rodin hat aus solchen plastischen Skizzen ein Prinzip gemacht. Sie sind lebendig, körperlich und ziemlich praktisch: Wie aus einem anatomischen Ersatzteillager hat er daraus immer wieder Köpfe, Rumpf und Glieder transplantiert und das Ergebnis dann als ganze Figur oder Torso in Bronze gegossen.

Der Kopf ist eine Kostbarkeit und vielleicht das schönste Stück, das ein deutsches Museum von dem Franzosen besitzt; und hier bekommen wir gleich ein gutes Dutzend seiner Werke zu sehen, darunter einen provokanten Frauentorso mit schamlos gespreizten Schenkeln oder einen Mann mit demolierter Nase, und man kann daran ermessen, dass es bis dahin ein ziemlich weiter Weg war in der französischen Plastik des 19. Jahrhunderts.

Kaum einer hat so radikal wie Rodin die Regeln gebrochen und die vitale Verkörperung des Antiklassischen in die Salons hineingetragen, die bis weit ins 19. Jahrhundert beherrscht waren von der seelenlosen Perfektion antiker Vorbilder: elegant, grazil und glatt wie die Porträtbüsten eines Jean-Antoine Houdon, mit dem die Schau beginnt.

Diese Antikenbegeisterung wurde geschürt durch die napoleonischen Kunstraubzüge und flackerte auch in der Romantik immer wieder auf. Doch anders als in Deutschland, wo sich die Romantik oft in gefühlsduseliger Melancholie erschöpft, zeigten die Franzosen ihr typisches Temperament, sagt Kurator Sigmar Holsten:

"Die Franzosen haben immer Ausdrucksstudien betrieben, also nicht nur Stand- und Spielbein und alle diese Harmonien, sondern sie haben immer éxpression gemacht."

Auguste Préault war ein Meister solch romantisch-expressiver Eruptionen. 1834 schuf er ein Relief, 400 Kilo schwer und bis zu den Rändern vollgepresst mit schreienden und schmerzverzerrten Leibern und Gesichtern, ein einziges Gemetzel. Zur selben Zeit hatte sein Kollege François Rude, ein glühender Republikaner, den revolutionären Aufbruch der Freiwilligen für den Pariser Triumphbogen in Sandstein gemeißelt. Pure Emotion, in der Schau zu sehen als Entwurf aus Gips.

Plastik war fast immer Auftragskunst und also abhängig vom Geschmack derer, die sie bezahlten. Wer sich nicht an die Regeln hielt, geriet da schnell ins Abseits. Der geniale Préault endete als Friedhofsplastiker und wurde praktisch vergessen, andere suchten sich geschickt ihre Marktnischen wie Antoine-Louis Barye, der handliche Tierplastiken modellierte und mit mordenden Bronze-Bestien animalischen Nervenkitzel in die Salons der Bürger trug.

"David d'Angers hat es viel raffinierter gemacht. Er war ein großer communicateur, ein Mensch, der mit allen Größen der Zeit nicht nur korrespondiert, sondern auch ihnen begegnet ist. Und er hat sie modelliert in kleinen Medaillons. Die hat er nicht verhökert zuerst, sondern er hat sie denen, die er porträtiert hat, erst einmal geschenkt."

Ein geschickter Marketingtrick. Geistesgrößen von Goethe bis Humboldt hat er so in handtellergroßen Reliefs verewigt.

"Er hat fast 500 Medaillons geschaffen, die man intimer gesammelt hat und von denen eines lebendiger ist als das andere. In der Regel vor dem Menschen sitzend, ihn nicht mit dem Bleistift zeichnend, sondern gleich modellierend."

Na gut, da ging der Künstler stets konform mit seinem Gegenüber. Plastik und Kritik hingegen war eine riskante Mischung. Honoré Daumier musste dafür ins Gefängnis, seine karikaturenhaft überdrehten Köpfe von politischen Protagonisten hielt er deshalb bis zu seinem Tod versteckt und nutzte sie nur als Vorlagen für seine nicht weniger gewagten Lithographien. 36 dieser Büsten hat man auf einer kleinen Treppenbühne inszeniert - ein köstliches Lach-Kabinett der Republik.

"Das ist natürlich ein Spiegel der Gesellschaft zwischen Royalisten und Republikanern. So ging es zwischen Klassizisten und Romantikern oder Expression hin und her, und das steigert sich immer mehr, und Rodin ist nur der Gipfel dieses einen antipodischen Teils. Aber darüber hinaus gibt es am Ende auch jemanden, der auf eine ganz andere Weise reagiert hat, nämlich Edgar Degas, der große Maler."

Und der hat seine Tänzerinnen bekanntlich nicht nur gemalt, sondern auch lebensgroß in Bronze gegossen. Zum Beispiel die berühmte Tänzerin von 1880, und zwar so lebendig und lebensecht, dass man ihm vorwarf, er habe den zierlichen Mädchenkörper einfach vom Modell abgeformt; und dass er ihn mit einem echten Ballettröckchen drapierte, machte den Skandal perfekt.
Die grandios inszenierte Schau räumt auch auf mit der beliebten Behauptung, es habe analog zum malerischen Impressionismus eine ähnliche Strömung in der französischen Plastik gegeben. Plastik hat immer vom Licht gelebt, genauso stark wie vom Schatten. Es ist allenfalls das Flüchtige, die belebte Oberfläche, die man hier in der ausdrucksstarken Abstraktion kompakter Leiber auch bei Matisse und Maillol studieren kann. Und das ist, wie man sieht, in der Plastik mindestens so aufregend wie in der Malerei und macht die Ausstellung zu einer einzigen Augenlust.

"Mein Plädoyer für die Plastik, weshalb sie so faszinierend ist, ist dass sie eigentlich die interaktivste Kunst ist, die man sich denken kann. Es gibt die feste Figur, es gibt den bewegten Betrachter und es gibt den Wechsel des Lichtes am Tage. Also Plastik ist immer anders. Das hat viele auch geärgert. Die Fotografen kommen nie der Plastik bei, weil jeder Fotograf zu jedem Augenblick ein anderes Bild von ihr macht, und das macht sie so spannend."

Die Ausstellung "elegant expressiv - Von Houdon bis Rodin - Französische Plastik des 19. Jahrhunderts" ist in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe bis zum 26. August 2007 zu sehen.