Libyen und die Katastrophe

"Zur Flucht nach Europa verdammt"

Aus dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge im Hafen von Messina auf Sizilien.
Diese Flüchtlinge hatten Glück - viele hundert andere nicht © AFP / Giovanni Isolino
Mirco Keilberth im Gespräch mit Marianne Allweiss und André Hatting · 20.04.2015
Der Untergang eines Flüchtlingsschiffs vor der libyschen Küste hat möglicherweise über 900 Menschen das Leben gekostet. In Libyen sei das Unglück mit Erschütterung aufgenommen worden, sagt der Journalist Mirco Keilberth, der sich zur Zeit in dem Land aufhält.
Nach Aussagen eines Überlebenden aus Bangladesch waren etwa 950 Menschen an Bord. Die Internationale Organisation für Migration erklärte, die Informationen würden geprüft. Ein Schiff der italienischen Küstenwache nahm 27 Überlebende auf.
Das Schiff war am Wochenende vor der Küste Libyens gekentert und gesunken. Laut der Küstenwache schlug es womöglich deshalb um, weil Flüchtlinge auf eine Seite geeilt waren, als sie ein unter portugiesischer Flagge fahrendes Containerschiff herannahen sahen.
Das Ablegen der Boote ist inzwischen pure Normalität
Die Bestürzung in Europa ist groß. Auch die Libyer seien erschüttert, berichtet der Journalist Mirco Keilberth, der zur Zeit in Libyen recherchiert. Doch ansonsten sei das Ablegen der Boote an der Küste inzwischen Normalität geworden. Zudem haben die Libyer andere Sorgen: Die schwere Krise im Land mache die Flucht über das Mittelmeer zu einem "Nebenkriegsschauplatz", so Keilberth.
Die Flüchtlinge, die sich derzeit noch in Libyen aufhalten, sitzen laut Keilberth mehr oder weniger in der Falle. Viele von ihnen könnten sich den Weg zurück in ihr Heimatland nicht leisten, zudem seien viele Routen von Milizen versperrt. Um die Überfahrt bezahlen zu können, verdingten sie sich auf libyschen Baustellen. Sie wüssten nicht, wie die Boote aussehen, in die sie steigen sollen, und würden von den Schleppern hören, dass sich die EU schon kümmern werde, sollte ein Boot in Not geraten.
Die Flüchtlinge seien "verdammt" dazu, die Reise über das Mittelmeer anzutreten, sagt Keilberth.
Die EU drängt ihre Mitglieder jetzt zum Handeln
Die EU-Kommission drängt die EU-Staaten nun zum Handeln. "EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker glaubt, dass es keine Option ist, den Status quo aufrechtzuerhalten", sagte ein Kommissionssprecher in Brüssel: "Es ist Zeit für eine gemeinsame Antwort."
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist nach den Worten von Regierungssprecher Steffen Seibert "erschüttert" über die Katastrophe. Dass sich solche Tragödien wiederholten, sei ein Zustand, der Europa - einem Kontinent, der sich der Humanität verpflichtet fühle - nicht würdig sei, sagte Seibert. Es gehe nun für die europäischen Staaten vor allem darum, solche Katastrophen künftig zu verhindern, das Schlepperunwesen zu bekämpfen und den Menschen in den Herkunftsländern bessere Perspektiven zu ermöglichen.
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