"Libyen ist kein großer Ölanbieter weltweit"

Leon Leschus im Gespräch mit Marietta Schwarz · 01.03.2011
Die tatsächlichen Förderausfälle durch die Unruhen in Libyen seien auf jeden Fall ausgleichbar, sagt Leon Leschus vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut. Die Anleger sorgten sich derzeit eher, dass sich die Unruhen auf Länder wie Saudi-Arabien ausweiten.
Marietta Schwarz: In vielen Ländern Nordafrikas wird revoltiert und der Westen beobachtet die Entwicklungen sorgenvoll. Auch im steigenden Ölpreis macht sich die Veränderung der politischen Lage dort bemerkbar. Die Angst vor einem Lieferengpass treibt die Preise in die Höhe. Das macht sich dann nicht nur an der Tankstelle und beim Heizöl bemerkbar, sondern auch durch Mehrkosten in der industriellen Produktion. Gestern berieten sich die Energieminister der Europäischen Union in Brüssel zu diesem Thema. Kommissar Oettinger befand, kein Grund zur Sorge. Wie hängen Umstürze und Ölpreise trotzdem zusammen? – Dazu Fragen an Leon Leschus, Rohstoffexperte am Weltwirtschaftsinstitut in Hamburg. Guten Morgen, Herr Leschus.

Leon Leschus: Ja! Schönen guten Morgen.

Schwarz: Die meisten Ölfelder in Libyen, die befinden sich ja nicht mehr unter Kontrolle des Machthabers Gaddafi. Ausländische Firmen ziehen ihre Mitarbeiter ab. Fließt denn momentan überhaupt noch Öl aus Libyen in die EU?

Leschus: Also die Situation im Moment in Libyen ist sehr unüberschaubar. Deswegen ist es auch nicht ganz klar abschätzbar, wie viel Öl noch in Libyen gefördert wird. Libyen hat vor Ausbruch der Unruhen etwa 1,6 Millionen Barrel pro Tag gefördert. Jetzt gehen Schätzungen davon aus, dass eine Million Barrel davon schon ausgefallen sind.

Schwarz: Aus Libyen ausbleibende Öllieferungen, die könnten ja durch die OPEC ausgeglichen werden. Welche Länder würden denn dann mehr liefern?

Leschus: Die OPEC-Länder haben etwa noch fünf Millionen Barrel an freien Kapazitäten. Also der Ausfall von Libyen könnte ohne Weiteres ausgeglichen werden. Und den größten Teil dieser freien Kapazitäten hat Saudi-Arabien mit 3,5 Millionen Barrel etwa.

Schwarz: Das heißt, von einer Ölkrise kann man momentan eigentlich noch nicht sprechen?

Leschus: Ganz genau. So würde ich das auch sehen.

Schwarz: Der Ölpreis ist ja trotzdem momentan sehr hoch, aber er ist schon seit Januar sehr hoch. Wie viel haben die Unruhen mit dieser Preisentwicklung überhaupt zu tun?

Leschus: Zunächst einmal ist der Ölpreis angestiegen, weil einfach weltweit auch viel mehr Öl nachgefragt wurde. Insbesondere China braucht für seine stark wachsende Wirtschaft viel Öl. Dann kam noch hinzu, dass wir einen ziemlich kalten Winter in Europa und in den USA hatten. Das hat auch noch mal die Nachfrage nach Heizöl erhöht. Das waren zunächst einmal die Gründe für die Preissteigerung, und dann kam hinzu, dass die Anleger befürchteten, dass es Angebotsengpässe geben könnte, und dann kam halt die Krise mit Libyen, wo ja noch Öl dann weniger gefördert wurde.

Schwarz: Kann man denn von einem künstlichen Antreiben der Preise überhaupt reden?

Leschus: In den Preisen sind natürlich jetzt auch viele Erwartungen drin und Sorgen, dass sich diese Unruhen auch noch ausdehnen könnten auf große Ölförderländer so wie Saudi-Arabien, weil wenn Saudi-Arabien mit in diesen Strudel hineingerissen würde, dann hätte das sehr starke Auswirkungen auf den Ölmarkt und wir würden Ölpreise wieder sehen, die 2008 auch erreicht waren, also bis hin zu 150 Dollar pro Barrel.

Schwarz: Also gibt es schon so etwas wie künstliche Preistreiberei?

Leschus: Das ist schwierig einzuschätzen. Es sind einfach Erwartungen, die da im Markt sind, und Ängste, und die treiben halt den Preis auch mit hoch. Also die tatsächlichen Förderausfälle, die wir bis jetzt haben, die sind auf jeden Fall ausgleichbar, und wenn wir das einmal ins Verhältnis setzen: Libyen hat vor der Krise 1,6 Millionen Barrel produziert und weltweit werden 89 Millionen Barrel pro Tag nachgefragt. Also Libyen ist kein großer Ölanbieter weltweit.

Schwarz: An den Tankstellen bekommen es die Verbraucher vielleicht am direktesten zu spüren, da zahlt man derzeit fast 1,60 Euro für einen Liter Benzin. Was hat das wiederum mit den Unruhen in Nordafrika zu tun?

Leschus: In dem Benzinpreis ist der Ölpreis natürlich wichtig, geht da mit ein. Gleichzeitig müssen wir aber auch sehen, dass 2008 - Viele wundern sich, warum der Benzinpreis jetzt schon so hoch ist wie im Jahr 2008, als der Ölpreis noch wesentlich höher lag, als er jetzt ist. Das ist aber auch begründet im Wechselkurs. Der Euro war damals wesentlich stärker als jetzt gegenüber dem US-Dollar, und das zeigt sich jetzt auch.

Schwarz: Gibt es denn Perspektiven, dass der jetzt wieder bald runtergeht?

Leschus: Ich persönlich gehe davon aus, dass der Ölpreis sich wieder beruhigen wird. Saudi-Arabien hat ja auch schon seine Förderung erhöht, auch schon angekündigt, dass man das ausgleichen möchte, was da in Libyen ausfällt, und das, denke ich, wird die Märkte beruhigen.

Schwarz: Einschätzungen zur Entwicklung des Ölpreises waren das von Leon Leschus, Rohstoffexperte am Weltwirtschaftsinstitut in Hamburg. Herr Leschus, vielen Dank für das Gespräch.

Leschus: Gern geschehen.
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