Libanon vor der Staatspleite

Jetzt auch noch der Nahostkonflikt

22:39 Minuten
Blick auf einen mit Menschen gefüllten Markt
Zwar gibt es im Libanon genug Lebensmittel, Medikamente und Treibstoff, aber nur gegen viel Geld. © picture alliance / AP / Hassan Ammar
Von Julia Neumann, Björn Blaschke und Martin Durm · 17.05.2021
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Der Libanon steht vor dem Aus: Lebensmittel, Medizin, Treibstoff sind unerschwinglich. Die Hisbollah-Miliz würde normalerweise im derzeitigen Nahost-Konflikt mitmischen, hält sich aber zurück. Das Volk hat andere Sorgen.
Drei Raketen auf Israel wurden vor ein paar Tagen aus dem Südlibanon abgeschossen - sie fielen ins Meer. "Das war wohl eher eine Aktion, um der Gefolgschaft zu gefallen", meint die Journalistin Julia Neumann aus Beirut über die Unterstützungsaktion der mächtigen Hisbollah für die Brüder und Schwestern der Hamas im Gazastreifen. Einmischen wird sich die Miliz wohl dieses Mal nicht.

Wirtschaftskrise überschattet Nahostkonflikt

Dabei fehlt es der Hisbollah nicht an Raketen. Sie ist – vom Iran ausgerüstet – bis an die Zähne bewaffnet. Es ist derzeit einfach nicht opportun, einen Krieg ins Land zu holen, denn der Libanon steht vor einer Staatspleite, erklärt Julia Neumann: "Der Libanon befindet sich in einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise, die durch den Lockdown noch verschärft wurde. Zehntausende Menschen haben ihren Job verloren, die Währung stürzte um 90 Prozent gegenüber dem Dollar ab. Laut Weltbank lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze."
Das hat schlimme Auswirkungen. Zwar gibt es genug Lebensmittel, Medikamente und Treibstoff, aber nur gegen viel Geld. Die allermeisten können sich nicht einmal mehr ernähren, es droht eine Hungersnot. Denn Ende des Monats, so die Prognosen, gehen dem Libanon die Devisen aus. Dann kann nur noch gegessen werden, was der Libanon produziert. "Und das ist nicht viel", weiß Journalistin Julia Neumann. "Minze, Tomaten, Linsen."


Korrespondent Björn Blaschke hat bei einem Spaziergang über einen Beiruter Markt Fatma getroffen. Sie ist Mutter von fünf Kindern und blickt kopfschüttelnd auf Stände mit Tomaten, Gurken, Zucchini, Auberginen – und auf die Preisschilder. Sie kann es kaum fassen.
"Ich suche nach den billigsten Sachen. Wir können uns weder Fleisch noch Geflügel leisten! Nur manches Gemüse. Das Billigste, was ich jetzt gefunden habe, sind Kartoffeln. Das Kilo für 3500 Lira. Ich komme manchmal auf den Markt und kann uns nur Gemüse kaufen, das schon halb verfault ist."

Lebensmittelpreise sind unerschwinglich

Für ein Kilo Kartoffeln: 3500 Lira. Das sind – nach offiziellem Wechselkurs – mehr als zwei Euro. Sabra ist einer der ärmsten Stadtteile von Beirut. Das Gedränge zwischen den Obst- und Gemüseständen ist groß, die Kundschaft sucht nach günstigen Angeboten.
Auch eine Armenspeisung gibt es, dort isst der Syrer Mansour und klagt an: "Unsere Situation ist schlecht. Es gibt nichts. Und wir können nicht nach Syrien zurückkehren. Ich komme jeden Tag hierher, um zu essen. Sonst gibt es kein Essen. Es gibt auch keine Jobs. Die Arbeit hier bringt nicht viel. Was man als Tagelöhner verdient, reicht mal eben für die Unterkunft. Aber: Gott wird die Dinge schon regeln."


Es ist noch kein Jahr her, als eine Explosion im Hafen von Beirut ganze Stadtviertel zerstörte. Damals protestierten die Libanesinnen und Libanesen lautstark gegen die Politik und die Regierung musste zurücktreten. Seither gibt es keine Regierung mehr im Libanon. Die Interessen der unterschiedlichen Religionsgruppen, die die politische und wirtschaftliche Macht unter sich aufteilen, sind konträr und man wird sich nicht einig, was die Regierungsbildung anbelangt.
Blick über das Wasser auf Beirut und den Hafen von Beirut. Eine große Rauchwolke steigt auf.
Bis heute sind die Hintergründe der Explosion im Hafen von Beirut im September 2020 nicht bekannt. © picture alliance / AP / Hussein Malla
Vor allem wird befürchtet, dass die extrem verbreitete Korruption aufgedeckt und bekämpft werden könnte, wenn der falsche Kandidat Justizminister wird. Und so gibt es keinen Ansprechpartner für die Misere, nicht einmal die Ursachen für die Explosion sind gefunden, geschweige denn aufgeklärt.

Palästinenser fühlt sich verraten

Neben 1,5 Millionen syrischen Flüchtlingen beherbergt der Libanon auch Generationen von Palästinensern, die nach wie vor in Lagern leben und weder einen ordentlichen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, noch die libanesische Staatsbürgerschaft bekommen.
Sie sind nach der Gründung des Staates Israel 1948 gekommen und haben im Libanon bereits ihre eigene Geschichte geschrieben. Es ist aus ihrer Sicht eine Geschichte des Verrats, berichtet Martin Durm, der gerade eines der Lager besucht hat. "Es gibt für uns keine Lösung, wir können nur noch schreien oder weinen", sagt Marian. "Die Regierungen auf der ganzen Welt kümmern sich nicht darum, was mit uns Palästinensern geschieht. Die USA stehen hinter Israel und die arabischen Regierungen sind unfähig. Wir können nichts mehr tun, und wir wissen das auch."

Bis nach Gaza sind es von hier aus gerade einmal 300 Kilometer, dazwischen liegt Israel. Die emotionale Verbindung zu Gaza ist hier groß. "Es geschieht einfach immer wieder, auch jetzt. Palästinenser sterben, sie werden getötet", sagt Marian zum aktuellen Konflikt. "Und es geschieht nichts."
Blick von oben auf eine Demonstration. Am Beginn des Demonstrationszug weht eine Flagge aus Palästina.
Eine Demonstranten am 16. Mai in Beirut in Solidarität mit Palästina.© picture alliance / APA Images via ZUMA Wire / Haitham Moussawi
Die Verlautbarungen der Arabischen Liga kommen hier nicht mehr an, nicht einmal mehr als Solidaritätsadresse. Marian fühlt sich und ihr Volk verraten. Denn was immer die Arabische Liga beschließt und verkündet – es bleibt absolut folgenlos.
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