Libanon-Entscheidung

Von Jochen Thies |
Der Weg der Bundesmarine an die Gestade des Libanon ist vorgezeichnet. Deutschland möchte See- und Friedensmacht sein, spottete die "Frankfurter Allgemeine" vor wenigen Tagen und hat damit nicht ganz Unrecht.
Denn die deutschen Parteien haben es in den vergangenen Jahren unterlassen, eine breite Diskussion darüber zu führen, was deutsche Interessen sind und wo der Bogen überspannt ist. Das stete Nein der Schröder-Regierung zu einem Irak-Einsatz, die massive Kritik nicht nur an der Person des amerikanischen Präsidenten, sondern an Amerika insgesamt, haben der deutschen Öffentlichkeit die gefährliche Illusion vermittelt, das Land könne sich aus den großen Konflikten dieser Welt heraushalten.

Aber es wurden gleichzeitig auch andere Signale gesendet. Deutschland will ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat werden. Und in der Iran-Debatte ist es dies bereits faktisch. Darüber hinaus stellt es Truppen für die Rapid Reaction Force der NATO ab, die dem nächst ihre Einsatzbereitschaft erreicht und binnen weniger Tage – unter deutscher Beteiligung wohlgemerkt – irgendwo auf der Welt zum Einsatz kommen soll. Was wird dann aus dem Parlamentsvorbehalt, aus der Kanzlermehrheit werden?

Gleichzeitig dämmert vielen nachdenklichen Menschen im Lande, dass Deutschland möglicherweise doch nicht am Hindukusch verteidigt wird. Ausgerechnet die FDP, die jahrzehntelang den Außenminister stellte, macht sich nun zum Wortführer einer Bewegung, die eine Beendigung des dortigen Engagements fordert. Die Linkspartei unter Lafontaine und Gysi sagt dies schon seit längerem, und bei den Grünen wächst ebenfalls die Versuchung, Nein zum Sicherheitspolitik der Koalition zu sagen. Die Nervosität in den Reihen von CDU/CSU und SPD wächst. Die Begründungen für den Libanon-Einsatz wechselten in den letzten zwei Wochen beinahe täglich. Die Abstimmung zwischen Kanzleramt, Außenamt und Verteidigungsministerium klappte überhaupt nicht.

Zu den vorhandenen Brennpunkten des Geschehens, zum Balkan und zu Afghanistan kamen weitere Krisenherde in letzter Zeit hinzu: der Kongo, nun der Libanon und später im Herbst aller Wahrscheinlichkeit nach Darfur. Nun rächt sich, dass das Land seine außen- und sicherheitspolitischen Hausaufgaben – wie man so schön sagt – nicht gemacht hat. Nun braucht die große Koalition Glück, dass weder in Afghanistan noch im Kongo in nächster Zeit etwas Größeres passiert. Aber dies ist noch lange kein Grund, in den Hochzeiten einer Krise, in der Stunde der Bewährung in Schweden Urlaub zu machen, wie es der Chef des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Potsdam, General Viereck, in der letzten Woche getan hat.

Krasser kann man nicht versagen, und wer in diesen Tagen mit Bundeswehrsoldaten in ihren Kasernen zusammentrifft, bemerkt rasch, was sie bedrückt. Die riskanten Auslandseinsätze werden von der Politik nicht hinreichend erklärt, viele Soldaten bezweifeln die Sinnhaftigkeit des Afghanistan- und des Kongoeinsatzes. Und die Versorgungsansprüche im Ernstfall sind noch immer nicht hinreichend geklärt. Und dies angesichts bedrohlich anwachsender Verlustzahlen: seit Beginn der neunziger Jahre kamen 100 Soldaten bei Auslandseinsätzen ums Leben, 4800 erlitten Verletzungen. Auch das wird in unserem Land verdrängt. Aber es macht den Vorstoß des nicht immer glücklich operierenden Verteidigungsministers Jung verständlich, ein Ehrenmal in Berlin zu errichten.

Jung wurde gleichzeitig zurückgepfiffen, weil er die Wahrheit sagte, weil er ein Tabuthema ansprach: das des Kampfeinsatzes. Mag Deutschland aus historischen Gründen im Libanon auch das Richtige tun und sich auf die Kontrolle der Seegrenzen beschränken, so kann es in Afghanistan die Realitäten nicht verdrängen. Der Norden des Landes ist glücklicherweise noch immer ruhig, aber im Süden stehen nicht nur Amerikaner und Briten unter erheblichen Verlusten im Kampfeinsatz, sondern auch – den Deutschen in ihrer Mentalität verwandt – Kanadier und Holländer. Im Libanon sind Franzosen, Italiener und andere befreundete Staaten längst an Land. Derartige Umstände lassen sich nicht übersehen. Sie verlangen von Deutschland, aber zunächst von den deutschen Parteien schmerzhafte, ehrliche Antworten.