LGBT-Szene im Libanon

Feiern ohne Küssen auf der Tanzfläche

Zuhörer der libanesischen Gruppe Mashrou Leila halten beim Konzert am 22.09.2017 in Kairo (Ägypten) eine Regenbogenfahne in die Höhe. Wegen einiger Regenbogenfahnen bei einem Konzert in Kairo soll die wohl bekannteste Indie-Rockband der arabischen Welt nicht mehr in Ägypten auftreten dürfen. Das teilte der zuständige ägyptische Verband für Musiker am 25.09.2017 der Deutschen Presse-Agentur mit. (zu dpa "Wegen Regenbogen: Ägypten will bekannteste Indie-Rockband verbannen" vom 25.09.2017 - Bestmögliche Qualität) Foto: Benno Schwinghammer/dpa | Verwendung weltweit
Zuhörer der libanesischen Gruppe Mashrou Leila halten beim Konzert im September 2017 in Kairo (Ägypten) eine Regenbogenfahne in die Höhe. © dpa
Von Gerd Brendel · 08.01.2018
An keinem Ort im nahen und mittleren Osten, mit Ausnahme von Tel Aviv vielleicht, lässt sich so unbeschwert Feiern wie in Beirut. Die Clubs sind legendär. Dazu gehört auch das schwul-lesbische Nachtleben. Im Alltag erleben Homosexuelle im Libanon aber noch viel Diskriminierung.
"Hey guys, are you leaving...? We have something for you… enjoy world aids day..."
Vor der Garderobe vom "Reunion", einem der angesagtesten Clubs der libanesischen Hauptstadt. Die Djs kommen aus Berlin oder New York. Nicht nur die Beats entsprechen westlichen Ausgehstandards auch die Preise. Ein freundlicher junger Mann mit Brille verteilt Kondome und Broschüren über sexuell übertragbare Krankheiten. Die angesprochenen Partygäste reagieren amüsiert-verlegen, so wie vermutlich überall auf der Welt. Die meisten kennen den Kondomverteiler: Hadi Damien, der vermutlich am häufigsten interviewte Homosexuelle des letzten Jahres.
Im Mai hat er das erste "Gay pride festival" der gesamten arabischen Welt organisiert. Es gab Diskussionen zur rechtlichen Situation von Homosexuellen und zur Darstellung von Schwulen und Lesben in den libanesischen Medien. Auf einen Umzug durch die Straßen der Stadt hatten die Veranstalter zwar verzichtet, aber am letzten Pride-Wochenende gab es doch so etwas wie eine öffentliche Demonstration im Ausgehviertel Mar Mikael.
"Wir haben dafür gesorgt, dass alle Veranstaltungen umsonst und leicht zugänglich waren, und am letzten Samstag des Festivals wehten vor 19 Bars in Mar Mikael Regenbogenflaggen."
Auch an den Tagen an denen keine Regenbogenflaggen vor den Bars wehen – im Nachtleben von Beirut, scheint für alle Platz zu sein. Schwule Dating-Apps sind frei zugänglich. Es gibt schwul-lesbische Bars und in den Lokalen in Mar Mikael flirtet ab ein Uhr Nachts sowieso jeder und jede mit jedem und jeder. Den Weg zur größten Homo-Disco ein paar Kilometer außerhalb vom Zentrum kennt sowieso jeder Taxifahrer.
Hier im "Project" bin ich mit der Club-Managerin Sandra Menhem verabredet.
"Lets get you a drink and show you around... it gets packed in thirty minutes..."
Schon jetzt drängeln sich Männer und Frauenpaare auf der Tanzfläche.
"Es ist ein sehr, sehr homo-freundlicher Club, aber das, was ihr in Berlin treibt, geht bei uns nicht. Kein öffentliches Zurschaustellung von Zärtlichkeit! Nein, kein Küssen, da passen unsere Sicherheitsleute auf. Wir machen das auch um uns zu schützen."
Vor fundamentalistischen Geistlichen und konservativen Politikern. Vor fünf Jahren ließ der Bürgermeister einer Kleinstadt bei Beirut einen schwulen Club nach einer Razzia schließen und erst kürzlich wetterte Hisbollah Chef Scheich Nasralla gegen degenerierte Homosexuelle. Wie erlebt Sandra selbst die libanesische Gesellschaft?
"Ich selbst hatte nie Probleme. Bei meinen Eltern bin ich geoutet. Am Anfang war es schwierig, aber ich glaube, als Mädchen hat man es hier leichter als als Junge. Als Mann wird von Dir ein bestimmtes Verhalten in der Öffentlichkeit erwartet, als Frau stehst Du nicht so unter Beobachtung und kannst Dich besser verstecken."
Dabei sieht Sandra, Bürstenhaarschnitt, Jeans, stechender Blick, nicht so aus, als würde sie sich jemals vor irgendjemandem verstecken.

Arabischer Pop-Song der schwule Beziehung thematisiert

Im Club stehen die Gäste inzwischen auch auf der Empore über der Tanzfläche. Da wo die wachsamen Blicke der Sicherheitsleute nicht hinreichen – Hüfte an Hüfte aneinandergeschmiegt. Einer von ihnen ist Ali. Wir kommen ins Gespräch. Er ist Verkäufer und wohnt bei der Familie seiner Schwester in Hamra, im islamisch geprägten Teil Beiruts. In seinem Viertel hat die schiitische Hisbollah das Sagen, aber er hat noch nie Probleme mit Nasrallas Gefolgsleuten gehabt, selbst nicht, als er mit seinem Freund Hand in Hand auf der Straße unterwegs war.
Auch die Familie tolerierte die Beziehung ohne Nachzufragen. Nach fünfjähriger Beziehung bekam Ali’s Freund allerdings von seinem Vater seine zukünftige Ehefrau präsentiert. Jetzt lebt er mit Frau und zwei Kindern außerhalb Beiruts. "Aber", Ali fasst sich an sein Herz, "er wird immer die große Liebe meines Lebens bleiben". Es ist die gleiche Geschichte, die vor ein paar Jahren von der libanesischen Band Mashrou Leila erzählt wurde:

"Rieche den Jasmim und vergiss nicht, Dich an mich zu erinnern,
Mein Bruder, meine Liebe,
Wie gerne hätte ich Dich bei mir behalten, Dich meinen Eltern vorgestellt.
Aber jetzt wohnst Du bei Dir und ich bei mir.
Hätte ich Dich doch nur nie gehen lassen.
Rieche den Jasmin, und vergiss nicht, mich zu vergessen"

Mit ihrem Lied wurden die Band und ihr Lead-Singer Hammed Sio nicht nur im Libanon, sondern auch in den Nachbarländern schlagartig berühmt. Es war das erste Mal, dass eine schwule Beziehung in einem arabischen Pop-Song thematisiert wurde. Der Ruhm bescherte Mashrou Leila allerdings nicht nur Fans. Als vor einem Vierteljahr während eines Konzerts in Kairo einige Besucher Regenbogenflaggen hochhielten, reagierten die Behörden prompt: Die Flaggenschwenker wurden verhaftet, die Band mit einem Auftrittsverbot belegt als "Gefahr für die öffentliche Moral". Dergleichen wäre im Libanon undenkbar.
Ausverkauftes Konzert der libanesischen Kultband Mashrou' Leila
Ausverkauftes Konzert der libanesischen Kultband Mashrou' Leila© Mashrou' Leila

"Die Gesellschaft hier kann ganz schön verlogen sein"

Allerdings sind die tanzenden Homo-Paare und die Regenbogenflaggen vor den Bars auch nur die eine Seite. Als ich Ali frage, ob ich seine Geschichte aufnehmen kann, schüttelt er entschieden den Kopf. Nicht jeder lebt so offen homosexuell wie Sandra, Hadi oder der Mashrou-Leila Frontman Hammed Sio, und nicht jeder kann es sich leisten.
"Die Gesellschaft hier kann ganz schön verlogen sein. Nur weil es ein paar schwule Bars gibt, lebt noch lange nicht jeder frei. Es kommt darauf an, aus welcher sozialen Schicht Du kommst."
Joseph Aoun, leitet das LGBT Zentrum "HELLEM", eine geräumige Altbauwohnung über den Bars im Ausgehviertel Mar Mikael.
"Wir versuchen es hier so gemütlich wie möglich zu machen: Mit einer Küche, einer Waschmaschine, einer Dusche, für Leute die auf der Straße wohnen."
Zum Beispiel Ahmed, der von den Eltern vor die Tür gesetzt wurde, als sie herausfanden, dass er schwul ist, oder Zakaria, ein junger Flüchtling aus Syrien. Die beiden sitzen im Wohnzimmer und wühlen sich durch einen Sack Kleiderspenden. Neben der Sozialarbeit, engagieren sich Joseph und seine Mitarbeiter vor allem als Rechtsbeistand. Die Gesetzeslage ist kompliziert. Einerseits.
"Es gibt den Artikel 534 im Strafgesetzbuch, ein Überbleibsel aus der französischen Mandatszeit, der jede ´widernatürliche Sexualpraxis` unter Strafe stellt, und praktisch nur gegen Homosexuelle angewendet wird. Dieses Gesetz lässt sich nicht ändern – dazu ist der Einfluss der Religion im Libanon zu mächtig."
Andrerseits:
"Andrerseits haben in den letzten Jahren vier Richter das Gesetz als verfassungswidrig eingestuft. Und es kommt kaum noch zu Verurteilungen. Aber die Polizei steckt Homosexuelle in Untersuchungshaft. Das wird dann im Führungszeugnis vermerkt. Und so ein Vermerk kann das Aus bedeuten, wenn man zum Beispiel ein Arbeitsvisum für ein anderes arabisches Land braucht."
Ein Kuss im Auto oder ein sich umarmendes Männerpaar auf einem Facebook-Post kann schon reichen, um verhaftet zu werden. Wer keine Beziehungen hat oder nicht genug Geld, um die Polizisten zu bestechen, landet schnell in der Arrestzelle.
"Die Polizei versucht in der Regel, den Verhafteten auch noch Verfahren wegen Drogenmissbrauch, Prostitution oder öffentlichem Sex anzuhängen."
100 solche Verhaftungen gibt es pro Jahr, erzählt Joseph. Auch er selbst hat schon Erfahrungen mit den Sicherheitsbehörden gemacht. Vor ein paar Jahren, als er noch als Geschäftsführer eines schwulen Lokals arbeitete, wurde er vom Geheimdienst des Militärs vorgeladen:
"Ich wurde sechs Stunden lang mit verbundenen Augen verhört. Die Geheimdienstler haben mich gefragt, ob mich mein Bruder missbraucht hätte und wie ich Sex habe. Zum Schluss haben Sie meinen Vater dazu geholt, und ihn gefragt, ob er weiß, dass sein Sohn eine Schwuchtel ist. Mein Vater hat geantwortet: Mein Sohn kennt seine Pflichten aber auch seine Rechte. Da haben Sie mich endlich freigelassen."
Die erniedrigende Erfahrung verfolgte Joseph lange bis in seine Träume.
"Acht Monate lang träumte ich davon, wieder verhaftet zu werden. Ich kam mir wie ein Verbrecher vor. Dabei habe ich nichts Falsches gemacht."
Schnell wischt der Aktivist die Tränen vom Bart. Mit seinem Vater hat er nie über seine Homosexualität gesprochen. Und seine Mutter?
"Meine Mutter hat mich irgendwann einmal zur Rede gestellt. Sie ist eine sehr konservative Christin und sie hat ganz schön Theater gemacht. Vor allem hat sie sich geschämt, dass ich als erster, vor meinem älteren Bruder, mit 25 von zu Hause ausgezogen bin. In der Regel bleiben die Kinder bis zur Heirat zu Hause wohnen."
Kirchenglocken unterbrechen unser Gespräch.

Autoritäten achten streng auf traditionelle Moral

Familie und Religion prägen das Leben vieler Libanesen, von der Erziehung bis zur Partnerwahl. Ganz gleich ob christliche Maroniten, Schiieten, Sunniten oder Armenier: Die religiösen Autoritäten achten streng auf traditionelle Moral. Das betrifft nicht nur Homosexuelle, sondern auch heterosexuelle Paare aus unterschiedlichen Religionen. Und trotzdem leben in Beirut selbst verheiratete homosexuelle Paare zusammen, wie Gabriel und Boutros. Ich treffe die beiden an meinem letzten Abend bei Freunden in Jetouieh, einem kleine-Leute Viertel, in dem es eine armenische Kirche gibt, einen kleinen Park mit einer kitschigen Madonna und ein Studentencafe, das selbstgemachten Zitronenkuchen im Angebot hat. Gabriel arbeitet als Moderator bei einem Fernsehsender, sein Ehemann in einer Werbeagentur. Geheiratet haben sie vor ein paar Jahren in England.
"Zusammen mit Freunden und mit der Familie. Wir haben das nicht an die große Glocke gehängt, trotzdem tauchten bald Gerüchte in den Boulevard-Medien auf. Es gab reißerische Zeitungsartikel, ohne dass unsere Namen genannt wurden."

Gabriel, der in Wahrheit anders heißt, hat seine Entscheidung trotzdem nicht bereut.
"Eine Menge Leute haben mir hinterher zu unserem Mut gratuliert. Und ich weiß, dass ich Glück hatte. Wenn man ein bisschen besser gestellt ist, kann man sich mehr erlauben. Das ist unfair, aber unser Land ist unfair, ein Land voller Widersprüche, religiöser und sozialer Widersprüche."
Als Schwuler, als Lesbe in Beirut leben, das geht leichter als in Amman oder in Kairo, und fast so einfach wie in Tel Aviv, vorausgesetzt man oder frau kann es sich leisten. Wer die Widersprüche öffentlich zur Sprache bringt, wie Joseph Aoun von "Helem" oder die Band Mashrou Leila gerät allerdings schnell ins Kreuzfeuer von Sicherheitsbehörden und Religionsführern. Dabei geht es "Mashrou Leila", Joseph Auon oder Hadi Damien letztendlich nur um eine Gesellschaft, in der alle ihren Platz haben. Das nächste "Gay Pride Festival" ist schon in Planung.
Mehr zum Thema