Lexikon statt Abenteuer

26.07.2013
Die Nordwestpassage ist eine sagenumwobene, etwa 5780 Kilometer lange Wasserstraße am Nordrand des amerikanischen Kontinents. Gudrun Bucher beschreibt umfassend, aber leider sehr nüchtern ihre Entdeckungsgeschichte.
Am Anfang waren die Gewürze: Der Hunger nach ihnen und dem Geld, das man mit ihnen verdienen konnte, löste im 15. Jahrhundert das Zeitalter der Entdeckungen aus. Nachdem Spanien und Portugal Ende des 15. Jahrhunderts mit Billigung des Papstes die neu entdeckten Länder und Seewege unter sich aufgeteilt hatten, suchten Holland, England und andere Nationen neue Wege zu den Gewürzmärkten Asiens. Dass der beste entlang der Nordküste Nordamerikas führte, nahm man stillschweigend an: Noch bevor man überhaupt wusste, wo er verlief, wurde er auf Weltkarten eingezeichnet.

Handelskonsortien wie die "Company of Merchant Adventurers" finanzierten die ersten Entdeckungsfahrten. Martin Frobisher erreichte die Einfahrt zur heutigen Hudson-Bay, Jacques Cartier fuhr den St. Lorenz-Strom hinauf bis zum Mont Real, dorthin, wo heute Montreal liegt. Die Entdecker fanden vermeintlich Gold, es stellte sich als wertloser Pyrit heraus, dazu aber gut verkäufliche Robbenfelle.

So gaben die Handelsgesellschaften nicht auf, zumal ihnen alle Schreibtischgelehrten versicherten, die Durchfahrt sei da. Das englische Parlament lobte schließlich1745 eine Prämie von 20.000 Pfund für denjenigen Engländer aus, der die Passage als Erster meistern würde. Doch das dauerte. Als der Norweger Roald Amundsen sie von 1903 bis 1905 endlich durchfuhr, brauchte man sie schon nicht mehr: Der Seeweg war unwirtschaftlich. Durch den Klimawandel könnte sich das aber in Zukunft ändern.

Gudrun Bucher beschreibt Expedition für Expedition; ihre Fortschritte, ihre Routen, ihr Scheitern. Alles in einer unaufgeregte, präzisen Sprache. Leider setzt sie dabei mehr auf Vollständigkeit als auf Eindringlichkeit. Keine Entdeckungsreise wird ausgelassen, aber bei keiner gelingt es ihr, etwas von der Stimmung auf den Schiffen, von den Ängsten und Hoffnungen der Segler zu vermitteln. Die besondere Atmosphäre der Eismeerfahrten und der Zauber der eisigen Polarlandschaft fehlen vollständig.

Dabei ist dieser gut durch Reiseberichte dokumentiert. Man muss nicht von John Franklin erzählen, der in einer frühen Expedition seine Schuhe aß und später spektakulär scheiterte. Es gibt genug andere spannende Geschichten: Die von Henry Hudson, dessen Mannschaft meuterte und ihn mit wenigen Getreuen in einem Boot in der Hudson Bay absetzte – bis heute fehlt von ihnen jede Spur. Oder die von Alexander Mackenzie, der Ende des 18. Jahrhunderts 5000 Kilometer im Kanu zurücklegte und dabei bewies, dass es von der Hudson Bay keinen Ausgang zum Pazifik gab. So was findet sich hier nicht: Die Abenteuer muss man anderswo nachlesen. Wer aber ein handliches, teils schön bebildertes Kompendium, ein Lexikon der Nordwestpassage, sucht, ist bei Gudrun Bucher richtig.

Besprochen von Günther Wessel

Gudrun Bucher: Abenteuer Nordwestpassage - Der legendäre Seeweg durch die Arktis
Primus Verlag, Darmstadt 2013
224 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 24,90 Euro