Leuchtend weiße Rechtecke und Meeresbilder

Von Volkhard App |
Hiroshi Sugimoto ist einer der immer seltener werdenden Fotografen, die sich der digitalen Technik verweigern: Von Fotografie könne man angesichts moderner Manipulationsmöglichkeiten am Computer nicht mehr sprechen, sagt der Künstler. Die Neue Nationalgalerie in Berlin zeigt derzeit "richtige Fotos" von Sugimoto.
An ihnen kommt keiner vorbei: an diesen leuchtend weißen Rechtecken auf den Fotos von Hiroshi Sugimoto. Er hat immer wieder in Kinos fotografiert, in Filmpalästen wie in simplen Autokinos - und dabei vor seinem Apparat jeweils einen ganzen Film ablaufen lassen, sodass die magischen Leinwände auf seinen Fotos eben nicht wirklich leer sind. Vielmehr leuchten sie, weil sie die Summe all der in eineinhalb Stunden projizierten Filmbilder darstellen.

Die gleißenden Rechtecke in dieser sehr bekannten Serie erscheinen den einen als Reminiszenz an westliche Minimal Art und Konzeptkunst, für andere Betrachter sind sie fast schon Ausdruck fernöstlicher Spiritualität. Wer hat Recht? Sugimoto:

"Nichts ist falsch, und nichts ist richtig. Zu meinen Fotos kann sich jeder äußern, wie er möchte. Es gibt 100.000 verschiedene Antworten auf meine Arbeiten, so ist meine Kunst angelegt."

Der in Tokio und New York lebende Sugimoto verbindet westliche und fernöstliche Einflüsse miteinander. Um Zeit, Raum und Menschheitserinnerung bewegen sich viele seiner Serien.

Groß ist die suggestive Kraft auch bei den Meeresbildern. Sugimoto hat die Kontinente bereist, um die See und den Himmel darüber aufzunehmen - und zwar in präziser Bildstruktur: Das Meer nimmt jeweils die untere Hälfte des Fotos ein, der Himmel die obere. Tageszeiten und Wetterverhältnisse mögen wechseln, manchmal verschwimmt der Horizont auch im Nebel oder die Wellenlandschaft ist in tiefe Nacht getaucht, aber all diese Fotos korrespondieren auf wunderbare Weise miteinander und vermitteln einen Hauch von Ewigkeit.

An einer Stelle hat man in Berlin die "Meeresküste bei Mondschein" von Caspar David Friedrich dazugehängt:

"Ich bin mit der deutschen Romantik befasst und habe mir deshalb auch ein Gemälde des berühmten Caspar David Friedrich ausgeliehen und zeige es hier zusammen mit meinen 'Seelandschaften'. Da gibt es Gemeinsamkeiten. Andererseits lebte er im Geist des 19. Jahrhunderts, ich arbeite im 21. Da stimmt manches überein, aber nichts ist völlig gleich."

In der Neuen Nationalgalerie wirken diese Meereslandschaften anders als beim Tourneeauftakt in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, wo sie lichtüberflutet nebeneinander präsentiert wurden und ein spektakuläres Entrée boten. In Berlin wird ihnen passagenweise das künstliche Licht sogar ein wenig entzogen, sodass der sakrale Charakter dieser Fotos in mystische Düsternis umschlägt.

Aber Sugimoto hat eben für diese Präsentation in der Neuen Nationalgalerie spannungsvolle Hell-Dunkel-Kontraste inszeniert, die Stimmung wechselt von Raum zu Raum. Dort, wo reichlich Licht vorhanden ist, fügen sich seine klar konzipierten Fotos plausibel in den transparenten Bau Mies van der Rohes.

Geblieben ist die einmalige Gelegenheit, Sugimotos serielle Fotoarbeit über eine Spanne von drei Jahrzehnten in Augenschein zu nehmen. Von frühen Werken, auf denen er authentisch wirkende Schaukästen in naturkundlichen Museen mit Tieren und frühen Menschen abgelichtet hat und so mit dem Verhältnis von Wirklichkeit und Illusion spielt, bis zu den verschwommenen, schattenreichen Architekturfotos.

Hier sind das Guggenheim Museum und das Seagram Building van der Rohes durch kunstvolle Unschärfe zu Menetekeln geworden, zu einem archaischen Traum von der Moderne:

"Ich projiziere meine eigenen Vorstellungen in diese Gebäude, um herauszufinden, wovon der Architekt anfangs vielleicht geträumt hat - noch vor seinem ersten richtigen Entwurf. So mache ich eine Zeitreise in die Vergangenheit und versuche, diese ursprünglichen Ideen in traumähnliche Fotografien umzusetzen."

Mit der Zeit, so scheint es, ist die Arbeit Sugimotos experimentierfreudiger geworden. Auch Schattenspiele an der Wand studiert er mit der Kamera und benutzt dafür sogar einen Farbfilm. Und lässt sich auch mal auf das Moment des Zufalls ein: wenn sich elektrische Energien auf Fotoplatten entladen und für bizarre Muster sorgen.

Zu fragen ist, ob es für Sugimotos Arbeit im Ganzen noch eine inhaltliche Klammer, eine gemeinsame Aussage gibt. Kuratorin Angela Schneider, die sich mit dieser Schau nach Jahrzehnten von der Neuen Nationalgalerie verabschiedet:

"Gemeinsam ist vielen Arbeiten die Frage nach der Zeit, dem Moment und der Ewigkeit. Und nach der Konsistenz der Dinge. Und ich glaube, auch die Frage, ob etwas real ist oder ein 'fake', zählt dazu. Es sind Themen, die eigentlich in den philosophischen Bereich gehören, die aber - anders gestellt - in allen Serien vorhanden sind."

Sugimoto hat bei den meisten Schwarzweiß -Serien mit einer altertümlichen Großbildkamera gearbeitet. Dass er auch Aufnahmen des Fotopioniers William Henry Fox Talbot aufgreift, dessen Motive bearbeitet und sie so als Botschaft aus der Frühzeit des Mediums in die Gegenwart überliefert, unterstreicht das Selbstverständnis Sugimotos. Denn er sieht sich in einer altehrwürdigen Tradition und geht auf Distanz zur "schönen neuen Medienwelt" mit ihren digitalen Möglichkeiten:

"Mit der Fotografie ist, seit es sie gibt, immer schon die Manipulation der Erscheinungswelt verbunden gewesen. Aber nun, im digitalen Zeitalter, ist am Computer alles möglich. Ich stehe in meiner Auffassung eher dem 19. Jahrhundert nahe. Vielleicht bin ich der letzte Künstler, der 'richtige' Fotografien mit traditionellen Methoden herstellt. Was dagegen heute geschieht, kann ich nicht mehr Fotografie nennen - das ist einfach Bilderproduktion."

Aber es gibt wohl doch eine klare Zäsur in Sugimotos Schaffen. Die New Yorker Twin Towers befinden sich nicht nur unter den gezeigten, verschwommenen Architekturfotos. Der "11. September" hat überhaupt großen Einfluss auf den Künstler gehabt:

"Das hat die Welt verändert - und meinen eigenen Stil. Bis zu diesem Zeitpunkt reiste ich mit großer Kamera und schwerer Ausrüstung. Aber zum Beispiel für meine 'Seelandschaften' unterwegs zu sein, ist wegen der strengen Sicherheitsmaßnahmen auf den Flughäfen kaum noch möglich. Ich kann nicht glaubhaft machen, dass ich Filme mitführe:Man möchte, dass ich die Geräte und Boxen öffne und die Filme heraushole - das aber wäre das Ende meines Jobs. So hat sich mein Leben als Künstler wirklich verändert."