Letzte Tonbänder der SED veröffentlicht

Die Halbgötter der Partei vor ihrem politischen Ende

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Am ehemaligen Gebäude des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in Berlin-Mitte wehen Fahnen der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) vor einem stilisierten Porträt des Parteivorsitzenden Gysi, aufgenommen am 22.03.1990. Die frühere DDR-Staatspartei beschloss zu Jahresbeginn 1990 ihre Umbenennung.
Am ehemaligen Gebäude des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in Berlin-Mitte wehen Fahnen der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) vor einem stilisierten Porträt des neuen Parteivorsitzenden Gysi. © picture-alliance/dpa/Karlheinz Schindler
Detlef Nakath im Gespräch mit Liane von Billerbeck  · 20.01.2020
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Einen neuen Einblick in die Zeit des Übergangs von der SED zur PDS ermöglicht die Publikation von Dokumenten nun 30 Jahre danach. Der Historiker Detlef Nakath erläutert die Bedeutung von Tonbandprotokollen, die jetzt zu hören und bald nachzulesen sind.
Mitte Dezember 1989 wurde aus der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) die SED-PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus), die sich heute "Die Linke" nennt. Ihr neuer Vorsitzender hieß damals Gregor Gysi. Doch noch immer gehörten die verbliebenen 17 ehemaligen Mitglieder und Kandidaten des Politbüros, des höchsten politischen Führungsgremiums und damit des Machtzentrums der ehemaligen SED, der neuen Partei an – bis zum 20. Januar 1990.
Damals, vor genau 30 Jahren, beschloss die Zentrale Schiedskommission der SED-PDS in einer mehr als zwölfstündigen Nachtsitzung, führende Funktionäre und ehemalige Politbüromitglieder aus der SED-Nachfolgepartei auszuschließen. Wie das ablief, kann man jetzt mithören und demnächst auch noch in einem Buch nachlesen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Karl-Dietz-Verlag veröffentlichen erstmals die Tonbandprotokolle der Schiedsgerichtssitzung jener Nacht.

Historische Stunden

Interessant sei vor allem, diesen Wechsel von einer diktatorischen Partei noch einmal mit zu vollziehen, die sich damals auf den Weg gemacht habe, im demokratischen und parlamentarischen Leben aktiv zu werden, sagt der Historiker und Herausgeber Detlef Nakath. "Es waren damals zum größten Teil noch die alten Funktionäre innerhalb der Partei tätig."
1990 sei es vor allem darum gegangen, wie man mit den Politbüro-Mitgliedern umgehen wollte. "Ich habe eher den Eindruck, dass man mit poststalinistischen Mitteln versuchte, den Stalinismus auszutreiben", schildert Nakath seinen Eindruck von der Nachtsitzung. Es sei ein Parteigericht gewesen, keine juristische Aufarbeitung. "Das waren früher Halbgötter in der Parteiführung der SED." Nun hätten sie einzeln noch einmal die Möglichkeit gehabt, ihre Positionen zu präsentieren und sich Fragen der Parteibasis zu stellen. Das sei für alle eine ungewöhnliche Situation gewesen.
(gem)

Stephan, Gerd-Rüdiger/Nakath, Detlef (Hrsg.), Ausschluss. Das Politbüro vor dem Parteigericht. Die Verfahren 1989/1990 in Protokollen und Dokumenten, Dietz Verlag 2019, 552 Seiten, 49,90 Euro.

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