Let it be

Von Stefan Keim |
1966, die Beatles spielen in München. Ein 17-Jähriger brüllt irgendetwas auf die Bühne. John Lennon schaut ihn an, hebt die Schultern, schüttelt den Kopf. 2009 im großen Haus des Bochumer Schauspiels: Der Jugendliche von damals hat ein Stück geschrieben und inszeniert. "Marigold" ist eine Trashrevue mit Musik von den Beatles.
Burghart Klaußner, dieser hinreißend präzise Schauspieler, ein Meister der Reduktion, greift diesmal als Autor und Regisseur in die Vollen. Die "Magical Mystery Band" spielt auf der Bühne, eine Anspielung auf einen Fernsehfilm der Beatles. Magical, weil kein inhaltlicher Zusammenhang die Spontaneität der Einfälle bremsen sollte. Mystery, weil im Englischen eine Mysterytour eine Fahrt ins Blaue bezeichnet, nur der Fahrer kennt das Ziel. Die Hingabe an den Augenblick, die Lust am Kontrollverlust, der Geist der Sixties soll also den Abend durchwehen.

Chris, ein junger Amerikaner mit riesigem Cowboyhut, landet in Moskau. Er sucht seine ehemalige Geliebte, bei der er eine unvollende Geschichte gelassen hatte. Die ist inzwischen mit einem millionenschweren Oligarchen verheiratet, der nicht weiß, wo er mit seinem Geld hin soll und nun Filme produziert. Das Drehbuch seines neuen Kinomärchens ist die Geschichte, die Chris erdachte. Burghart Klaußner lässt die Geschichte schießen, zeigt ein überdrehtes Casting, in der eine ältere Bochumer Statistin die Schauspiellehrerin mimt und ihre Schützlinge gruselig schlecht Tschechow aufsagen lässt.

Dann geht es um eine junge Träumerin namens Katerina Michailovna, die sich die Rolle und fast auch den Oligarchen schnappt, um junge Russen, die aus dem Gefängnis kommen und einen Halt im Leben suchen, um Dieter, den selbstgefälligen Leiter eines Filmfestivals namens "Bäronale" und viel, viel mehr. Manche sprechen mit einem russischen Akzent, der an die tiefsten Niederungen deutscher Kinokomödien erinnert, Christoph Pütthoff, der den Chris spielt, kann ausgezeichnet singen, viele seiner Kollegen mühen sich redlich, andere scheitern erbärmlich. Die Choreographien sind einfallslos, einmal fassen sich alle an den Händen und hüpfen im Kreis.

Von "Helter Skelter" bis "Help" und einem kaugummiartig verlangsamten "I wanna hold your hand" nutzt Klaußner viele bekannte – und auch ein paar weniger populäre – Beatles-Songs, damit die platten Dialoge nicht zu lang werden. Gelegentlich bringen engagierte Darsteller wie der wuchtige Felix Vörtler als Oligarch Semjon Semjonowitsch Kait etwas Schwung in die Aufführung. Aber das Bühnenchaos wirkt nicht anarchisch-lustbringend, sondern einfach unsicher, albern und durcheinander. Niemals explodieren die Bilder und Gefühle, "Marigold" – übersetzt eine "Ringelblume" - ist bloß ein angestaubtes Mauerblümchen.

Am Schluss knallt Klaußner in den Zugaben einen Beatles-Hit nach dem anderen auf die Bühne, allerdings so ungeprobt, dass bei der zweiten Strophe von "Let it be" niemand singt, sich alle verzweifelt anschauen und dann auf die tampfer weiter spielende Band zeigen. In ihren besten Momenten hat die Inszenierung den Charme eines improvisierenden Studententheaters. Für das einst bedeutende Bochumer Schauspielhaus ist das ziemlich wenig.