Lester Bangs war Pionier der Musikkritik

Göttergleiche Rockartikel

Die deutsche Sängerin Nico im Mai 1965 bei einem Auftritt
Sängerin Nico von Velvet Underground wurde von Lester Bangs besonders geschätzt. © imago/Photoshot
Von Laf Überland · 14.12.2018
Er machte aus Rockkritik Literatur. Der amerikanische Musikjournalist Lester Bangs war bekannt für seine Texte voller Wutausbrüche und Freudengeheul. Er starb 1982 an einer tödlichen Medikamentenmischung. Er wäre jetzt 70 Jahre alt geworden.
"Ich dachte, es wäre eine verdammt gute Sache, sich tierisch vollzuknallen und sich Tangerine Dream mit Laser-Show reinzutun. So trank ich erstmal zwei Flaschen Hustensaft und nahm dann die U-Bahn zur Avery Fisher Hall. Für eine Nacht, die ich nie vergessen werde. Diese Band hört sich an wie glitschender Schlamm auf dem Grund des Ozeans, und trotzdem ist der Laden gerammelt voll."
Lester Bangs war ein Mann mit einer Mission. Aufgewachsen in einem Kaff in Südkalifornien, ziemlich allein gelassen von seiner Mutter, die lieber an fremden Türen klingelte und für die Zeugen Jehovas missionierte, und einem alkoholsüchtigen Vater. Er fand den Ausweg für die Seele in der Rockmusik. Als er Ende der Sechziger von Ferne den Niedergang des Hippietums beobachtete, beschloss er, es sei an der Zeit, seine Stimme zu erheben. Er schickte eine Plattenrezension an den "Rolling Stone" und wurde angenommen.

Zynisch und doch ein Romantiker

Aber als ihn der Herausgeber nach drei Jahren feuerte, weil er in einer Canned-Heat-Kritik den Musikern nicht genügend Respekt gezollt hatte, da ging Lester nach Detroit. In dieser schmuddeligen Stadt, fernab der Medienzentren, gab es ein ganz neues Rockmagazin: "Creem", fast ein Fan-Zine. Hier konnte Bangs seine weitschweifigen Tiraden, Visionen, seine Wutausbrüche und sein Freudengeheul gedruckt sehen. Seine Auffassung von angemessener Rockkritik, die streng subjektiv Rock als das betrachtete, was er war, nämlich subjektiver Ausdruck von subjektiven Gefühlen. So schrieb er über die Sängerin Nico, die er überaus schätzte: "Dein Schatten hat Angst vor dir!"
Er hatte die Wortkaskaden des Beat-Poeten Jack Kerouac aufgesogen, und er konnte auch ziemlich witzig sein, allein das war schon unseriös für einen Kritiker. Vor allem aber versprühten seine Texte schieren Zynismus, doch wer mit dem Herzen las, der spürte den weichherzigen, hochintelligenten und nervtötend unlogischen Romantiker, der harte, schmutzige und ungeschönte Rockmusik liebte und in Velvet Undergrounds Sister Ray die Stimme Gottes hörte!
Natürlich ging Bangs zu Konzerten und auch zu Interviews, und wenn es ausgelassen zuging, machte er einen Ringkampf mit dem Sänger der Dictators, soff mit seinem Megahelden Lou Reed oder ging zur Zugabe der J. Geils Band auf die Bühne und spielte Schreibmaschine. Aber meistens hockte er zu Hause in seiner kleinen Bude, drehte den Regler seiner Anlage bis zum Anschlag und hörte laute, seltsame Musik. Und wenn er dann lange genug diese Musik gehört hatte, stellte er seine Smith-Corona-Schreibmaschine auf den Tisch und fing an, seinen Stream-of-Consciousness, seine Gefühle, seine Musik da rein zu hämmern: heftig und furchtlos wie Keith Moon am Schlagzeug.

Alkohol, Medikamente und der Traum vom eigenen Buch

Als der Punkrock ausbrach – dieses ungeschönte, schmutzige, rotzige Etwas, das Lester Bangs immer wie eine Monstranz hochgehalten hatte -, dachte er, er sei am Ziel seiner Träume angekommen. 1978 fing er für kurze Zeit und in New York sogar selber an, Musik zu machen. Das Dumme war nur, dass er in der Zeit so viel soff, dass sogar die Punkrocker in New York nicht gerne mit ihm in einem Raum waren, weil seine Fahne alles verpestete. Aber er schrieb weiter seine göttergleichen Rockartikel. Bessere sogar, denn inzwischen arbeitete er daran, schrieb mehrere Versionen, bis alles stimmte. Er machte tatsächlich aus Rockkritik Literatur und träumte davon, richtige Bücher zu schreiben.
Im April 82 aber - natürlich hatte er sich grad den Alkohol abgewöhnt, und sogar seine Wohnung sah ordentlich aus - wollte er, obwohl er eine schwere Erkältung hatte, mit zwei, drei Freunden irgendwas feiern. Als die dann seine wie immer nicht abgeschlossene Wohnungstür öffneten, lag Lester Bangs reglos auf dem Sofa. Er war an einer unverträglichen Mischung aus Schmerzmitteln, Valium und Hustensaft gestorben.
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