Lessings Traum vom Sieg der Vernunft

Von Dieter Kranz · 01.10.2011
Shakespeare lässt seinen Hamlet über die Schauspieler sagen (und meint damit das Theater insgesamt): "Sie sind der Spiegel und die abgekürzte Chronik des Zeitalters". Das trifft auf kein Stück in höherem Grade zu als auf Lessings "Nathan der Weise".
Im letzten halben Jahrhundert wurde es mindestens fünfmal an den Berliner Bühnen inszeniert, und entsprechend der jeweils herrschenden historischen Situationen - erwies es jedes Mal auf andere Weise seine Aktualität.

Am 7. September 1945 bei der Premiere im Deutschen Theater durfte Lessings Humanitätsbotschaft nach zwölf Jahren brauner Barbarei zum ersten Mal wieder von der Bühne herab verkündet werden. Im Parkett saßen ausgemergelte hungrige Leute, die froh waren, den Krieg überlebt zu haben. Die Forderung des Patriarchen: "Der Jude wird verbrannt" muss ihnen wie ein Menetekel in den Ohren geklungen haben. Damals spielte Paul Wegner den Nathan, später folgten ihm in der Rolle Eduard von Winterstein, Ernst Deutsch und Wolfgang Heinz.

Der Inszenierung von Friedo Solter mit Otto Mellies , die 1987 im Deutschen Theater herauskam, stellte Claus Peymann mit Peter Fitz in der Titelrolle im Berliner Ensemble eine kühne und auf jeden Fall gänzlich andere Sicht entgegen: "Nathan der Weise" als heiter-helle Komödie, deren auf Lessing zurückgehende Lustspiel-Maskierung nur das Zeichen ist für Skepsis und Verzweiflung.

"Natürlich habe ich dieses Stück gewählt unter dem Eindruck dieser im September 2001 jählings ausgebrochenen Finsternis", erklärt Claus Peymann. "Es wird von Kreuzrittern gesprochen, von Revanche, von Rache, vom Kampf gegen das Böse, und da schien mir diese bedeutende Stimme der Vernunft aus dem brodelnden Topf der deutschen Klassik gerade die richtige Antwort."


Wiederholung v. 03./04.01.2003


Deutsches Theater - Berlin
Berliner Ensemble
Premiere der Inszenierung von Claus Peymann
Die Ringparabel - nachzulesen
oder
Nathan der Weise - zum nachlesen:

Motive moralischen Handelns bei Lessings "Nathan der Weise" von
Friedhelm Zubke (PDF)

Viele Jahre ist Otto Mellies Tag für Tag die 25 Kilometer vom Stadtrand nach Berlin-Mitte gefahren - morgens zu den Proben und abends zur Vorstellung im Deutschen Theater (DT). Theater war sein Leben. Heute hat der Schauspieler, der am 19. Januar 80 Jahre alt wird, "keine sonderlich emotionale Verbindung mehr" zum Theater, wie Mellies sagt.
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Otto Mellies
An einem schönen Sommermorgen ...
2010 Das Neue Berlin
Bei der Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule schummelte er ein Jährchen auf sein tatsächliches Alter drauf und trug mannhaft seinen Text vor. Das Urteil der Kommissionsvorsitzenden, der berühmten Schauspielerin Lucie Höflich, traf ihn wie ein Donnerschlag: "Gott, ist das Bübchen süß!" Doch der erlösende Anruf kam. So begann die Schauspielerkarriere von Otto Mellies, der zu einem bedeutenden Protagonisten am Deutschen Theater wurde und als Charakterdarsteller in zahlreichen Filmrollen überzeugte. In seinen lange erwarteten Memoiren erzählt er von seiner Kindheit, von Arbeits- und Lebensstationen - und spart auch nicht mit Schnurren und Anekdoten vom Theater.

Gotthold E. Lessing
Nathan der Weise
Mit Erläuterungen zu Autor, Text und Wirkung.
Der Autor, der Text, seine Umwelt, seine Folgen.
Hrsg. v. Helmut Göbel. Wagenbachs Taschenbücher Nr.426.
2002 -WAGENBACH-
Johann W. von Goethe,; Friedrich von Schiller, Gotthold E. Lessing,
Faust. Wilhelm Tell. Nathan der Weise
3 Audio-CDs.
Hörbuch. 130 Min.. (Bibliothek der Jugendklassiker).
Sprecher: Hans Eckardt. Nacherz. v. Barbara Kindermann.
2000. -HÖRBUCHPRODUKTIONEN-
Gotthold E Lessing
Nathan der Weise
2 Audio-CDs.
Deutsches Theater Berlin.
Eine Gesamtaufnahme aus d. Jahre 1961.
150 Min.. Sprecher: Eduard von Winterstein, Martin Flörchinger, Herwart Grosse u. a.. Litera.
2001. -RANDOM HOUSE AUDIO; BMG WORT

Nathan der Weise bei Wikipedia


Was wird aus Nathans Traum?
08.02.2010 - Drei Regisseure, drei Inszenierungen in Hamburg, Berlin, Lübeck. Drei Haltungen gegenüber dem, was Lessing in seinem Drama wichtig war. Alle suchen die Antwort auf die Grundfrage: Sind Toleranz und Humanität mehr als nur eine schöne Idee?
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