Lessing als Krimi-Autor

Von Roger Cahn |
Eher enttäuschend ist die Inszenierung von "Emilia Galotti" in Zürich. Regisseurin Alexandra Liedtke nimmt den Figuren ihr soziales Umfeld und macht sie damit zu platten Typen, deren Handlen unverständlich bleibt.
Die 29-jährige Alexandra Liedtke, junge Ehefrau von Hausherr Matthias Hartmann, macht aus Lessings Drama einen 90-Minuten-"Tatort". Ohne Kommissar und ohne innere Logik, leider.

Wenn man den einzelnen Figuren ihr soziales Umfeld wegnimmt, werden sie platt, mutieren zu Typen, deren Handeln nur schwer nachvollziehbar wird. Oder anders formuliert: Liedtkes Versuchsanordnung ist falsch, das Experiment misslingt. Bringt ein erregter Vater seine Tochter um, nur weil ein reicher Playboy sie verführt?

Der Aufklärer Lessing - wahrlich kein Vollblutdramatiker wie Shakespeare oder Schiller - schützt durch die Hand des besorgten Vaters das Bürgermädchen vor der Willkür einer dekadenten Adelsgesellschaft. So erhält der tragische Dramenschluss seine innere Logik. Bei Liedtke bleibt er als sinnlose Tat im Raum stehen.

Die massive Straffung des Textes macht die Aufgabe für die jungen Schauspieler schwierig. Sie haben kaum Zeit, ihre Figuren zu entwickeln, vielmehr müssen sie in ihren kurzen Auftritten gleich vom ersten Moment an bereits das Ende spürbar machen.

Einzig der Bösewicht Marinelli (Fabian Krüger) als Drahtzieher für Planung und Durchführung der Intrigen erhält von der Regie genügend Zeit und Raum - bei Lessing ist er eigentlich ein Werkzeug, eine Nebenfigur. Jörg Pohl als Prinz gibt deutlich den Lüstling, seine menschliche Seite sucht man jedoch vergeblich. Und Cathérine Seifert in der Titelrolle kommt über das Mitleid-Erregen der nicht ganz unschuldig Verführten beim Publikum kaum heraus.

Fazit: Einen Klassiker zusammenstutzen sollte man nur, wenn man ihm dafür eine zusätzliche Dimension zurückgeben kann.

Emilia Galotti
Inszenierung: Alexandra Liedtke
Schauspielhaus Zürich