Bildung

Mehr Lesekompetenz für eine bessere Zukunft

04:34 Minuten
Schaufenster einer Buchhandlung in Köln, das mit geliehenen Schildern von Demonstrationen gegen Rechtsextremismus dekoriert wurde.
Schaufenster einer Buchhandlung in Köln: Hier gehen Lesen und Aufklärung zusammen. © IMAGO / Guido Schiefer / IMAGO / Guido Schiefer
Überlegungen von Marius Müller · 19.02.2024
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Trotz Pisa-Schock: Warum nicht einmal träumen und sich eine vielfältige Bildungs- und Büchernation vorstellen? Unser Autor Marius Müller tut das und erklärt, warum das Lesen die Grundlage für gesellschaftlichen Fortschritt und Aufklärung ist.
Blickt man auf das vergangene Jahr zurück, um für die Zukunft Entwicklungen abzulesen, so lässt sich zumindest für das Lesen selbst nicht allzu Gutes hoffen. Mit einem Rückgang von knapp zwei Prozent bei den physischen Buchverkäufen hat der Lesemarkt im Jahr 2023 ordentlich Federn gelassen. In den vier Jahren zuvor hatte die Buchbranche bereits vier Millionen Lesende verloren.

Weniger Lesekompetenz bei Grundschülern

Schaut man auf die Nachwuchsgeneration, sieht es auch nicht viel besser aus. Im Mai vergangenen Jahres vermeldete die IGLU-Studie eine deutlich sinkende Lesekompetenz bei Viertklässler:innen: Ein Viertel von ihnen kann nicht richtig lesen. Kurz darauf bestätigte die PISA-Studie diesen erschreckenden Befund: Deutsche Schüler:innen schnitten so schlecht ab wie noch nie.
Aber es gibt auch Grund zur Hoffnung. Denn es scheint, als habe die Politik die Zeichen richtig gedeutet, oder besser „gelesen“. So startet im August mit dem sogenannten Startchancen-Programm der Bundesregierung eine finanzkräftige Initiative, die sich vor allem der Unterstützung von Grundschulen widmet. Je zur Hälfte von Bund und Ländern finanziert sollen über die nächsten zehn Jahre 20 Milliarden Euro an insgesamt 4000 Schulen verteilt werden.

Das Lesen als Schlüsselkompetenz

Es ist ein ebenso ambitioniertes wie notwendiges Vorhaben, schließlich sind die Bildungschancen hierzulande noch immer eng mit der sozialen Herkunft verknüpft. Gelänge es endlich, diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen und die von den Studien aufgedeckten Mängel anzugehen, wäre viel gewonnen, nicht nur für die Buchbranche.
Warum nicht einmal träumen und sich eine vielfältige Bildungs- und Büchernation vorstellen, die ihren Namen auch wirklich verdient? Eine Nation, die vollumfänglich auf Lesen als Schlüsselkompetenz für Lernen, Leben und gesellschaftliche Entwicklungen setzt. Wie könnte das konkret aussehen?
Erste Ansatzpunkte wären vergleichende Sprachtests in Kitas, gefolgt von einer individuellen Förderung für alle Lernenden. Entscheidend sind genügend Zeitressourcen für Lehrende, damit sie sich im Unterricht intensiv dem Lesen und Schreiben widmen können.
Schulbibliotheken werden zu einladenden Orten, die Schüler:innen auch in ihrer Freizeit gerne besuchen. Das Lehrpersonal erfährt fachliche Unterstützung durch eine enge Kooperation mit den örtlichen Bibliotheken, etwa in Form von Leserallyes oder der Bereitstellung von Bücherkoffern. In den Regalen dort fände sich ein reichhaltiges Leseangebot, das die Interessen der ebenso vielfältigen Leserschaft spiegelt.
Was heute schon vielerorts praktiziert wird, es könnte ausreichend unterstützt und gefördert noch so viel mehr Wirkung entfalten. Der Lesermarkt müsste sich über nachwachsende Käuferschichten und Autor:innen keine Gedanken mehr machen. Überall verfügbare Bibliotheken wären Orte der Begegnung. Medienkompetenz kein vielzitiertes Schlagwort mehr, sondern gelebte Praxis.

Besser gewappnet gegen Fake News

Dank Workshops zur richtigen Recherche bis hin zur Erwachsenenbildung würden sich Menschen in digitalen Welten sicherer bewegen. Sie wären besser gewappnet, um den Einflüsterungen von Fake News und populistischen Parolen zu widerstehen. Komplexe gesellschaftliche Prozesse wären von breitem Verständnis und Engagement getragen und der Zusammenhalt würde gestärkt. Denn das Lesen kann helfen, abstrakte Konzepte wie Demokratie, Gleichberechtigung und Chancengleichheit greifbar zu machen.
Mir erscheint all das sehr verlockend. Ich finde, wir sollten unser gesellschaftliches und politisches Engagement darauf richten, mit der Förderung von Lesen und Schreiben das Fundament zu einer solchen Gesellschaft zu legen. Startchancen genutzt - das wären Nachrichten, die ich im Rückblick auf 2024 gerne läse!

Marius Müller ist studierter Diplombibliothekar und lebt in Augsburg. Er leitet eine Bibliothek und schreibt auf seinem Blog Buch-Haltung über Literatur der Gegenwart und literarische Themen. 

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