Leselust im Zeitalter der Bildermacht

Von Jens Brüning |
Das Diskussionsforum "Wozu lesen?" an der Berliner Akademie der Künste war mit Sigrid Löffler, Terézia Mora, Michael Krüger, Denis Scheck und Hausherr Adolf Muschg prominent besetzt. Das Buch sei nach wie vor das wichtigste Transportmittel aller intellektuellen Diskurse, meinte "Literaturen"-Herausgeberin Sigrid Löffler.
" An alles haben wir bei der Vorbereitung dieser Matinee gedacht, nur nicht an das eine: Dass die Dauerleser und die Dauerläufer in der Zielgeraden zusammenstoßen könnten, ausgerechnet am Pariser Platz! Wer käme auch auf so was! Wenn so etwas in einem Roman vorkäme, wir würden sicher sagen: Schlecht erfunden! "

Aber das Zusammentreffen war so zwingend nun auch wieder nicht, denn die an Berlins Prachtplatz schräg rechts hinter dem Brandenburger Tor gelegene Akademie der Künste hat einen Hintereingang. Der liegt genau gegenüber dem Holocaust-Mahnmal. Es ging an diesem Sonntagvormittag nicht um solche Feinheiten, sondern ums Ganze, es ging um die Frage: Wozu lesen? Und zu diesem Thema wusste Sigrid Löffler sogleich ausgesprochen Beruhigendes mitzuteilen:

" Das Buch ist nach wie vor das wichtigste Transportmittel aller intellektuellen und ästhetischen Kommunikation. "

Man hätte sich gewundert, wäre auf dem Podium nur eine Person gewesen, die da widersprochen hätte. Es wogte auch kein Streit zwischen Verfechtern der Unterhaltungsliteratur und denen, die nur ernst und still vor Folianten hocken. Der Extremleser Michael Krüger, der zudem Gedichte und Erzählungen schreibt, im letzten Jahr seinen ersten Roman veröffentlichte und eine Zeitschrift herausgibt, nachdem er seine Tagesarbeit als Verleger bester Bücher erledigt hat, hatte immerhin einen Vorschlag, wie die schöne Literatur den Alltag durchdringen könnte:

" Stellen Sie sich bitte vor, hier die Eröffnung des Parlamentes, und der neue BundeskanzlerIn trägt ein Gedicht vor. Das würde natürlich sofort die Entwertung des ganzen sprachlichen Gehabes, was danach kommt, zur Folge haben, und das wär’ ja auch interessant, weil man sehen würde, wenn man ein Gedicht über die Macht eines großen Lateiners vorlesen würde, dann müssten sich alle anders anstrengen, um wenigstens halbwegs auf diesem Niveau zu bleiben."

Selbst die Professoren des Paulskirchenparlaments wären da wohl überfordert gewesen. Aber auch auf der anderen Seite der Skala lässt sich Honig saugen, wie der in Presse, Funk und Fernsehen tätige Literaturkritiker Denis Scheck aus der Erfahrung eigener Lektüren weitersagte:

" So nach dem Motto "Schlanker werden durch mehr Essen" oder ein aktuelles Buch auf der Bestsellerliste – es ist wirklich unglaublich – mit dem Titel "Liebe dich selbst, und es ist egal, wen du heiratest". Ich finde, das sind einfach schiere Freuden des Intellekts, die man da findet, auch wenn man sie dann richtig liest und auch wenn man eine Autobiografie von Oliver Kahn liest, die in dem Satz gipfelt: "Die Trennung von meiner Frau hatte nichts mit ihrer Person zu tun". Wer kann behaupten, dass Lesen keinen Spaß macht?! Das sind Freuden, die wir uns gelegentlich zumindest, vielleicht nicht in so extremer Weise, wie ich sie gezwungenermaßen erlebe, gelegentlich doch einmal gönnen sollten. (Muschg) Herr Scheck, darf ich sagen: Was Sie jetzt zitiert haben, sind ganz große Themen der Weltliteratur! (Scheck) Absolut!"

Es kommt nun aber, was Literatur angeht, auf die Machart an. Der Beliebigkeit auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten steht eine Leserschar gegenüber, die immer weniger literarisch gedüngten Boden unter den Füßen hat. Da können Kritiker und Literaturzeitschriften helfend eingreifen, und manchmal gar das Elternhaus, wie sich die Präsidentin des Goethe-Instituts, Jutta Limbach, erinnerte:

" Leseverständnis ist doch auch etwas, was sich bildet. Ich habe jedenfalls keine Christenverfolgung angefangen, wenn ich gesehen habe, dass meine Kinder Literatur lesen, die ich an sich nicht des Lesens für Wert empfinde, sondern habe mir gesagt, dann versuchst du mal was anderes unterzuschieben, vielleicht merken die den Unterschied, oder man diskutiert mit ihnen darüber. Selbst Landserhefte habe ich mal einige Tage bei mir gesehen, da war ich – wie ich zugebe – am Rand der Dinge. Aber wie hübsch mir nachher die Kinder deutlich machen konnten – es war im Grunde nur eins der drei – was sie da begriffen haben. Da war ich richtig dankbar, dass ein Freund ihnen das geschenkt hatte. Eine Erfahrung, die ich so - selbst aus meiner Vergangenheit plaudernd - ihnen gar nicht hätte rüberbringen können."

Nach einem Exkurs über die Vermittlung der deutschen Literatur im und ins Ausland und die Wucherungen der Betriebswirtschaftslehre im Literaturbetrieb kam das Podium folgerichtig auf den Sinn von Bestseller- und Empfehlungslisten. Aber Terézia Mora, die als Schriftstellerin und Übersetzerin ihre eigenen Erfahrungen mit dem geistigen Transport von Literatur gemacht hat, kam dann doch wieder auf die Bildung zurück. Zu Recht, denn wer nicht weiß, wo das Schöne blüht, kann es auch nicht riechen. Terézia Mora lehrt immer zwischendurch am Literatur-Institut in Leipzig und bringt dann immer die Bücher mit, die sie besonders wichtig findet:

" Die erste Reaktion war auch: Wie, wir sollen die alle lesen? Und ich: Ja, Kinder, es ist ein Romanseminar. Wir versuchen, herauszufinden, wie komplexe literarische Formen zusammenhalten, das kriegen wir nicht heraus, wenn ihr nur 20 Seiten gelesen habt. So. (…) Das war dann am Ende eine sehr interessante Erfahrung, weil dann die jungen Schriftsteller dann zu mir sagten, als ich sie fragte, was haben wir denn gelernt, na, dass man als Autor alles machen kann. Und ich: Kinder, das war euch vorher nicht klar? Offenbar nicht. "

Es gab zum Abschluss von den Sprechern auf dem Podium wichtige Buchtipps, und man war ganz erschrocken, dass man das alles nicht im eigenen Bücherschrank hat. Und dann stand man wieder vor der Wahl, auf welchem Wege man heimwärts streben wollte: Durch die verschwitzte Masse der Dauerläufer oder doch lieber durch den Hinterausgang.