Leseförderung in Großbritannien

Britische Schüler im Lesen besser als die deutschen

Ein Schüler der vierten Klasse liest am in seinem Lesebuch.
Lesen auch außerhalb der Schulzeit - das wird in Großbritannien besonders gefördert. © dpa / picture alliance / Felix Heyder
Von Jens-Peter Marquardt · 09.05.2018
In der jüngsten IGLU-Studie liegt Großbritannien auf Rang zehn und schneidet damit deutlich besser ab als Deutschland. Und das liegt auch daran, dass britische Schüler in den vergangenen Jahren sich beim Lesen deutlich gesteigert haben.
Spencer ist zehn Jahre alt und geht in die fünft Klasse der Greenleaf Primary School in London. Auch in den Ferien kann er die Schule nicht völlig vergessen.
Ja, er bekomme Hausaufgaben mit in die Ferien. Er müsse unter anderem ein Buch lesen und nach den Ferien in der Schule erzählen, was in dem Buch vorkomme. Um zu zeigen, dass er das Buch auch wirklich gelesen habe.
Die Schule kontrolliert kontinuierlich Spencers Lesefähigkeiten, nicht nur nach den Ferien.
"Immer wenn Du ein Buch fertig hast, gehst Du an den Computer, rufst den Accelerated Reader auf und beantwortest die Fragen, die Dir zu diesem Buch gestellt werden. Und wenn Du mit Deinen Antworten 100 Prozent erreichst, dann kommst Du auf das nächsthöhere Niveau. Schaffst Du nur 80 Prozent, dann bleibst Du auf dem bisherigen Niveau. Schaffst Du noch weniger, dann musst Du wieder ein Leseniveau zurück gehen."

Das Leseniveau wird ständig abgefragt

Aber das ist Spencer bisher noch nie passiert. Er hat jetzt das Leseniveau 3,6 erreicht. Für jedes Niveau gibt es eine entsprechende Bücherliste, aus der die Schüler dann die Bücher auswählen, die sie lesen möchten. Für jedes Niveau gibt es auch eine eigene Farbe, das macht es den Schülern leichter, die richtigen Bücher auszuwählen. Die Bücher würden mit zunehmendem Niveau auch immer dicker, sagt Spencer:
"Von Stufe 1,0 bis 1,9 sind die Bücher noch wirklich dünn. So ab Stufe 6 – da sind das dann nur noch dicke Bücher, Harry Potter zum Beispiel. Aber bei 3,6, da gibt es paar dünne und ein paar dicke Bücher."
Das ständige Abfragen und Testen der Lesefortschritte habe sich sehr bewährt, sagt die Schulleiterin der Greenleaf Primary School, Kathrin Soulard:
"Weil das wie ein Quiz funktioniert, weil die Kinder danach Urkunden bekommen, weil die Schüler und ihre Eltern online den Lesefortschritt verfolgen können, erweist sich das System als sehr motivierend. Einige Schüler schaffen in kurzer Zeit 20 Tests. Gleichzeitig stehen die Klassen miteinander im ständigen Wettbewerb darum, welche Klasse am meisten liest."

Auch in den Ferien wird gelesen

Für das Lesen in den Ferien gibt es zusätzliche Anreize, erzählt Spencers 14 Jahre alte Schwester Grace, die jetzt in der neunten Klasse ist, in der Secondary School.
Jeden Sommer habe sie in der Grundschule an einem Lesewettbewerb teilgenommen. Dafür bekämen die Schüler eine Liste mit sechs Büchern, die sie in den Ferien lesen müssten. Wenn man alle gelesen habe, gebe es dafür nach den Ferien eine Medaille und einen Preis, sagt Grace. Die Schüler müssten auch noch ein Foto mitbringen, das den coolsten Ort zeigt, an dem sie gelesen haben.
Außerhalb der Ferien müssen Sieben- bis Neunjährige in England ein Buch pro Monat lesen, und anschließend online den entsprechenden Test absolvieren. Ein Mal im Monat gehen die Klassen auch für eine Stunde in die Bücherei – dort können sich die Schüler dann die Bücher aussuchen, die sie gern lesen möchten.
Mit diesem System erreichten die Engländer immerhin Platz 10 in der jüngsten IGLU-Studie. Und schnitten damit deutlich besser ab als die deutschen Schüler. Großbritannien hat aufgeholt. Vor ein paar Jahren stellte das Bildungsministerium fest, dass einer von fünf Schülern am Ende der Grundschule nicht das Leseniveau erreicht, das für den Besuch einer weiterführenden Schule nötig ist. Die Regierung stellte deshalb zusätzliche Gelder bereit, damit die Lehrer außerhalb des regulären Unterrichts leseschwachen Kindern Förderstunden geben können. Und Leseclubs einrichten können – besonders für die, die nicht so gern lesen, sagt Schulleiterin Soulard:
"Wir haben einen sogenannten geheimen Leseclub für die Jungen und einen für die Mädchen, weil die Jungs andere Bücher lesen wollen als die Mädchen und umgekehrt. Da sind solche getrennten Leseclubs ganz hilfreich."

Ethnischer Hintergrund macht keinen Unterschied

Die Jungen haben jetzt den Abstand zu den Mädchen in der Lesefähigkeit verringert. Das ist ein Grund, warum die Briten in der jüngsten IGLU-Studie auf Rang 10 aufgestiegen sind. Gleichzeitig konnten die Schüler am unteren Ende der Lesefähigkeit Anschluss an den Durchschnitt finden – das hat das internationale Ranking ebenfalls verbessert. Interessant auch: In Großbritannien können Schüler aus Migranten-Familien genauso gut lesen wie britisch-stämmige. Der ethnische Hintergrund hat hier keinen Einfluss auf die durchschnittliche Lesefähigkeit.
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