Lernstunde Porno?

Hans-Peter Meidinger im Gespräch mit Ulrike Timm |
Pornografie ist im Internet auch für Teenager frei zugänglich. Die Tatsache, dass sich einige Jugendliche damit beschäftigten, könne nicht heißen, alle Schüler im Sinne einer Aufklärung „mit diesen extremen Darstellungen zu konfrontieren“, sagt Gymnasialleiter Hans-Peter Meidinger.
Ulrike Timm: Ein Junge, sagen wir, er ist 14, er sucht im Internet auf der Pornoplattform YouPorn den Film mit dem krassesten Blowjob und zeigt ihn dann weiter auf dem Jungsklo oder ganz offen auf dem Schulhof. Dass Kinder und Jugendliche im Internetzeitalter immer öfter auf Bilder stoßen, wo es pornografisch zur Sache geht, ist die Erfahrung vieler Eltern und Lehrer. Nur: Wie damit umgehen? Professor Karla Etschenberg, die lange Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtserziehung war, hat da ziemlich weitreichende Ideen:

Karla Etschenberg: Wir brauchen den Zugang, den unterrichtlichen Zugang zum Thema Pornografie, er müsste legitimiert werden durch die Schulbehörden, selbstverständlich. Wenn man in einer Klasse das Gefühl hat, da sind Pornos in den Köpfen drin – und das kriegen Sie sehr schnell raus als Lehrer, durch Sprachmuster, durch Körperbewegungen und so weiter –, dann ist es ein Akt der Fairness, Kinder darauf vorzubereiten. Deswegen ist Voraussetzung, dass Lehrer, die so etwas machen, selber sich gut aus- und fortgebildet haben zum Thema Pornografie und was es mit Kinderseelen und Kinderköpfen und Jugendlichen macht. Das wäre Sache der Behörden, das zu ermöglichen, dass Lehrer sich auf diesem Gebiet fit machen. Bitte übersehen Sie nicht, dass wir im Internet Pornoangebote haben, die frei zugänglich sind, absolut frei zugänglich, für jedes Kind.

Timm: Und deshalb schlägt Karla Etschenberg vor, Lerneinheit Porno im Unterricht. Damit man gut abfängt, was man ohnehin nicht verhindern kann, dass nämlich Schüler solche Bilder sehen. Wir sprechen darüber mit Hans-Peter Meidinger. Er ist Vorsitzender des Deutschen Philologenverbandes und ein Praktiker, er leitet nämlich ein Gymnasium in Bayern. Schönen guten Tag, Herr Meidinger!

Hans-Peter Meidinger: Guten Tag, Frau Timm!

Timm: Können Sie sich so eine Lernstunde Porno in der Schule vorstellen?

Meidinger: Nein, als Pädagoge kann ich mir eigentlich so etwas nicht vorstellen, weil die Tatsache, dass ein Teil der Jugendlichen tatsächlich ja mit extremen Darstellungen im Internet konfrontiert ist beziehungsweise sich die heraussucht, kann ja nicht heißen, dass wir dann versuchen, alle mit diesen extremen Darstellungen zu konfrontieren beziehungsweise sie in dieser Beziehung abzustumpfen.

Timm: Trotzdem ist es ja heikel: Schüler reden über so was eigentlich nicht mit Lehrern, und Eltern reden darüber selten mit ihren Kindern, die Bilder sind aber nun mal da. Wie ist Ihnen denn das in Ihrer Schule begegnet und wie gehen Sie damit um?

Meidinger: Na gut, es ist natürlich schwierig also jetzt herauszufinden, was wirklich los ist. Man muss sich an Einzelfällen sozusagen orientieren und dann auch herausfinden, inwiefern sich diese Einzelfälle dann auch als symptomatisch herausstellen. Und da kommt es natürlich immer wieder mal vor, dass wir hören, insbesondere die Fälle, dass eben Schülerinnen, auch schon zehn- oder elfjährige, von Mitschülern, die sich dann da ganz toll vorkommen, konfrontiert werden mit entsprechenden Filmchen auf den Handys. Das ist ja das Problem, es gibt ja nicht nur das Internet, wo mittlerweile alles verfügbar ist, sondern es gibt ja auch die Speichermedien und jeder hat ein Handy und mittlerweile können die auch alles, also kann man die Filmchen auch per Bluetooth überspielen, und es ist im Grunde genommen jederzeit überall verfügbar.

Timm: Man ist dann als Erwachsener wahrscheinlich erst mal ein bisschen perplex und fürchtet sich vielleicht auch ein wenig. Aber was macht man dann am besten?

Meidinger: Na gut, man muss zunächst mal natürlich analysieren, was solche Pornografie bewirkt. Ich glaube, es ist ein Unterschied, ob eben ein 14-, 15-Jähriger mal damit in Berührung kommt, wobei ich jetzt gar nicht so sehr die normale Pornografie meine, sondern das Problem sind ja die extremen Darstellungen, die es gibt, also bis hin zu sogenannten Rape-Szenen, also mit gespielten Vergewaltigungsszenen, die ja da auch eine Rolle spielen. Und das Problem ist halt tatsächlich, wenn Kinder, die in keiner Weise noch irgendwelche Primärerfahrungen haben, dann mit solchen Dingen konfrontiert werden, dann sich bei denen auch ein Druck aufbaut, was droht mir da mit der Sexualität, also die können gar kein gesundes Verhältnis wahrscheinlich zu ihrer Sexualität mehr finden. Und deswegen sind Pädagogen gefordert, und deswegen sind dabei in erster Linie natürlich auch die Eltern gefordert.

Timm: Aber so die Frage, was man dann wirklich tut, haben Sie mir eigentlich noch nicht beantwortet, das scheint schwierig zu sein.

Meidinger: Ja, das ist richtig. Also wir tun natürlich etwas an den Schulen, das heißt, die Sexualaufklärung hat sich erheblich vorverlagert. Mittlerweile – also ich leite ein Gymnasium, da ist, in der fünften Klasse bereits sind nicht nur Sexualkundestunden, sondern wir verwenden da ganze Tage darauf für Projekte, in denen wir versuchen, erst einmal herauszufinden, was wissen die Kinder schon über Sexualität – da kommen dann auch manchmal solche schlimmen Offenbarungen – und auf der anderen Seite dann versuchen, denen ein natürliches Verhältnis dazu beizubringen.

Timm: Herr Meidinger, wenn man mit Teenagern zu tun hat, dann merkt man ja immer wieder: Einerseits sind sie die Größten und wissen alles, besonders technisch, und andererseits sind sie schüchtern und verletzbar wie eh und je. Und wer mit den technischen Details von Sex bestens vertraut ist, ist in der Regel trotzdem ganz scheu beim ersten Kuss. Könnte ein allzu offensiver Sexualkundeunterricht à la „Wir gucken jetzt mal, was es alles gibt“ eventuell auch Kinder überfordern?

Meidinger: Ja, natürlich. Also ich glaube, gerade der Sexualkundeunterricht erfordert ein ganz großes Fingerspitzengefühl, sehr hohes Einfühlungsvermögen und tatsächlich auch die Fähigkeit zu individualisieren. Das heißt, wenn man sieht, dass hier auch Kinder da sind, die Angst vor dem Thema haben, die im Grunde genommen, was man ja auch merkt, dass man dann eben versucht, vielleicht die auch persönlich anzusprechen. Und was ganz wichtig ist, man muss die Eltern mit einbeziehen. Das heißt, wir machen vor jedem solchen Projekt, Sexualkundeprojekt, machen wir einen eigenen Elternabend, um auch den Eltern zu zeigen, das und das haben wir vor und bitte bereiten Sie gegebenenfalls Ihre Kinder darauf vor.

Timm: Ist das eigentlich immer noch so ein bisschen verklemmtes Vorabgespräch? Ich erinnere mich an meine Schulzeit, wo wirklich gefragt wurde: Dürfen Ihre Kinder das sehen? Und das war ein sehr biologischer Sexualkundeunterricht, sage ich mal.

Meidinger: Ja, ja. Es gab ja sogar teilweise die Vorschrift in einigen Bundesländern, im Sexualkundeunterricht nur Zeichnungen zu zeigen und ja keine fotografischen Darstellungen, das ist natürlich heute nicht mehr der Fall. Aber das ist ... Also ich erlebe die Eltern heute als sehr offen, also natürlich sind sie sehr an diesem Thema interessiert und versuchen auch, sehr verantwortungsbewusst damit umzugeben. Aber die Vorwürfe, die es ja noch gab vor ein paar Jahrzehnten, die Schule solle sich da gar nicht einmischen, die sind nicht mehr da. Ich habe sogar den Eindruck, die Eltern sind manchmal froh, diese Aufgabe an die Schule delegieren zu können.

Timm: Um noch mal auf Frau Etschenberg zurückzukommen, müssen Lehrer denn Pornos gucken, um guten Unterricht zu geben, um zu sagen, dass da auch eine Menge entgleisen kann bei Sexualität?

Meidinger: Das glaube ich nicht. Also ich war mal auf so einer Lehrerfortbildung, da wurden auch so Gift-Mappen herumgereicht, das heißt also, was es an schlimmen Darstellungen gibt. Ich habe dann nach zwei, drei Seiten die Mappe zugeklappt. Man muss nicht alles gesehen haben, um beurteilen zu können, was solche Dinge bewirken können beziehungsweise was sie bei Jugendlichen auslösen können.

Timm: Ist das bei Teenagern, die solche Filme auf dem Handy haben, vielleicht auch schlicht so was wie eine, ich sag mal, pubertäre Mutprobe, wer hat die krassesten Bilder – früher hieß es im Schulklo, wer hat den Längsten, also so was Paralleles?

Meidinger: Ja, natürlich, also das gehört auch zu jugendlichem Imponiergehabe natürlich dazu, auch um die eigene – Sie haben es ja gesagt – um die eigene Unsicherheit zu überspielen und hier sozusagen verbal dann zu renommieren. Früher war es halt, was weiß ich, der „Playboy“, der unter der Bank dann mitgeschleppt wurde. Dagegen mutet natürlich gegen den „Playboy“ damals es natürlich, das, was heute geboten wird, extrem.

Timm: Aber solche Bilder sind dann so was wie Bravo 2.0?

Meidinger: Ja, genau, so könnte man sagen.

Timm: Haben Sie den Eindruck, in Ihrer Erfahrung als Schulleiter, dass Kinder und Jugendliche heute durch die Allgegenwärtigkeit solcher Bilder abgebrühter sind oder schamhaft wie früher auch oder, ja, wie es Teenager eigentlich im Grunde immer sind? Die sind ja gar nicht so, dass sie denken, es muss immer dick zur Sache gehen, stimmt ja gar nicht.

Meidinger: Also, erstens Mal, glaube ich, muss man unterscheiden zwischen Jungen und Mädchen. Ich hab den Eindruck, dass Jungen hier ein bisschen anders damit umgehen, weil sie auch die Bilder oberflächlicher nehmen. Bei Mädchen glaube ich, dass tatsächlich teilweise große Gefahren da sind, wenn sie zu früh mit solchem Material konfrontiert werden. Insgesamt gesehen ist beides richtig. Also die Kinder sind etwas abgebrühter, aber auf der anderen Seite darf diese Abgebrühtheit nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier im Grunde genommen auch noch eine ganz große Suche ist nach der eigenen Sexualität, nach der eigenen Rolle. Und diese Unsicherheit, die muss man auch dann thematisieren.

Timm: Hans-Peter Meidinger, ich danke Ihnen für ein offenes Gespräch über Porno in der Schule!

Meidinger: Ich bedanke mich auch!
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