Lernen von den Bauplänen der Natur

Rezensiert von Johannes Kaiser |
Noch immer halten viele Techniker und Ingenieure an der Illusion fest, der menschliche Erfindungsgeist überträfe die Natur an Einfallsreichtum und Raffinesse bei weitem. Die Natur sei unvollkommen in ihren Lösungen und der Mensch könne es besser.
Ein bitterer Irrtum, der schon viele Todesopfer gefordert hat, gerade jetzt bei der Tsunami-Katastrophe. Hätte man in den letzten Jahrzehnten besser die Erdbebenfühligkeit von Tieren erforscht, gäbe es möglicherweise schon ein vernünftiges Frühwarnsystem. Tiere haben offenkundig erheblich bessere Sensoren für solche Ereignisse als unsere Hightech-Apparaturen. Dieser Ansicht ist jedenfalls der Münchner Wissenschaftsjournalist Kurt Blüchel.

Er plädiert in seinem Buch Bionik denn auch vehement dafür, im Ingenieurswesen mehr auf die Natur zu setzen als auf menschlichen Erfindergeist. Die Natur hat in Jahrmillionen langer Evolution zahlreiche raffinierte Lösungen für Probleme entwickelt, an denen die Technik bislang gescheitert ist. Tiere können z.B. elektrische Felder oder infrarotes Licht sehen, Insekten Duftstoffmoleküle noch kilometerweit riechen. Millionen Mücken schwärmen in dichten Haufen, ohne zu kollidieren. Die Natur übertrifft unsere Technik an Effektivität, Energie- und Materialsparsamkeit, Umweltfreundlichkeit bei weitem, Naturprozesse verlaufen höchst ökonomisch.

Allerdings lassen sich die natürlichen Vorbilder nicht 1 zu 1 umsetzen. So erforscht die Bionik, das heißt die Wissenschaftskombination von Biologie und Technik, wie sich Naturlösungen in technische Modelle umsetzen lassen. Man nutzt zum Beispiel die Konstruktionsprinzipien der Bäume, mit geringstem Aufwand an Material Äste gegen Bruch zu schützen, um im Autobau größte Stabilität bei geringstem Materialeinsatz zu erreichen. Gerade die Pharmakologie verspricht sich von der intensiven Erforschung der Pflanzenwelt neue Waffen gegen Krebs und andere Zivilisationskrankheiten.

So faszinierend die Tricks der Natur auch sind, die Blüchel in großer Ausführlichkeit gut verständlich beschreibt, sie haben mit dem Titel des Buches nur indirekt zu tun, denn sie sind nur die Vorstufe der Bionik. Von technischen Lösungen erfährt man auf den 400 Seiten leider zu wenig. Auch die Anmerkungen zu Sinn und Unsinn der Wissenschaftsentwicklung, so richtig sie sein mögen, sind bisweilen ermüdend. Was Blüchel zum Beispiel über die leichtfertigen Eingriffe der Gentechnik in lebende Organismen schreibt, stimmt (fast) alles. Wer sich damit bislang nicht auseinandergesetzt hat, wird diese Ausführungen mit Gewinn lesen.

Wer die aktuelle Debatte zur Wissenschaftskritik ein wenig mitverfolgt, wird kaum Neues entdecken. Weniger wäre hier mehr gewesen. Dennoch: Die geheimen Baupläne der Natur faszinieren auch in diesem Buch.

Kurt G. Blüchel: Bionik - Wie wir die geheimen Baupläne der Natur nutzen können
C. Bertelsmann Verlag München 2005
416 Seiten, 19,90 Euro