Leopoldina und Embryonenschutz

"Ethische Argumentation äußerst dürftig"

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Diese von der Rockefeller University zur Verfügung gestellte Mikroskopaufnahme zeigt einen menschlichen Embryo 12 Tage nach der Befruchtung in vitro, wobei die verschiedenen Zelltypen durch unterschiedliche Farben markiert sind.
Menschlicher Embryo, 12 Tage nach der Befruchtung: Wissenschaftler plädieren für die Forschung mit menschlichen Embryonen, die älter als zwei Wochen sind.* © picture alliance / AP Photo / Ali H. Brivanlou / Alessia Deglincerti / Gist Croft
Peter Dabrock im Gespräch mit Ute Welty · 27.05.2021
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Menschliche Embryonen aus künstlichen Befruchtungen sollen länger als 14 Tage im Labor gezüchtet werden dürfen. Das fordert eine Arbeitsgruppe der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina. Der Theologe Peter Dabrock zeigt sich irritiert.
Seit 30 Jahren verbietet das deutsche Embryonenschutzgesetz die Forschung an Embryonen. Experten fordern nun mehr Spielraum. Weltweit soll unterdessen die bisher gängige 14-Tage-Regel für die Embryonenforschung gelockert werden.

Freiheit der Forschung und ethische Grenzen

Im Einklang mit internationalen Standards sollten Wissenschaftler hochrangige Forschungsziele verfolgen können, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften.
Zeitgleich spricht sich die Internationale Gesellschaft für Stammzellforschung (ISSCR) dafür aus, aus menschlichen Stammzellen hergestellte Embryonen künftig länger als die bisher maximal gängigen 14 Tage im Labor züchten zu dürfen.
Der Theologe Peter Dabrock von der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg kritisiert, dass sich eine kleine Arbeitsgruppe der deutschen Leopoldina bei dieser "hochgradig weltanschaulich kontaminierten Frage" als die eine maßgebliche Stimme der Wissenschaft ausgebe.

Das Interview mit Peter Dabrock im Wortlaut:

Ute Welty: Die jüngste Stellungnahme der Leopoldina sorgt für Debatte. Die nationale Akademie der Wissenschaften spricht sich dafür aus, das Embryonenschutzgesetz in Deutschland neu zu bewerten - sprich: Forschung an Embryonen im Reagenzglas soll in größerem Ausmaß als bisher erlaubt sein. Jochen Taupitz vom Institut für Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim hat diese Forderung nach Neubewertung mit erarbeitet.
O-Ton Taupitz: Beispielsweise weiß man aus dem Ausland oder aus dem Inland, dass bestimmte fortpflanzungsmedizinische Techniken mit erhöhten Risiken für die dann geborenen Kinder verbunden sind. Und überhaupt: Die künstliche Befruchtung führt zu erhöhten Auffälligkeiten bei den dann geborenen Kindern. Das alles können wir in Deutschland aber nicht erforschen, sondern müssen das dem Ausland überlassen. Das ist eigentlich ein Skandal, das ist nichts anderes als Trittbrettfahrertum, dass wir hier in Deutschland bestimmte Techniken anwenden, aber ohne uns an der entsprechenden Forschung beteiligen zu können.

Typische Dilemmata

Welty: Laut Leopoldina soll es Paaren nach künstlicher Befruchtung zukünftig erlaubt sein, Embryonen für die Forschung zu spenden. Bislang ist das nur möglich für andere Paare mit Kinderwunsch. Alle anderen Embryonen werden "verworfen", so heißt das dann offiziell. Peter Dabrock ist Professor für systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, und bis 2020 hat er dem Deutschen Ethikrat vorgesessen. Was ist ethischer, ein Embryo zu verwerfen oder es der Forschung zu spenden?
Dabrock: Das sind diese typischen Dilemmata-Fragen, auf die es oftmals nicht diese eine richtige Antwort gibt. Deswegen sollte man Verfahren finden, in denen die unterschiedlichen weltanschaulichen Positionen zu Wort kommen und auch ihr Recht bekommen können. Und in dieser Hinsicht begrüße ich den Vorschlag der Arbeitsgruppe der Leopoldina. Ich selbst habe seit vielen Jahren eine ähnliche Position vertreten, man kann aber seine Rückfragen insgesamt an das Verfahren stellen. Aber einfach zu sagen, das eine ist richtig, das andere nicht richtig, ich glaube, da sollten wir vorsichtig sein in unserer pluralen Gesellschaft.
Welty: Und welche Rückfragen stellen Sie an das Verfahren?
Dabrock: Es sind im Grunde drei Rückfragen an das Verfahren. Zum einen: Für wen spricht da eigentlich die Leopoldina? Die Leopoldina ist ja die deutsche Nationalakademie der Naturwissenschaftler. Da fragt man sich: Welche spezielle Kompetenz haben Naturwissenschaftler in dieser hochgradig weltanschaulich kontaminierten Frage? Und dann: Wie läuft das Verfahren ab, wenn die Leopoldina so etwas überhaupt in die Wege setzt?

Vielfalt der Gesellschaft nicht repräsentiert

Und das Verfahren ist schon ein bisschen komisch: Da setzt das Präsidium eine Arbeitsgruppe ein, die dann wieder an das Präsidium rückversichert. Die Gutachter werden auch vom Präsidium ausgewählt. Das ist ein bisschen so, als ob man bei Ralph Siegel eine Komposition in Auftrag gibt – und was kommt raus? Natürlich kommt ein Schlager raus und keine Zwölftonmusik oder eine Fuge in D-Moll.
Welty: Das ist aber schon ein erheblicher Vorwurf, den Sie da erheben.
Dabrock: Na ja, ich finde, die Leopoldina hat, ich glaube, 1400 Mitglieder, und die Union der anderen Akademien ist ja auch mit dabei. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass bei 1400 Menschen in einer so wichtigen weltanschaulichen Frage diese Arbeitsgruppe für alle Menschen spricht. Und ich finde, da muss die Leopoldina ein anderes Verfahren wählen. Ich sehe zum Beispiel niemanden in der Gruppe – und Klammer auf noch mal, ich selbst vertrete die Position der Arbeitsgruppe –, aber ich sehe niemanden in der Arbeitsgruppe, der eine andere Position als diese embryonenforschungsfreundliche Position vertritt. Und ich finde, das gehört sich einfach nicht für die Wissenschaft, die eben auch hier an der Grenze zur Weltanschauung argumentiert, dass die Vielfalt der Gesellschaft, die sie selber einfordert, die Arbeitsgruppe nicht repräsentiert. Das ist ärgerlich.

"Alte Recken, die seit 20 Jahren dasselbe fordern"

Und wenn man dann noch mal in die Besetzung der Arbeitsgruppe schaut, dann sieht man: Das sind die alten Recken, die seit 20 Jahren dasselbe fordern. Es gibt keine einzige andere Person. Und da muss die Leopoldina, wenn sie das Vertrauen in die Wissenschaft hochhalten will - und ich erinnere daran, dass die Leopoldina zumindest in zwei Stellungnahmen bei der Corona-Krise doch auch auf deutliche Kritik gestoßen ist, weil sie erkennbar Wissenschaftspolitik und Biopolitik betrieben hat, statt einfach nur Wissenschaft zu sein -, dass sie hier noch mal auf dieses Pferd setzt, da glaube ich - und ich bin natürlich sehr wissenschaftsaffin, bin selbst Mitglied in einer deutschen Wissenschaftsakademie, die übrigens nicht mitgemacht hat -, dass hier wertvolles Vertrauen in die Wissenschaft verspielt wird.
Welty: Vermissen Sie also Diversität?
Dabrock: Genau! Ich glaube, dass man bei einer solchen Frage nicht einfach sagen und zu dem Ergebnis kommen kann: Wir als die Wissenschaft, als die Vertreter der Wissenschaft - so wird ja die Leopoldina auch von der Bundeskanzlerin immer in der Öffentlichkeit präsentiert -, haben diese eine Position. Ich glaube, man hätte hier in einer Frage, die nicht einfach naturwissenschaftlich ist, sondern die, wenn man sie wissenschaftlich betrachtet, eben vor allen Dingen auch geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlich behandelt werden muss, viel stärker deliberativ sein müssen.
Beispielsweise der Deutsche Ethikrat oder auch die Bioethik-Kommission im Land Rheinland-Pfalz, die sich jeweils auch zu den Themen in den letzten zwei Jahren geäußert haben, da sprechen die Vertreter nur für sich und erheben nicht den Anspruch, für die Wissenschaft zu sprechen. Und da muss die Leopoldina ein anderes Verfahren finden und sich nicht von einer kleinen Gruppe als Wissenschaftsorganisation kapern lassen, um dann am Ende etwas zu vertreten, was so gar nicht mehr dem Standard der klassischen Naturwissenschaften entspricht. Und da, glaube ich, braucht einfach die Leopoldina mehr Sensibilität für Diversität und auch für Zweideutigkeiten.
Welty: Aber Sie formulieren da ja schon ein Paradoxon, denn je verschiedener die Meinung ist, umso mehr, sagen Sie, steigt das Vertrauen. Glauben Sie denn, dass die Menschen da mitgehen? Die wünschen sich doch eigentlich eine Meinung, eine Ansage, eine Haltung in der Wissenschaft.

"Wann beginnt menschliches Leben?"

Dabrock: Das kann sein, aber wenn das so ist, dann muss die Wissenschaft von sich selber deutlich machen, dass das nicht ist, was Wissenschaft vertritt. Auch in der Corona-Krise haben wir es ja gesehen: Wissenschaft bedeutet nicht einfach, wir bringen die Fakten, sondern nach dem gegenwärtig besten nachvollziehbaren, überprüfbaren Stand des Wissens wird das und das behauptet. Und wenn sich das Wissen ändert, muss es auch verändert werden. Das ist Naturwissenschaft.
Aber bei Fragen von Lebensformen, von Weltdeutung - hier jetzt die Fragen: Wann beginnt menschliches Leben? – und zwar nicht nur biologisch, sondern auch normativ. Wann erkennen wir einem Menschen Menschenwürde und Lebensschutz zu? Das sind einfach keine Fragen, die man so nach einem naturwissenschaftlichen Schema bearbeiten kann. Da ist die ethische Argumentation in dieser Stellungnahme wirklich äußerst dürftig und lässt sich nicht auf die besseren Argumente der Gegenseite ein, sondern baut Strohmänner auf.
Da muss also die Wissenschaft klarerweise sagen: Nein, wir bedienen nicht die Erwartung der klaren, einfachen Faktenvermittlung, sondern die Wissenschaft muss dafür sorgen, dass eine Sensibilität für Differenzen, auch für Überarbeitung, für Falsifizierung, wie es dann im Ton der Wissenschaft heißt, geschaffen wird. Und das ist ärgerlich, dass die Leopoldina sich auf dieses Spiel einlässt, im Grunde auf einer Spielwiese, für die der deutsche Gesetzgeber eine Institution geschaffen hat, die immer auf der Schwelle von Wissenschaft und Weltanschauung agieren soll und Vorschläge erarbeiten soll – und das ist der Deutsche Ethikrat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
*Redaktioneller Hinweis: Wir haben ein inhaltlich falsches Bild ersetzt.
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