Lemke-Matwey sieht Katharina Wagner als praktikable Lösung
In Bayreuth kommt heute der Stiftungsrat der Wagner-Festspiele zusammen. Unter anderem wird eine Vorentscheidung über die Nachfolge von Festivalleiter Wolfgang Wagner erwartet. Gute Chancen könnte nach Ansicht der Journalistin Christine Lemke-Matwey Katharina Wagner haben, die zusammen mit dem Dirigenten Christian Thielemann und Kulturmanager Peter Ruzicka gegen ihre Schwester und ihre Cousine antritt.
Jürgen König: Heute tagen in Bayreuth Rat und Vorstand der Richard-Wagner-Stiftung unter Punkt sechs auf der Tagesordnung "Verschiedenes". Dieser Punkt interessiert alle Welt am meisten. Er betrifft auch die Nachfolge des 88-jährigen Leiters der Bayreuther Festspiele, Wolfgang Wagner. Ihm nachfolgen wollen drei Frauen, seine Tochter Eva Wagner-Pasquier, seine Nichte Nike Wagner, beide 62 Jahre alt, und Katharina Wagner, mit 29 Jahren die jüngste Tochter Wolfgang Wagners. Sie gilt als Kronprinzessin, als des Vaters absoluter Liebling. Über sie sagte Halbschwester Nike: "Wenn es je ein dressiertes Kind gab, dann dieses. Wenn es je ein gemachtes Bett gab, dann dieses." Und meinte damit eben die Festspielleitung.
Wird heute über die Zukunft Bayreuths entschieden? Das besprechen wir mit der Journalistin Christine Lemke-Matwey, guten Morgen!
Christine Lemke-Matwey: Guten Morgen!
König: Ich habe vorhin Christiane gesagt. Ich bitte um Nachsicht.
Lemke-Matwey: Ich bitte doch sehr darum, ja.
König: Richard Wagner hat ja selber Familienzoff aufs Schönste in Musik gesetzt. Man denke nur an den Ehestreit in der "Walküre", wo Fricka ihrem liebsten Gemahl Wotan mächtig die Eins ansagt. Wie viel Richard Wagner ist noch in den jetzigen Streitigkeiten der Familie?
Lemke-Matwey: Ich würde sagen, viel und wenig zugleich, weil wenn Sie gerade die Walküre ansprechen, dann ist es ja durchaus auch so, dass das ein sehr differenziertes, diffiziles, sensitives Kammerspiel ist. Und insofern würde ich sagen, der Richard-Wagner-Anteil, das Richard-Wagner-Potenzial trägt sich im Moment vielleicht eher im Hintergrund, in den diversen Hintergründen ab und nicht so sehr in dem öffentlich gemachten Vordergrund, der in erster Linie diese drei Walküren uns präsentiert.
König: Lassen Sie uns diese Hintergründe beleuchten. Der Streit um die Festspielleitung ist Jahre alt. Gehen wir einige Protagonisten durch. Charakterisieren Sie uns die Teilnehmer am großen Spektakel. Fangen wir mit dem Patriarchen Wolfgang Wagner an. Die entscheidende Frage heute dürfte sein, kommt er, oder kommt er nicht zur Stiftungsratssitzung?
Lemke-Matwey: Also ich denke auch, dass man es als Symptom sehen kann, ob er kommt oder nicht. Wenn er kommt, könnte es ein Anzeichen dafür sein, dass die Strippen, seine Strippen, insoweit gezogen sind, als dass er relativ sicher sein kann, eine, na ja, Mehrheit für seine Kronprinzessin und Wunschmaid Katharina erzielt zu haben. Wenn er nicht kommt, würde man das lesen, und so lesen das auch seine Feinde, und die sitzen nicht eben als wenige im Stiftungsrat, so lesen die das als ein Zeichen einer erneuten Verweigerung und eines erneuten Mauerns, so wie das ja vor sechs oder sieben Jahren schon einmal der Fall gewesen ist. Also davon hängt viel ab, denke ich.
König: Nike Wagner?
Lemke-Matwey: Nike Wagner gibt sich gelassen, und sie hat auch, glaube ich, alles Recht dazu. Sie ist in Lohn und Brot im nicht allzu weit entfernten Weimar. Sie bezeichnet Bayreuth nach wie vor als eine der großen Leidenschaften ihres Lebens. Mit ihrem Vater Wieland wohnt sie naturgemäß auf einer anderen ästhetischen Seite von vorneherein. Und sie hat, ich habe noch mal in ihr Konzept, was ja damals auch veröffentlicht wurde, also 2000 oder 2001, hineingeguckt, das liest sich schon sehr gut. Das ist im Grunde die Tonlage auch, das intellektuelle Niveau, auf dem man sich diese ganze Auseinandersetzung um die Zukunft der Festspiele, um eine Stoßrichtung, um Aufzubrechendes eigentlich wünscht. Da stehen viele kluge Sachen drin. Die Vorreiterrolle ist etwas, was sicher alle im Schilde führen, sie allerdings will ja auch das Repertoire ausweiten, also bis hin zu Feen, Liebesverbot und Rienzi. Sie hat sogar gesprochen von Franz Liszt.
König: Frühe Opern Wagners?
Lemke-Matwey: Frühe Opern Wagners. Sie hat sogar von Franz Liszt und Siegfried Wagner als möglichen Co-Komponisten auf dem Grünen Hügel gesprochen. Sie will eine Bayreuther Dramaturgie ins Leben rufen mit diversen Beiprogrammen und auch Uraufführungsauftragswerken. Und sie will natürlich etwas mehr tun für die mediale Vermarktung des Ganzen. Allerdings, dieses Konzept, wie gesagt, ist ein paar Jahre alt. Mir hat sie im persönlichen Gespräch gesagt, was kümmert mich mein Geschwätz von vorgestern.
König: Darin wieder ganz wagnerisch. Also Nike Wagner, die Nichte Wolfgang Wagners, also die Tochter Wielands, des Bruders. Ich glaube, mit deren Zwist eigentlich der ganze heutige Konflikt begann, mit dem Streit der Brüder Wieland und Wolfgang nach dem Tode Wielands, als die Witwe nicht ans Ruder gelassen werden sollte?
Lemke-Matwey: Ganz genau. Und man darf natürlich auch nicht vergessen, dass diese Kinder- oder Enkelgeneration, also Eva und Nike in erster Linie, da gibt's ja noch zahlreiche, die sich längst irgendwie zurückgezogen haben, aber diese beiden in erster Linie treten ja hier nicht zum ersten Mal an. Dieser Streit ist im Grunde virulent seit den 70er Jahren. Pikanterweise genau zu der Zeit, als Wolfgang Wagner, der "Alte", wie er genannt wird, seinen Lebenszeitvertrag verhandelte mit dem Freistaat Bayern. Ja, die sind natürlich postpubertär geschädigt in der ganzen Angelegenheit.
Und das finde ich auch, wenn man jetzt vielleicht noch auf Eva zu sprechen kommt, ein bisschen ein psychologisches Problem in der ganzen Angelegenheit, weil man muss sich das einmal vorstellen, eine vom Vater so massiv und in mehrfachen Anläufen verstoßene Tochter, mit was für Gefühlen betritt die eigentlich diesen Ort und dieses Festspielhaus. Natürlich kann man sagen, ich mache mich von alldem frei, ich bin jetzt fast 70 oder werde irgendwann 70 Jahre alt. Ich habe mit meiner Kindheit und mit meinem Vater und meinem Traumata abgeschlossen. Aber dennoch, glaube ich, da bleibt ein Rest, und den würde es auch erst mal innerlich zu bewältigen geben, halte ich für eine Bürde.
König: Dabei ist sie eine erfahrene Opern-Managerin, auch eine erfahrene Festival-Managerin. Sie wäre eigentlich von der Eignung her ideal.
Lemke-Matwey: Das sagt man immer so. Also ich habe auch in ihr Konzept einmal noch ein verbotenes Auge geworfen. Das ist im Vergleich zu Nikes Schriften sehr viel schlichter. Es ist sehr viel, auch intellektuell, etwas dürftiger. Und es hat vor allen Dingen als Aussage eigentlich nur, es soll alles bleiben, wie es ist. Nun ist auch dieses Konzept, wie gesagt, ein paar Jahre alt. Vielleicht hat sich das alles wieder verändert.
Und zu Evas Werdegang muss man sagen, ja, ja, sie hat schon sich in der internationalen Opernszene bewegt von London über Paris bis jetzt aktuell als Beraterin des Festivals in Aix-en-Provence, aber sie hat das nie in verantwortlicher Position getan. Sie war immer Zulieferantin. Sie war immer so ein bisschen Denkerin und Managerin, Organisatorin im Hintergrund. Ob das jetzt nicht wiederum auch ein zu großer Schritt ist sogleich an die ganze Spitze, ist die eine Frage.
Die andere Frage, und die würde sich sicher auch heute an Nike neu richten, würde sie sich dezidiert bewerben, ist, wen bringen die Mädels denn mit? Also ganz allein werden sie es ja wohl nicht machen.
König: Wunderbares Stichwort für Katharina, 29 Jahre alt. Sie hat schon gesagt, wen sie mitbringen will, nämlich den Dirigenten Christian Thielemann als Co-Direktor, selber Bayreuth-erfahren, und ich glaube, man kann auch sagen, er hat mit Triumphen dort aufwarten können, und Peter Ruzicka, dem ehemaligen Leiter der Salzburger Festspiele. Früher, wenn ich das richtig herausgelesen habe, eigentlich ein "Nike-Mann"?
Lemke-Matwey: Ja, da kamen dann eben die Salzburger Festspiele in die Quere, also Ruzicka wurde abberufen, und da das ja alles höchst ungewiss war, ist er dann erst mal lieber nach Salzburg gegangen, wo er heute auch nicht mehr ist.
König: Was halten Sie von Katharinas Auftritt?
Lemke-Matwey: Es ist natürlich eine große Kampagne insgesamt. Die Kampagne hat mit und lange vor ihrer diesjährigen Meistersinger-Inszenierung auf dem Grünen Hügel begonnen. Und ich finde es nicht ganz unklug, muss ich sagen. Ich würde Sie auch ein bisschen korrigieren. Thielemann wird, glaube ich, nicht - wenn jemals - Co-Direktor oder so etwas sein, er wird der musikalische Leiter sein. Das heißt, man trägt der Tatsache Rechnung, dass er sich, das hat er in Berlin ja auch so ein bisschen an den Tag gelegt, so für organisatorische, verwalterische, geschäftliche Dinge eigentlich nicht wirklich interessiert und auch nicht wirklich interessieren kann, und da fehlt ihm auch irgendwie die Kompetenz und die Lust dazu. Das heißt, man wird ihn ganz auf das Musikalische setzen.
Das ist nicht schlecht, weil Thielemann hat eine sehr starke Position. Künstlerisch gesprochen ist die so stark wie bei keinem Dirigenten in den letzten Jahrzehnten, würde ich sagen. Barenboim hatte mal so eine Phase in den 70er und 80er Jahren, aber das ist dennoch, glaube ich, nicht vergleichbar. Er ist eine starke Potenz. Er braucht Katharina nicht. Sie braucht ihn, so herum muss man es, glaube ich, drehen.
Und Ruzicka ist natürlich eine absolut seriöse und nette Persönlichkeit in dem ganzen Betrieb. Inwieweit er jetzt für so etwas wie Aufbruch steht, weiß ich nicht. Er hat sich ja inhaltlich-künstlerisch auch noch gar nicht dazu geäußert, wenn man dieses FAZ-Interview der beiden anderen, also Katharina und Thielemann zu Rate zieht, dann steht da so wahnsinnig viel Berauschendes, Atemberaubendes nicht drin, außer, dass man an der Kontinuität der Festspielidee wiederum festhalten möchte, dass man sich eine Akademie wünscht, dass man mit dem Marketing ein bisschen aufräumt, und dass man Hörproben immerhin veranstalten möchte, öffentliche Hörproben im Festspielhaus, um herauszufinden, welches Repertoire, vielleicht auch Wagner-lose, Wagner-ferne Repertoire denn hier noch klingen kann oder könnte.
König: Im Stiftungsrat hat die Familie keine Mehrheit. Da sitzen Vertreter des Bundes, des Freistaats Bayern, des Bezirkes Oberfranken und der Stadt Bayreuth. Welche Interessen sitzen da mit am Tisch?
Lemke-Matwey: Ganz vielfältige und ich glaube auch in jeder Weise zu manipulierende. Und das ist sicher die Arbeit in den Hintergründen.
König: Das macht die Sache jetzt interessant?
Lemke-Matwey: Das macht die Sache interessant. Und das macht es auch sehr unwägbar. Also Nike sagte mir im Gespräch, sie glaubt, es ist Fünfzig/Fünfzig. Also Fünfzig/Fünfzig zwischen Eva und Katharina. Und je nachdem, mit was man jetzt wen lockt, kann das Zünglein an der Waage in die eine oder andere Richtung ausschlagen. Es ist davon die Rede, dass Frau Merkel sich persönlich engagiert in der ganzen Angelegenheit, das liegt nahe.
König: Opernfreundin, die sie ist.
Lemke-Matwey: Opernfreundin, Bayreuth-Besucherin, kontinuierliche, alldieweil auch Herr Neumann, ihr Kulturstaatsminister, sich für Musik nicht so wahnsinnig interessiert. Es ist davon die Rede, dass Herr Beckstein der Familie Wagner, also der Familie Wolfgang Wagner, durchaus wohlgesonnen ist und da keinen herben Bruch und keine strategischen Peinlichkeiten herbeiführen will. Ich weiß es nicht. Es ist sehr schlecht zu beurteilen. Auch der Bürgermeister der Stadt Bayreuth, ist ein junger Mensch, der so wahnsinnig tief nicht identifiziert ist mit dem allen, im Gegensatz zu Herrn Rons, seinem Vorgänger. Das sind alles so Unwägbarkeiten. Im Grunde genommen ist es wirklich, glaube ich, ein offenes Spiel, und man kann sich das für sich überlegen, was man denn so gerne hätte.
König: Es würden ja gegebenenfalls heute ohnehin nur erste Schritte in Bewegung setzen, oder erwarten Sie große Sensationen heute?
Lemke-Matwey: Nein, ich denke nicht. Es wurde lange vom Staatsministerium, vom Bayerischen, gesagt, ja, ja, den Ball halten wir ganz flach, da wird überhaupt gar nicht drüber geredet. Die Tagesordnung sieht alles Mögliche vor, und sie ist in der Tat lang. Der Stiftungsrat, der ja da entscheidend ist, tagt ab 14.00 Uhr. Das wird eine lange Sitzung. Und vielleicht ganz am Ende, so wie Sie sagten, unter dem Punkt "Verschiedenes" kommt auch die Nachfolge zur Sprache.
Vielleicht, wenn man gut ist und auch, wenn man gut beraten ist, glaube ich, würde man heute Modi festlegen des zukünftigen Verfahrens. Wenn Wolfgang Wagner anwesend ist, kann man vielleicht mit ihm zu Begriffen kommen. Wenn er nicht anwesend ist, dann schleppt sich das alles noch weiter, auch zeitlich in die Zukunft hinein, was der Sache sicherlich nicht gut tut, was seinem Standing nicht gut tun, was seinem Ruf, was seinem Lebenswerk nicht gut und die anderen natürlich auch nicht wirklich ruhiger stimmt.
König: Aber im Warten auf Erlösung hat die Familie Wagner ja Erfahrung?
Lemke-Matwey: Das ist wahr. Nur wer ist der Erlöser, ja?
König: Wer könnte er sein?
Lemke-Matwey: Ja, Kundri, die Frau, sinkt am Ende entseelt zu Boden. Auch das ist weitlich interpretiert worden. Ich weiß es nicht, was man sich so wünschen soll. Mir gefällt eigentlich diese Katharina-Thielemann-Geschichte im Grunde ganz gut. Wenn der Ruzicka jetzt so sein intellektuelles Gewicht noch ein bisschen mehr in die Waagschale würfe, und die anderen sich da willig zeigten, könnte ich mir das gut vorstellen, alldieweil es wirklich eine Lösung auch in die Zukunft hinein ist ...
König: Auch praktikabel?
Lemke-Matwey: ... und auch nicht so viel beschwert ist, mit so Altlasten, mit so Traumata, mit so fürchterlichen tiefgehenden Zerwürfnissen. Also vielleicht ist es das am Ende.
König: Womit Wolfgang sich dann aber am Ende auch noch wieder durchgesetzt hätte?
Lemke-Matwey: Das ist das Problem. Das wird man der Katharina natürlich nie von den Schultern nehmen können, dass sie die Tochter ihres Vaters ist, und damit ist man im Grunde wieder bei der Walküre.
Wird heute über die Zukunft Bayreuths entschieden? Das besprechen wir mit der Journalistin Christine Lemke-Matwey, guten Morgen!
Christine Lemke-Matwey: Guten Morgen!
König: Ich habe vorhin Christiane gesagt. Ich bitte um Nachsicht.
Lemke-Matwey: Ich bitte doch sehr darum, ja.
König: Richard Wagner hat ja selber Familienzoff aufs Schönste in Musik gesetzt. Man denke nur an den Ehestreit in der "Walküre", wo Fricka ihrem liebsten Gemahl Wotan mächtig die Eins ansagt. Wie viel Richard Wagner ist noch in den jetzigen Streitigkeiten der Familie?
Lemke-Matwey: Ich würde sagen, viel und wenig zugleich, weil wenn Sie gerade die Walküre ansprechen, dann ist es ja durchaus auch so, dass das ein sehr differenziertes, diffiziles, sensitives Kammerspiel ist. Und insofern würde ich sagen, der Richard-Wagner-Anteil, das Richard-Wagner-Potenzial trägt sich im Moment vielleicht eher im Hintergrund, in den diversen Hintergründen ab und nicht so sehr in dem öffentlich gemachten Vordergrund, der in erster Linie diese drei Walküren uns präsentiert.
König: Lassen Sie uns diese Hintergründe beleuchten. Der Streit um die Festspielleitung ist Jahre alt. Gehen wir einige Protagonisten durch. Charakterisieren Sie uns die Teilnehmer am großen Spektakel. Fangen wir mit dem Patriarchen Wolfgang Wagner an. Die entscheidende Frage heute dürfte sein, kommt er, oder kommt er nicht zur Stiftungsratssitzung?
Lemke-Matwey: Also ich denke auch, dass man es als Symptom sehen kann, ob er kommt oder nicht. Wenn er kommt, könnte es ein Anzeichen dafür sein, dass die Strippen, seine Strippen, insoweit gezogen sind, als dass er relativ sicher sein kann, eine, na ja, Mehrheit für seine Kronprinzessin und Wunschmaid Katharina erzielt zu haben. Wenn er nicht kommt, würde man das lesen, und so lesen das auch seine Feinde, und die sitzen nicht eben als wenige im Stiftungsrat, so lesen die das als ein Zeichen einer erneuten Verweigerung und eines erneuten Mauerns, so wie das ja vor sechs oder sieben Jahren schon einmal der Fall gewesen ist. Also davon hängt viel ab, denke ich.
König: Nike Wagner?
Lemke-Matwey: Nike Wagner gibt sich gelassen, und sie hat auch, glaube ich, alles Recht dazu. Sie ist in Lohn und Brot im nicht allzu weit entfernten Weimar. Sie bezeichnet Bayreuth nach wie vor als eine der großen Leidenschaften ihres Lebens. Mit ihrem Vater Wieland wohnt sie naturgemäß auf einer anderen ästhetischen Seite von vorneherein. Und sie hat, ich habe noch mal in ihr Konzept, was ja damals auch veröffentlicht wurde, also 2000 oder 2001, hineingeguckt, das liest sich schon sehr gut. Das ist im Grunde die Tonlage auch, das intellektuelle Niveau, auf dem man sich diese ganze Auseinandersetzung um die Zukunft der Festspiele, um eine Stoßrichtung, um Aufzubrechendes eigentlich wünscht. Da stehen viele kluge Sachen drin. Die Vorreiterrolle ist etwas, was sicher alle im Schilde führen, sie allerdings will ja auch das Repertoire ausweiten, also bis hin zu Feen, Liebesverbot und Rienzi. Sie hat sogar gesprochen von Franz Liszt.
König: Frühe Opern Wagners?
Lemke-Matwey: Frühe Opern Wagners. Sie hat sogar von Franz Liszt und Siegfried Wagner als möglichen Co-Komponisten auf dem Grünen Hügel gesprochen. Sie will eine Bayreuther Dramaturgie ins Leben rufen mit diversen Beiprogrammen und auch Uraufführungsauftragswerken. Und sie will natürlich etwas mehr tun für die mediale Vermarktung des Ganzen. Allerdings, dieses Konzept, wie gesagt, ist ein paar Jahre alt. Mir hat sie im persönlichen Gespräch gesagt, was kümmert mich mein Geschwätz von vorgestern.
König: Darin wieder ganz wagnerisch. Also Nike Wagner, die Nichte Wolfgang Wagners, also die Tochter Wielands, des Bruders. Ich glaube, mit deren Zwist eigentlich der ganze heutige Konflikt begann, mit dem Streit der Brüder Wieland und Wolfgang nach dem Tode Wielands, als die Witwe nicht ans Ruder gelassen werden sollte?
Lemke-Matwey: Ganz genau. Und man darf natürlich auch nicht vergessen, dass diese Kinder- oder Enkelgeneration, also Eva und Nike in erster Linie, da gibt's ja noch zahlreiche, die sich längst irgendwie zurückgezogen haben, aber diese beiden in erster Linie treten ja hier nicht zum ersten Mal an. Dieser Streit ist im Grunde virulent seit den 70er Jahren. Pikanterweise genau zu der Zeit, als Wolfgang Wagner, der "Alte", wie er genannt wird, seinen Lebenszeitvertrag verhandelte mit dem Freistaat Bayern. Ja, die sind natürlich postpubertär geschädigt in der ganzen Angelegenheit.
Und das finde ich auch, wenn man jetzt vielleicht noch auf Eva zu sprechen kommt, ein bisschen ein psychologisches Problem in der ganzen Angelegenheit, weil man muss sich das einmal vorstellen, eine vom Vater so massiv und in mehrfachen Anläufen verstoßene Tochter, mit was für Gefühlen betritt die eigentlich diesen Ort und dieses Festspielhaus. Natürlich kann man sagen, ich mache mich von alldem frei, ich bin jetzt fast 70 oder werde irgendwann 70 Jahre alt. Ich habe mit meiner Kindheit und mit meinem Vater und meinem Traumata abgeschlossen. Aber dennoch, glaube ich, da bleibt ein Rest, und den würde es auch erst mal innerlich zu bewältigen geben, halte ich für eine Bürde.
König: Dabei ist sie eine erfahrene Opern-Managerin, auch eine erfahrene Festival-Managerin. Sie wäre eigentlich von der Eignung her ideal.
Lemke-Matwey: Das sagt man immer so. Also ich habe auch in ihr Konzept einmal noch ein verbotenes Auge geworfen. Das ist im Vergleich zu Nikes Schriften sehr viel schlichter. Es ist sehr viel, auch intellektuell, etwas dürftiger. Und es hat vor allen Dingen als Aussage eigentlich nur, es soll alles bleiben, wie es ist. Nun ist auch dieses Konzept, wie gesagt, ein paar Jahre alt. Vielleicht hat sich das alles wieder verändert.
Und zu Evas Werdegang muss man sagen, ja, ja, sie hat schon sich in der internationalen Opernszene bewegt von London über Paris bis jetzt aktuell als Beraterin des Festivals in Aix-en-Provence, aber sie hat das nie in verantwortlicher Position getan. Sie war immer Zulieferantin. Sie war immer so ein bisschen Denkerin und Managerin, Organisatorin im Hintergrund. Ob das jetzt nicht wiederum auch ein zu großer Schritt ist sogleich an die ganze Spitze, ist die eine Frage.
Die andere Frage, und die würde sich sicher auch heute an Nike neu richten, würde sie sich dezidiert bewerben, ist, wen bringen die Mädels denn mit? Also ganz allein werden sie es ja wohl nicht machen.
König: Wunderbares Stichwort für Katharina, 29 Jahre alt. Sie hat schon gesagt, wen sie mitbringen will, nämlich den Dirigenten Christian Thielemann als Co-Direktor, selber Bayreuth-erfahren, und ich glaube, man kann auch sagen, er hat mit Triumphen dort aufwarten können, und Peter Ruzicka, dem ehemaligen Leiter der Salzburger Festspiele. Früher, wenn ich das richtig herausgelesen habe, eigentlich ein "Nike-Mann"?
Lemke-Matwey: Ja, da kamen dann eben die Salzburger Festspiele in die Quere, also Ruzicka wurde abberufen, und da das ja alles höchst ungewiss war, ist er dann erst mal lieber nach Salzburg gegangen, wo er heute auch nicht mehr ist.
König: Was halten Sie von Katharinas Auftritt?
Lemke-Matwey: Es ist natürlich eine große Kampagne insgesamt. Die Kampagne hat mit und lange vor ihrer diesjährigen Meistersinger-Inszenierung auf dem Grünen Hügel begonnen. Und ich finde es nicht ganz unklug, muss ich sagen. Ich würde Sie auch ein bisschen korrigieren. Thielemann wird, glaube ich, nicht - wenn jemals - Co-Direktor oder so etwas sein, er wird der musikalische Leiter sein. Das heißt, man trägt der Tatsache Rechnung, dass er sich, das hat er in Berlin ja auch so ein bisschen an den Tag gelegt, so für organisatorische, verwalterische, geschäftliche Dinge eigentlich nicht wirklich interessiert und auch nicht wirklich interessieren kann, und da fehlt ihm auch irgendwie die Kompetenz und die Lust dazu. Das heißt, man wird ihn ganz auf das Musikalische setzen.
Das ist nicht schlecht, weil Thielemann hat eine sehr starke Position. Künstlerisch gesprochen ist die so stark wie bei keinem Dirigenten in den letzten Jahrzehnten, würde ich sagen. Barenboim hatte mal so eine Phase in den 70er und 80er Jahren, aber das ist dennoch, glaube ich, nicht vergleichbar. Er ist eine starke Potenz. Er braucht Katharina nicht. Sie braucht ihn, so herum muss man es, glaube ich, drehen.
Und Ruzicka ist natürlich eine absolut seriöse und nette Persönlichkeit in dem ganzen Betrieb. Inwieweit er jetzt für so etwas wie Aufbruch steht, weiß ich nicht. Er hat sich ja inhaltlich-künstlerisch auch noch gar nicht dazu geäußert, wenn man dieses FAZ-Interview der beiden anderen, also Katharina und Thielemann zu Rate zieht, dann steht da so wahnsinnig viel Berauschendes, Atemberaubendes nicht drin, außer, dass man an der Kontinuität der Festspielidee wiederum festhalten möchte, dass man sich eine Akademie wünscht, dass man mit dem Marketing ein bisschen aufräumt, und dass man Hörproben immerhin veranstalten möchte, öffentliche Hörproben im Festspielhaus, um herauszufinden, welches Repertoire, vielleicht auch Wagner-lose, Wagner-ferne Repertoire denn hier noch klingen kann oder könnte.
König: Im Stiftungsrat hat die Familie keine Mehrheit. Da sitzen Vertreter des Bundes, des Freistaats Bayern, des Bezirkes Oberfranken und der Stadt Bayreuth. Welche Interessen sitzen da mit am Tisch?
Lemke-Matwey: Ganz vielfältige und ich glaube auch in jeder Weise zu manipulierende. Und das ist sicher die Arbeit in den Hintergründen.
König: Das macht die Sache jetzt interessant?
Lemke-Matwey: Das macht die Sache interessant. Und das macht es auch sehr unwägbar. Also Nike sagte mir im Gespräch, sie glaubt, es ist Fünfzig/Fünfzig. Also Fünfzig/Fünfzig zwischen Eva und Katharina. Und je nachdem, mit was man jetzt wen lockt, kann das Zünglein an der Waage in die eine oder andere Richtung ausschlagen. Es ist davon die Rede, dass Frau Merkel sich persönlich engagiert in der ganzen Angelegenheit, das liegt nahe.
König: Opernfreundin, die sie ist.
Lemke-Matwey: Opernfreundin, Bayreuth-Besucherin, kontinuierliche, alldieweil auch Herr Neumann, ihr Kulturstaatsminister, sich für Musik nicht so wahnsinnig interessiert. Es ist davon die Rede, dass Herr Beckstein der Familie Wagner, also der Familie Wolfgang Wagner, durchaus wohlgesonnen ist und da keinen herben Bruch und keine strategischen Peinlichkeiten herbeiführen will. Ich weiß es nicht. Es ist sehr schlecht zu beurteilen. Auch der Bürgermeister der Stadt Bayreuth, ist ein junger Mensch, der so wahnsinnig tief nicht identifiziert ist mit dem allen, im Gegensatz zu Herrn Rons, seinem Vorgänger. Das sind alles so Unwägbarkeiten. Im Grunde genommen ist es wirklich, glaube ich, ein offenes Spiel, und man kann sich das für sich überlegen, was man denn so gerne hätte.
König: Es würden ja gegebenenfalls heute ohnehin nur erste Schritte in Bewegung setzen, oder erwarten Sie große Sensationen heute?
Lemke-Matwey: Nein, ich denke nicht. Es wurde lange vom Staatsministerium, vom Bayerischen, gesagt, ja, ja, den Ball halten wir ganz flach, da wird überhaupt gar nicht drüber geredet. Die Tagesordnung sieht alles Mögliche vor, und sie ist in der Tat lang. Der Stiftungsrat, der ja da entscheidend ist, tagt ab 14.00 Uhr. Das wird eine lange Sitzung. Und vielleicht ganz am Ende, so wie Sie sagten, unter dem Punkt "Verschiedenes" kommt auch die Nachfolge zur Sprache.
Vielleicht, wenn man gut ist und auch, wenn man gut beraten ist, glaube ich, würde man heute Modi festlegen des zukünftigen Verfahrens. Wenn Wolfgang Wagner anwesend ist, kann man vielleicht mit ihm zu Begriffen kommen. Wenn er nicht anwesend ist, dann schleppt sich das alles noch weiter, auch zeitlich in die Zukunft hinein, was der Sache sicherlich nicht gut tut, was seinem Standing nicht gut tun, was seinem Ruf, was seinem Lebenswerk nicht gut und die anderen natürlich auch nicht wirklich ruhiger stimmt.
König: Aber im Warten auf Erlösung hat die Familie Wagner ja Erfahrung?
Lemke-Matwey: Das ist wahr. Nur wer ist der Erlöser, ja?
König: Wer könnte er sein?
Lemke-Matwey: Ja, Kundri, die Frau, sinkt am Ende entseelt zu Boden. Auch das ist weitlich interpretiert worden. Ich weiß es nicht, was man sich so wünschen soll. Mir gefällt eigentlich diese Katharina-Thielemann-Geschichte im Grunde ganz gut. Wenn der Ruzicka jetzt so sein intellektuelles Gewicht noch ein bisschen mehr in die Waagschale würfe, und die anderen sich da willig zeigten, könnte ich mir das gut vorstellen, alldieweil es wirklich eine Lösung auch in die Zukunft hinein ist ...
König: Auch praktikabel?
Lemke-Matwey: ... und auch nicht so viel beschwert ist, mit so Altlasten, mit so Traumata, mit so fürchterlichen tiefgehenden Zerwürfnissen. Also vielleicht ist es das am Ende.
König: Womit Wolfgang sich dann aber am Ende auch noch wieder durchgesetzt hätte?
Lemke-Matwey: Das ist das Problem. Das wird man der Katharina natürlich nie von den Schultern nehmen können, dass sie die Tochter ihres Vaters ist, und damit ist man im Grunde wieder bei der Walküre.