Lemke: Kaum Chancen für Rot-Grün

Steffi Lemke im Gespräch mit Hanns Ostermann |
Die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Steffi Lemke, rechnet bei der Bundestagswahl nicht mit einer Mehrheit für Rot-Grün. Angesichts der Schwäche der Sozialdemokraten sei man gezwungen, über ein Bündnis mit SPD und FDP nachzudenken, auch wenn es große Unterschiede in der Sozial- und Steuerpolitik zu den Liberalen gebe, sagte Lemke.
Hanns Ostermann: Allzu häufig kommt es nicht vor, dass sich Spitzenpolitiker der Grünen und der CSU einig sind. Der derzeitige Zustand der Großen Koalition aber macht es möglich. Da spricht Renate Künast nach der letzten Sitzung des Koalitionsausschusses davon, dieses Land habe keine Regierung mehr, und Peter Ramsauer, der CSU-Landesgruppenchef, meint, das Ende der Koalition wirft seine Schatten voraus. Die Helden scheinen müde, der Vorrat der Gemeinsamkeiten aufgebraucht. Und die Konsequenzen? – Der Streit über die Neuordnung der Jobcenter geht weiter und Lohnuntergrenzen in der Zeitarbeit wird es wahrscheinlich vorläufig nicht geben. Nun lässt sich natürlich leicht mit dem Finger auf andere zeigen, wenn man die Oppositionsbank drückt und dabei selbst nicht verrät, wer als Partner nach der kommenden Bundestagswahl in Frage kommt, sieht man von der SPD einmal ab. – Am Telefon von Deutschlandradio Kultur ist jetzt die Bundesgeschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen, Steffi Lemke. Guten Morgen, Frau Lemke!

Steffi Lemke: Schönen guten Morgen, Herr Ostermann.

Ostermann: Politik ist kein Wunschkonzert. Das wissen Sie besser als ich. Warum verzichten Sie im Wahlprogramm auf eine Koalitionsaussage?

Lemke: Wir haben uns dafür entschieden, den Wählerinnen und Wählern deutlich vor der Bundestagswahl zu sagen, woran sie bei uns sind. Das heißt, wir erklären, wo unsere größten Schnittmengen mit anderen Parteien sind, aber vor allem erklären wir, was grüne Politik jetzt ist, grüne Oppositionspolitik ist, und dass wir durchsetzen wollen, wenn wir zum Regieren gelangen sollten nach dem 27. September, eine ökologischere und sozialere Politik für Deutschland.

Ostermann: Wenn Sie die Schnittmengen erklären, Frau Lemke, dann bedeutet das ja auch, dass Sie auf die FDP zugehen müssen, oder gibt es ein anderes Modell als die Ampel?

Lemke: Wir haben Schnittmengen mit der SPD in der Frage von Energiepolitik, einer zukunftsfähigen Energieversorgung. Dort gibt es auch Differenzen, bei der Frage Monopolstellung von Energiekonzernen. Wir haben mit der SPD Schnittmengen in der Sozialpolitik, sei es beim Mindestlohn oder sei es auch bei der Frage der Bürgerversicherung, die die SPD in der Großen Koalition drangeben musste. Und wenn ich schaue, so finde ich natürlich auch Schnittmengen mit der FDP oder mit der Linkspartei. Ich finde auch Schnittmengen mit der CDU, die geringsten wahrscheinlich mit der CSU. Und wenn ich dann schaue, welche Partei überhaupt zum Regieren bereit steht, welche Partei dafür in Frage käme, dann werde ich aller Voraussicht nach bei einer Option landen, aber zunächst werden wir im Wahlkampf unsere grüne Politik nach vorne stellen. Das ist die Hauptaufgabe in den nächsten Monaten, für grüne Politik zu werben, und dann nach dem 27. September in Gespräche mit den Parteien, die für eine Koalition in Frage kommen, zu treten.

Ostermann: Aber Sie brauchen natürlich in einem solchen Fall die FDP, und es ist ja im Augenblick schon auffällig in den Umfragen, wie die FDP zulegt und offensichtlich auch Wählerinnen und Wähler der Mittelschicht anspricht. Wo sind die konkreten Antworten der Grünen?

Lemke: Ich sehe zunächst, dass es für Rot-Grün nach der nächsten Bundestagswahl aufgrund der Schwäche der SPD wahrscheinlich nicht reichen wird. Das muss ich konstatieren. Wir liegen stabil im zweistelligen Bereich, aber aufgrund der Schwäche der SPD wird es wohl nicht reichen. Und wenn ich dann über eine Ampel nachdenken muss, gezwungen bin, über eine Koalition mit Herrn Westerwelle nachzudenken, dann geht das nur auf der Grundlage von sachlicher Rationalität. Es gibt wenige Schnittmengen mit der FDP und es gibt sehr, sehr viele Kontroversen mit der FDP, vor allem in der Sozial- und in der Steuerpolitik. Aber Regierungen werden nicht auf Grundlage von Vorlieben gebildet, sondern auf Grundlage von Sachzwängen, und um diese Große Koalition, die jetzt in einer Wirtschaftskrise des größten Ausmaßes der letzten 50 Jahre nicht mehr in der Lage ist zu handeln, um eine solche Große Koalition nicht noch vier Jahre an der Regierung zu lassen, oder sogar Schwarz-Gelb möglicherweise mit einer Mehrheit davonziehen zu lassen, werden wir im Wahlkampf hart kämpfen für grüne Politik, explizit gegen die FDP und gegen die CDU, und danach gezwungen sein zu schauen, wie man zu einer handlungsfähigen Regierung kommt. Diese jetzt ist es jedenfalls nicht mehr.

Ostermann: Guido Westerwelle wird ja nicht müde, darauf hinzuweisen, dass ihm überhaupt nicht daran liegt, möglicherweise mit Ihnen zusammen auf einer Regierungsbank zu sitzen. Das heißt, von der FDP bekommen Sie jetzt schon sehr, sehr scharfen Wind ins Gesicht geweht. Da bliebe ja dann als nächste Option nur noch Rot-Rot-Grün, und da sagt die SPD "nicht mit uns und der Linkspartei". Das heißt also, die FDP steckt in einer Zwickmühle, die doch wirklich nicht leicht zu erklären und zu beantworten ist.

Lemke: Ich sehe das bei der FDP etwas anders. Die Nachtigal Westerwelle hat am Wochenende wirklich mehr als laut getrapst. Wenn Herr Westerwelle sagt, er sieht derzeit überhaupt keine ausreichende Grundlage für eine Koalition, dann ist doch das eine klare Aussage, dass er natürlich für eine Ampel zur Verfügung stünde. Das ist alles andere als eine Absage. Und ich kann gut verstehen, dass Herr Westerwelle von dieser CDU, die sich gerade gegenwärtig – ich sage es noch mal – in der größten Wirtschaftskrise primär mit sich selber beschäftigt, anstatt sich um die Probleme der Firmen und Unternehmen zu kümmern, dass Herr Westerwelle von einer solchen CDU abrückt, kann ich ihm nicht mal verübeln.

Ostermann: Frau Lemke, für mich klingt das trotzdem so ein bisschen wie das Pfeifen im Wald. Die FDP hat nach Umfragen plus sieben Prozent Stimmen mehr als die Grünen. Im Augenblick scheint doch der Wähler eher auf der Seite der FDP als der Grünen zu sein?

Lemke: Ja. Die Gewinne der FDP speisen sich aus dem schlechten Image und dem schlechten Verfahren innerhalb der CDU. Die FDP hat ziemlich genau das gewonnen, was die CDU in den vergangenen Wochen verloren hat aufgrund ihrer inneren Querelen, aufgrund der Tatsache, dass sie eben keinen klaren Kurs in der gegenwärtigen Krise fährt, weder in der Wirtschafts-, noch in der Sozialpolitik. Davon profitiert die FDP. Nebenbei: Ich gönne Herrn Westerwelle die stolz geschwellte Brust und halte etliche Wetten darauf, dass die FDP im August dieses Jahres nicht mehr bei 17 Prozent in den Umfragen stehen wird.

Ostermann: Wir werden es sehen. – Die Bundesgeschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen, Steffi Lemke, war das. Frau Lemke, danke für das Gespräch.


Das Gespräch mit Steffi Lemke können Sie bis zum 9. August 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio