Leiterin des Goethe-Institutes Neapel: Kruzifixe in Italiens Schulen werden abgenommen

Carmen Maria Morese im Gespräch mit Andreas Müller · 04.11.2009
Die Leiterin des Goethe-Instituts in Neapel, Carmen Morese, hält es für wahrscheinlich, dass das Kruzifix-Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes in italienischen Schulen schnell umgesetzt wird. Aber: "Es wird sicher große Unterschiede geben zwischen Großstadt und Kleinstadt, Norden und Süden", sagte Morese.
Andreas Müller: In Neapel begrüße ich die dortige Leiterin des Goethe-Institutes, Carmen Morese. Schönen guten Tag!

Carmen Maria Morese: Hallo, buon giorno!

Müller: Wie ist denn das angekommen, wie ist das aufgenommen worden, im Süden ja, wo man ja doch die ganz inbrünstigen Katholiken auch vermutet, jedenfalls von hier aus gesehen? Wie sind die Reaktionen auf dieses Urteil?

Morese: Ja, also heute Morgen, als ich ins Büro kam, dann sagte mir die Conciergin, die Concierge, die Pförtnerin sagte mir: Die spinnen wohl, wer glauben sie sonst zu sein. Wir sind Italiener, sie dürfen nichts entscheiden. Natürlich, es handelt sich um die Meinung einer einfachen Person. Andere, mit denen ich gesprochen habe, sagen, es ist richtig, die Religion ist eine private Angelegenheit und de facto personale, also die Schule darf nicht eine Religion wie die Staatssteuerungsgesetze den Bürgern auferlegen, auch wenn die Mehrheit der Italiener römisch-katholisch ist.

Müller: Also die einfache Person, die Concierge, die Sie da zitiert haben, befindet sich ja in guter Gesellschaft. Also ich will noch mal zitieren, den italienischen Arbeitsminister Sacconi etwa, der sagt, das sei ein schwerer Schlag gegen die europäische Lebensgemeinschaft, das kann ja nicht bedeuten, die Wurzeln unserer Herkunft zu tilgen.

Innenstaatssekretär Mantovano nennt das Urteil ungerechtfertigt und dumm. Also da ist offensichtlich sehr, sehr viel Empörung. Und in der Begründung der Straßburger Richter heißt es ja, die Anwesenheit des Kreuzes könne nichtchristliche oder atheistische Schüler beunruhigen. Aber ist denn das Kreuz in Italien nicht überall?

Morese: Ja, eigentlich schon, aber da muss man sagen, dass ich finde immer mehr, es gibt so wie eine Spaltung zwischen den (…), einerseits die Meinung der Bürger, andererseits was die Politik in Italien verkündet und was in den Zeitungen erscheint. Viele, mit denen ich gesprochen habe, sagen, man sollte das Kruzifix entfernen, andere sagen, das sollte man machen, aber ich freue mich darüber, dass es es gibt.

Und es ist eine Gewohnheit, wir haben das immer gesehen. Kruzifix einerseits, Staatspräsident auf der anderen Seite. Andere sagen, also der Beschluss des Europäischen Gerichtshofes erzeugt ja Konfusionen, befürchten zum Beispiel Groll seitens des Vatikans, eine Verhärtung der Positionen. Und andere sagen, eigentlich sollte man das Kruzifix entfernen, weil man dazu bereit ist, dass man so quasi als Ergebnis, als Resultat eines kulturellen Fortschrittes und nicht durch ein Gesetz so auferzwungen. Also, die Meinung ist schon differenzierter, sowohl im Norden als auch im Süden als jetzt, was Sie dargestellt haben.

Müller: Ja. Die Frau, die da geklagt hat, war ja bislang in allen Distanzen gescheitert, seit drei Jahren zog sich dieser Streit hin, auch beim Obersten Gericht des Landes in Italien, also das ist der Argumentation der italienischen Regierung gefolgt, wo es heißt: Das Kruzifix ist nicht nur ein religiöses Zeichen, sondern ein Symbol des italienischen Staates, denn das Kreuz sei die Flagge der einzigen in der italienischen Verfassung genannten Kirche, der katholischen Kirche. Also da ist dann doch das ganz dringende Bedürfnis zur Bekenntnis zur Tradition offenbar?

Morese: Na gut, dass Italien ein konservatives Land ist, ist allgemein bekannt. Und das ist auch – ich meine, jetzt gerade in diesem Fall nicht, aber gerade, dass Italien so konservativ und traditionsreich ist, macht gerade den Charme dieses Landes. Und ich kann Ihnen sagen, wie die Neapolitaner das aufgenommen haben.

Die Neapolitaner sehen die Sache sehr gelassen. Sie sagen, das Kruzifix war schon immer da, es ist eine Gewohnheit, aber das ist nicht das größte der Probleme der Neapolitaner – und ich kann sagen der Italiener. In Neapel ist im Moment die größte Sorge die Schweinegrippe, in Neapel allein gab es sechs Fälle. Und so sagen die Neapolitaner, an erster Stelle kommen die physischen Probleme, die metaphysischen Angelegenheiten sind eher zweitrangig im Moment.

Müller: Im Deutschlandradio Kultur spreche ich mit Carmen Morese, sie ist Leiterin des Goethe-Instituts in Neapel. Es geht um ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, das gesagt hat, es darf nicht obligatorisch das Kreuz angebracht werden in den Klassenzimmern staatlicher italienischer Schulen. Das verstoße gegen die europäische Menschenrechtskonvention. Frau Morese, Sie haben die Institution schon genannt, was hat denn der Vatikan heute zu der Geschichte gesagt?

Morese: Ja, also das ist natürlich, waren also sofort das war in allen Zeitungen, und dass der Papst sofort eine Konferenz einberufen hat. Aber es geht auch um viel mehr als nur (…) Kruzifix. Es ist natürlich, wie sie/Sie sagen, ein Symbol, es hat mit kultureller Identität zu tun, aber das ist natürlich die, es steckt auch dahinter das Thema katholische Schulen, die vom italienischen Staat finanziert werden. Also die Sache ist verzwickter.

Müller: Wir hatten das Gleiche oder etwas Ähnliches 1995 in Bayern, da gab es den berühmten Kruzifixstreit, der insofern geregelt wurde, dass wenn jemand sich beschwert, also wenn Eltern sagen, wir wollen das nicht, dass in der Schulklasse ein Kreuz hängt, dann muss das abgenommen werden. Es könnte natürlich jetzt passieren, dass dieser Kruzifixstreit in Bayern auch wieder aufflammt, es gibt auch erste Äußerungen aus Bayern. Aber vielleicht noch mal auf Italien geblickt.

Heute heißt es vonseiten des Gerichtshofes, es gibt eine dringende Empfehlung, sofort damit zu beginnen, die Kreuze abzuhängen. Glauben Sie tatsächlich, dass morgen die Schuldirektoren der staatlichen Schulen losgehen und die Kreuze von der Wand nehmen?

Morese: Ja schon, ich glaube das. Es wird sicherlich natürlich große Unterschiede geben zwischen Großstadt und Provinz, Kleinstadt, zwischen Norden und Süden. Aber Sie kennen auch die Geschichte des Rauchverbotes in Italien, wo man gesagt hat, ach, die Italiener werden sich nicht daran halten, und doch hat das stattgefunden.

Ich denke, also ich kenne viele in Neapel, die ihre Kinder nicht zum Religionsunterricht schicken beispielsweise, und es sind Italiener so wie ich katholisch erzogen, aber die Kinder sind zwar getauft, aber haben keine erste Kommunion. Italien ist schon ein Land im Wandel. Daher ich betrachte das und bin gespannt, wie Italien reagiert.

Müller: Und wir betrachten es ebenfalls weiter und verfolgen diese Geschichte. Carmen Morese war das, vielen Dank, Leiterin des Goethe-Instituts in Neapel zum Gerichtsurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der gesagt hat, das obligatorische Anbringen von Kruzifixen in Klassenzimmern staatlicher italienischer Schulen verstößt gegen die europäische Menschenrechtskonvention.