Leise lesen, das war mal

Von Susanne Nessler · 29.06.2011
Ein Plastikstift mit Lautsprecher liest vor, wenn er an bestimmte Stellen im Buch gehalten: Was die Tiere so auf dem Bauernhof machen oder wie man sich korrekt auf in verschiedenen Sprachen bedankt. Mehr als zehn deutsche Buchverlage haben nun zahlreiche ihrer Lern-, Lehr- und Bilderbücher für den sprechenden Stift aufgerüstet.
"Hallo, darf ich mich bei euch niederlassen? Fragt eines Tages ein fremder Vogel die Tiere am Fluss."

Bruno blättert durch sein neues Bilderbuch, in der Hand hält er einen dicken weißen Stift. Mit der Spitze tippt er auf die Seite mit den Tieren.

"Der hat was von den Tieren, dem Vogel und dem Frosch erzählt."

Jetzt hat Bruno keine Lust mehr. Also nimmt sich sein Vater den Plastikstift und versucht ein paar Sätze auf Chinesisch zu lernen. Leise lesen, das war mal. Elektronische Zusatzangebote für Bücher sind begehrt. Die Verbindungen von analogen mit digitalen Medien hat Hör-CDs, elektronische Bücher und jetzt einen sprechenden Stift hervorgebracht.

Einer der Erfinder ist Hannes Eisele, er ist Inhaber einer Druckerei, Mathematiker und Softwareexperte:

"Wir haben uns überlegt, wie man das Medium Buch interessanter gestalten kann. Das Buch steht ja unter dem Druck der elektronischen Medien. Und die bieten ja nicht nur Gedrucktes, sondern auch Audio und Video. Und wie kann man zum Beispiel Audio mit einem Buch verbinden."

Lesen und Hören. Aber nicht wie ein Hörbuch, sondern nach Bedarf. Das heißt, gezielt dort, wo Musik, Sprache oder Geräusche beim Verständnis oder beim Lernen helfen, wird der sprechende Stift eingesetzt.

Für das neue Lese-Konzept haben mehrere Verlage geprüft, was sie bereits an Audiomaterial auf CD vorrätig haben und wo weitere Hörinformationen beim Lesen sinnvoll sind. Besonders praktisch ist der Hörstift für das Fremdsprachenlernen, sagt Helga Holtkamp vom Cornelsen-Schulbuchverlag:

"Das größte ist erstmal die Mobilität. Also wir hatten ja schon früher, das ist für mich die wirkliche Revolution im Fremdsprachenlernen gewesen, Bücher mit CDs, das heißt Auhtnetisches Sprachmaterial.ist den Büchern beigelegt. Und jetzt durch den Stift ist das Ganze mobil geworden. Sie haben es immer dabei und sie haben es immer an der richtigen Stelle."

Aber auch in den Bilderwörterbüchern für Kinder, in Reise- und Naturführern wird es jetzt schon laut. Ob Vogelstimmen, Stadtführungen oder als Vokabelhilfe. Der Stift funktioniert überall nach dem gleichen Prinzip. Einschalten, Code auf der Rückseite des Buches antippen, das USB-Kabel mit den Computer verbinden und schon werden die passenden Aufnahmen auf den Stift geladen.

Damit der Stift spricht, sind auf die Buchseiten winzige Barcodes gedruckt. Hält man den Stift darauf, erkennt er über einen optischen Sensor den Code. Das funktioniert so ähnlich wie das Scannen an der Supermarktkasse. Nur dass jeder Code hier zu einem bestimmten Geräusch oder einer Aufnahme führt:

"Auf dem gedruckten Medium wird ein Code mitgedruckt, dieser Code ist für das Auge unsichtbar aber für den Stift sichtbar. Das ist ein feines zweidimesionales Raster. Der Stift kann aus diesem Raster einen Code lesen, praktisch eine Nummer und ordnet dieser Nummer dann einen Soundfile uzu. Der Soundfile ist im Flash des Stiftes gespeichert. Also der Stift liest nicht Text, sondern er liest eine Nummer und dieser Nummer wird dann der Audiofile zugeordnet."

Mit zusätzlichen Geräuschen oder Musikeinspielungen prägt sich Neugelerntes besser ein. Natürlich gehört zum wirklichen Lernen immer noch ein Gegenüber, aber als Ergänzung kann der Sprech-Stift schnell aushelfen, findet Helga Holtkamp:

"Denn wir wissen ja heute, wenn man einen Sprachkurs gebucht hat, wie oft schafft man es nicht hinzugehen. Und dann die Möglichkeit zu haben nach und vorzubereiten. Ist wirklich gut."

Interessant ist aber noch eine weitere Funktion. Ist der Stift mit dem Internet verbunden, ruft er auf dem Computer automatisch die neuesten Informationen zum Gelesenen auf. Aktuelle Nachrichten zu Sprachlernprogrammen oder Webseiten mit Zusatzinformationen. Zum Medizinlehrbuch gäbe es dann zum Beispiel einen Film über Operationsmethoden oder der Kunstliebhaber könnte während er im Bildband blättert, zusätzlich noch eine Dokumentation über seinen Lieblingsmaler sehen.

"Das ist eine Entwicklung, die wir gerade zusammen mit den Verlagen verfolgen. Da muss man nicht mehr lange URL eintippen oder sich eventuell noch irgendwo einloggen, sondern man kann sehr direkt und spontan, wie man eben auch das Audio hören kann, kann man sich eben auch spontan zusätzliche Informationen zu einem Thema auf den Bildschirm holen."

Als elektronisches Hilfsmedium will der Hörstift damit mehr als nur eine Lücke zwischen Buch und Intenet füllen. Er will die analoge mit der digitalen Welt verbinden. So werden Bücher in Zukunft etwas anders genutzt, aber sie bleiben erhalten.