Leipziger Buchmesse will verstärkt Kinder und Jugendliche ansprechen

Moderation: Jürgen König · 21.03.2007
Der Direktor der Leipziger Buchmesse, Oliver Zille, will auch in diesem Jahr besonders Jugendliche ansprechen. Die Messe sei eine Möglichkeit, Kinder wieder für Bücher zu begeistern, sagte Zille im Deutschlandradio Kultur. Es sei jedoch eine große Herausforderung, Kinder auf eine Buchmesse zu ziehen. Dies versuche man mit einem großen Comic-Bereich, Lesungen und Bücher-Werkstätten.
König: Über 2000 Aussteller sind aus 36 Ländern angereist zur Leipziger Buchmesse, die heute Abend im Gewandhaus feierlich eröffnet werden wird mit der Verleihung des Leipziger Buchpreises zur europäischen Verständigung. Am Telefon nun der Messedirektor Oliver Zille. Guten Morgen!

Oliver Zille: Guten Morgen, Herr König!

König: Herr Zille, sind Sie glücklich an diesem Tag? Nach Monaten der Vorbereitung geht es endlich los.

Zille: Ja, jetzt muss es losgehen. Wir sind glücklich und scharren mit den Hufen.

König: Die letzte Leipziger Buchmesse war ja schon ein Publikumsfest. 17,5 Prozent mehr Besucher als im Vorjahr. Gerade - haben wir erlebt - ging die lit.Cologne zu Ende. Dort in Köln kamen 60.000 Besucher zu den Lesungen, ein Rekord war das. Sie werden parallel zur Messe Europas größtes Literaturfestival bieten, "Leipzig liest", mit 1500 Autoren, 1900 Veranstaltungen, und man darf erwarten, dass die alle gut besucht sein werden. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass Literatur, dass Lesungen solche Großereignisse werden konnten?

Zille: Also Leipzig ist dafür ja legendär. Das ist auch nicht über Nacht entstanden, sondern hat sich über Jahre entwickelt. Es hat sicher etwas mit der Authentizität der Autoren zu tun. Also es sind keine politischen Statements, sondern das sind persönliche Ansichten, und es gibt hier in Leipzig - und ich kann nur für unseren Ort sprechen - einfach ein sehr interessiertes Publikum, natürlich auch überregional, und wir haben vor allen Dingen sehr viel neue junge Autoren, also Namen, die man erst noch entdecken muss.

König: Kann es auch sein, dass die Menschen ein unglaubliches Bedürfnis haben, in Zeiten der allgemeinen Zerstreuung ganz im Gegenteil Sammlung zu suchen, und das in Lesungen finden?

Zille: Ich weiß nicht, ob man in Lesungen Sammlung findet, beim Lesen wohl schon. Ich denke, es ist eine hohe Portion Neugier natürlich auch dabei, und wie gesagt, die Autoren geben Persönliches wieder, vermittelt über die Literatur. Sie sind authentisch, und sie sind auch hier Autoren zum Anfassen. Man kann also auch eigene Lebenssituationen in der Literatur spiegeln und vielleicht auch sozusagen sich aufbauen lassen und Motivation finden. Und außerdem ist es natürlich auch ein Hype, also man surft hier durch die Veranstaltungen und lässt sich dann auch von diesem Festival mitreißen.

König: Und es hat sich auch die gesamte literarische Prominenz angekündigt. Obwohl das so ist, haben Sie auch die Leseförderung zu einem der Messeschwerpunkte gemacht. Für die Pisastudie haben 41 Prozent der befragten Schüler gesagt, sie hätten noch nie freiwillig ein Buch gelesen. Was wollen Sie machen, um Kinder zurück ans Buch zu holen?

Zille: Wir können als Buchmesse zwei Dinge in dieser Richtung tun: Zum einen für die Kinder und Jugendlichen selbst hier Anregungen bieten, was eine hohe Herausforderung ist, Kids überhaupt erstmal auf einer Buchmesse mit einem Label Buchmesse zu ziehen. Dafür haben wir uns in den vergangenen Jahren auch den Comicbereich einfallen lassen und setzen dann auf die Neugier der Kinder und Jugendlichen, hier auch andere Angebote der Messe wahrnehmen zu können. Es gibt eine Menge Lesungen, es gibt Illustratoren, es gibt Buchwerkstätten, es gibt Projekte, wo man die Genesis eines Buches entdecken kann, und wir stellen fest, dass auch Kinder aus bildungsferneren Schichten hier diese Buchmesse als wirkliches Abenteuer wahrnehmen und Bücher teilweise zum ersten Mal überhaupt als ein interessantes Medium erleben.

Und die zweite Schiene ist vor allen Dingen die Netzwerkarbeit, die Professionellen in der Leseförderung und in der Bildung sich stärker austauschen zu lassen, eben stärker zusammenzubinden, weiterzubilden. Wir haben einen großen Programmbereich für Lehrer. Wir gehen in diesem Jahr erstmals in den Bereich frühkindliche Bildung gemeinsam mit dem Didakta-Verband und einem Symposium für Erzieher. Wir sprechen ab diesem Jahr auch verstärkt die Eltern in Richtung Bildung an.

Ich denke, das zusammen macht den besonderen Charakter der Messe aus. Es ist eine Arbeit, die nur funktioniert, wenn man sie kontinuierlich tut, und wir wissen auch, dass wir mit der Leipziger Buchmesse natürlich an vier Tagen nicht die Welt einreißen können. Ich denke, besonders wichtig ist die Vernetzung der Professionellen.

König: Also das heißt, Sie locken mit den Comicstars die Kinder auf die Buchmesse, um sie dann trickreich zum Buch zu verführen?

Zille: So könnte man das sagen, ja.

König: Sie bemühen sich ja auch hartnäckig und schon lange um junge Literatur. Es wird die lange Leipziger Lesenacht geben, die Leseinsel junger Verlage, die Prosaprognosen. Wie sieht denn die Nachwuchslage aus, wen gibt es zu entdecken, an Autoren, an Verlagen?

Zille: Es gibt eine ganze Reihe von Verlagsneugründungen. Es gibt auf der einen Seite eine Konzentrationsbewegung, auf der anderen Seite aber auch ein Boom von, wir nennen es immer, Küchentischverlagen, aber gar nicht despektierlich, wirklich von Ein-Mann-, Zwei-Mann-Unternehmungen in den letzten Jahren, Tisch 7 aus Köln oder Cook Books aus Berlin, Jetzt in Berlin sind solche Beispiele, eine sehr ambitionierte Autorenarbeit mit ganz neuen Namen und auch mit neuen Buchprojekten, und diese Verlage haben wir natürlich umworben, sich hier in Leipzig auch zu präsentieren dem Publikum, und es ist uns schon seit dem vergangenen Jahr gelungen. Die Leseinsel ist ein echter Höhepunkt für Leser, die auch vielleicht Verlage entdecken wollen, die sie in einschlägigen Buchhandlungen so nicht finden, und Autoren, von denen sie vielleicht noch nichts gehört haben.

König: Welche Nischen können heute die Küchentischverlage, wie Sie so schön sagen, noch besetzen? Man hat immer den Eindruck, es gibt doch schon alles.

Zille: Ja, das ist die Frage, ob es wirklich schon alles gibt. Es gibt schon die Möglichkeit, in Nischen spannende, authentische Literatur zu verlegen, und ich denke, die Publikumsgeschmäcker und überhaupt das Publikum diversifiziert sich immer mehr. Es gibt keine großen Gruppen sozusagen einheitlicher Geschmäcker, und genau auf dieser Schiene versuchen die jungen Verlage eben auch im Marketing etwas anders daherzukommen und finden ihr Publikum. Das ist kein Massenpublikum, aber offensichtlich ein hinreichendes, um so einen Verlag sicher immer an der Kante, aber auch wirtschaftlich zu führen.

König: Die Leipziger Buchmesse war immer schon für die deutschen Hörbuchverlage sehr wichtig. Der Hörbuchmarkt boomt, ist heiß umkämpft. Wie wirkt sich das auf die Buchmesse aus?

Zille: Das wirkt sich auf Messe zunächst mal positiv aus, dass alle wesentlichen, wichtigen, größeren Hörbuchlabels sich hier in Leipzig präsentieren, Programm mit nach Leipzig bringen. Der Hörbuchmarkt ist wirklich, wie gesagt, heiß umkämpft. Es gibt auch eine schrittweise Konzentration, also die Zahl der Marktteilnehmer steigt also nicht mehr so exponentiell, aber die Umsätze steigen. Das heißt, die konzentrieren sich dann auf weniger Produzenten. Das ist ein Thema, und illegale Downloads zum Beispiel ein ganz heißes Thema, wo es auch keine wirkliche Lösung bisher gibt. Alles Dinge, die in Leipzig diskutiert werden.

König: Das heißt, wenn ich kurz unterbrechen darf, die Musikbranche kämpft ja sehr gegen diese illegalen Downloads. Ist das bei Hörbüchern ähnlich?

Zille: Das ist bei Hörbüchern, glaube ich, ein sehr ähnliches Problem und auch ein im Moment noch nicht zur Zufriedenheit der Produzenten gelöstes Problem. Es wird eines der großen Fachthemen hier auf der Buchmesse sein, wie man sich dagegen in Zukunft stärker schützt. Aber nichtsdestotrotz brauchen die Hörbuchverlage auch weiterhin PR, Öffentlichkeit, ein interessiertes Publikum. Im Moment macht der Hörbuchumsatz etwa drei Prozent des gesamten Buchmarktumsatzes aus. Man prognostiziert bis zum Jahre 2010 etwa bei 6, 7 Prozent sein zu können, das heißt, das braucht noch starke Zuwachsraten, und dafür wird dann auch auf der Messe hier natürlich beim Publikum geworben.

König: Wir machen ja auch Hörbuchkritiken im Programm von Deutschlandradio Kultur. Jüngst besprachen wir von Proust, gelesen, "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit", der erste Roman, 19 CDs, und wir haben uns gefragt, ob das irgendjemand wirklich von Anfang bis Ende hört. Können Sie sich das vorstellen?

Zille: Fragen Sie mich doch so was nicht! Keine Ahnung, ob jemand so was bis zum Ende hört. Ich kann mir das vorstellen, weil ich ein ausgesprochener Hörbuchfan bin, und zwar deswegen, die Zeit wird immer kurzlebiger, immer hektischer, und es gibt Tätigkeiten in Haus und Garten, wo man auch Hörbücher hören kann.

König: Aber das sind 19 CDs und das ist nur der erste Roman von sieben.

Zille: Es gibt bei allen Dingen, das ist wie in der Literatur mit den schönen Büchern und den gut gemachten Büchern, es gibt einfach auch Liebhabereien, das können nie Massenprodukte sein. Aber Hörbuch ist auch ein Massenprodukt, übrigens auch ein Punkt, der Preisverfall bei Hörbüchern, der den Herstellern natürlich sehr zu schaffen macht, dass man sich also gegenseitig mit Preisen unterbietet, um neues Publikum zu gewinnen. Trotzdem denke ich, es ist ein Medium der Zukunft und passt in jeglichem Sinne in unsere Zeit.

König: Ihr Schwerpunktland ist in diesem Jahr Slowenien. Slowenien wird 2008 die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Charakterisieren Sie, Oliver Zille, für uns doch kurz die slowenische Literaturszene.

Zille: Die slowenische Literaturszene ist eine sehr kleine, es gibt zwei Millionen Slowenen, aber eine aus der Historie und aus der geografischen Lage heraus - Historie meint die Habsburger - sehr europäisch vernetzte Literatur, und das sieht man also auch hier am Programm. Es gibt kaum ein Auftritt slowenischer Autoren, der nicht flankiert und verwoben ist mit den Nachbarländern und den Nachbarliteraturen der Slowenen, auf der einen Seite die Italiener, auf der anderen Seite die Österreicher, sehr viel Zusammenarbeit natürlich auch mit den ehemaligen Habsburgerkollegen wie den Ungarn oder den Kroaten. Insofern eine Literatur an den Kreuzungspunkten, die auch stark beeinflusst ist von den Nachbarn, und insofern eine rundum spannende, die das Konzert der europäischen Kulturen und Literaturen wirklich bereichert, von der man allerdings in Deutschland so gut wie nichts weiß.

König: Ja, das kann sich ja jetzt ändern. Lassen Sie mich noch zum Schluss Ihren Geschäftsführer Wolfgang Marzin zitieren. Der sagte der dpa: "Wir sind die wichtigste Autorenmesse im deutschsprachigen Raum. Es geht uns nicht nur um Rekorde, sondern darum, gesellschaftspolitische Akzente zu setzen." Welche werden das sein?

Zille: So ist es. Wir arbeiten seit 1991 daran, Leipzig auch als Forum für den europäischen Dialog zu etablieren, die kleineren, mittelosteuropäischen Literaturen hier in Deutschland und damit die Kulturen, die Gesellschaften dieser Länder hier in Deutschland und in Westeuropa bekannter zu machen, auch deutsche Literatur natürlich in diese Länder transportieren zu lassen über den Austausch von Übersetzern. Wir haben ein Autorenspezial, das sich mit den Problemen der wiederaufkeimenden Nationalismen in den europäischen Länden in Ost und West beschäftigt. Wir haben eine Autorenreihe, die sich mit der Situation der Literaturen und der Gesellschaften an den Rändern, an den äußeren Rändern der EU beschäftigt, und wir haben insgesamt über 160 Autoren aus dieser Region hier, so dass also die europäische Diskussion, der Ost-West-Dialog, im Besonderen in Leipzig geführt wird.

Heute Abend wird die Leipziger Buchmesse eröffnet, und der deutsche Publizist Gerd Koenen und der russische Philosoph Michail Ryklin bekommen diesen Preis für europäische Verständigung. Das war vor allen Dingen nach dem Mord an Anna Politkowskaja im Oktober letzten Jahres eine Zeichensetzung der Jury, auch auf die schwierige Situation für die Menschenrechte und die Demokratie in Russland hinzuweisen. Also alles Themen, die mit dem Ost-West-Dialog eng zusammenhängen.

König: Vielen Dank für das Gespräch.