Erinnerungskultur

Zweite Chance für das Einheitsdenkmal in Leipzig

06:36 Minuten
Zwei Männer, Teilnehmer des friedlichen Demonstrationszuges am 09.10.1989 durch die Leipziger Innenstadt, halten ein Banner mit der Aufschrift "Freiheit!"
Den Leipziger Ereignissen und ihrer Bedeutung gedenken: Die Stadt startet erneut einen Versuch, ein Denkmal für die Friedliche Revolution in der DDR zu errichten. © picture alliance / Lehtikuva Oy
Von Alexander Moritz · 15.06.2022
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Die Berliner „Einheitswippe“ soll bis zum Herbst tatsächlich fertig werden. Aber was wird in Leipzig aus dem zweiten geplanten Denkmal an die Friedliche Revolution in der DDR? Ein erster Anlauf scheiterte vor Jahren, diesmal soll es besser laufen.
Der Wilhelm-Leuschner-Platz ist die wohl umstrittenste Leerstelle in Leipzig. Eine geteerte Brachfläche, schräg gegenüber dem Rathaus am Innenstadtring.
Eigentlich sollte hier schon lange ein Denkmal stehen zur Erinnerung an die Leipziger Montagsdemonstrationen, die im Herbst 1989 hier vorbeizogen. Ein Denkmal stellvertretend für die friedliche Revolution in der gesamten DDR.

Erste Bauausschreibung 2014 eingestellt

Entwürfe gab es schon vor zehn Jahren. Doch nach einem langen Gezerre um die Auswahl hat der Stadtrat die Bauausschreibung 2014 schließlich eingestellt.
Seit Herbst unternimmt Leipzig einen neuen Anlauf, organisiert wird der von der Stiftung Friedliche Revolution. Gesine Oltmanns, in den 80ern Bürgerrechtlerin, ist heute im Vorstand der Stiftung.
„Das, was wir von Bürgerinnen und Bürgern hören, ist: Wann geht denn der Wettbewerb los? Das spiegelt zumindest großes Interesse wider und das sollten wir ernst nehmen“, sagt sie.
Doch bis dahin wird es noch dauern. Der Wettbewerb soll erst im kommenden Sommer starten, die Juryentscheidung in der zweiten Hälfte 2024 fallen.

Der Standort scheint festzustehen

Immerhin der Standort scheint nun festgelegt. Anfang des Jahres hatte sich ein zufällig ausgewählter Rat aus 35 Bürgerinnen und Bürgern erneut für den Wilhelm-Leuschner-Platz ausgesprochen. Der Stadtrat will dieser Empfehlung mehrheitlich folgen.
Doch ein Denkmal, das an den Herbst 89 erinnern soll, hat in Leipzig nicht nur Freunde. Das wurde bei einer Veranstaltung der Leipziger Volkszeitung im Frühjahr deutlich.
„Was sich nach 30 Jahren hier getan hat, ist eigentlich traurig“, sagt ein Mann. „Die ganze Euphorie ist irgendwie weg. Wir wollten hier alles reformieren, sag ich mal, und im Nachhinein sag ich mir: Was ist draus geworden? Es sind neue Parteien jetzt im Bundestag eingezogen und was hat sich groß geändert?“
Andere halten das Denkmal für überflüssig. Schließlich gibt es in Leipzig schon mehrere Erinnerungsorte an den Herbst 89. „Das ist der blanke Geldrausschmiss. Man könnte dafür was anderes finanzieren“, kritisiert eine Frau.
Doch die politische Mehrheit ist dafür. Im Stadtrat hat sich einzig die AfD gegen das Denkmal gestellt.

„Ein deutsches Denkmal mit Standort Leipzig“

CDU-Stadtrat Michael Weickert ist dafür. „Das Leipziger Denkmal für die friedliche Revolution gibt es schon, aber hier ist es eben ein deutsches Denkmal mit Standort Leipzig“, sagt er.
„Deswegen gibt der Bund ja auch nicht wenig Geld dazu, wenn es denn kommen soll. Ich denke, das muss man auch deutlicher vermitteln: Nicht hier in Leipzig für die 600.000 ist das Denkmal gemacht – sondern für 80 Millionen.“
In dieser Woche will der Leipziger Stadtrat die genauen Kriterien für die Ausschreibung des Denkmals festlegen. Zwölf Kreative sollen um Entwürfe gebeten werden. Weitere 24 könnten über ein offenes Verfahren Vorschläge einreichen.
Wie das Denkmal aussehen soll, ist also noch offen. Auch was das Denkmal überhaupt aussagen soll, darüber gibt es sehr unterschiedliche Meinungen.
„Was wir nicht brauchen, ist auf dem Leuschner-Platz ein Denkmal mit einem großen Dokumentationszentrum. Sondern es geht wirklich um ein klassisches Denkmal, was an einem Ort die Bedeutung des Ereignisses markiert“, sagt Tobias Hollitzer.

Woran genau soll gedacht werden?

Er hat im Dezember 1989 die Leipziger Stasi-Zentrale mit besetzt. Bis heute leitet er das dortige Museum, hat dafür gesorgt, dass die Ausstellung seit über 30 Jahren kaum verändert wurde. Eine Art Wächter über das unverfälschte Andenken.

Es geht bei diesem Denkmal um die Bedeutung dieses Tages, dieses Symboles, dieses Symboldatums Friedliche Revolution. Es geht nicht darum: Was ist später daraus geworden? Es geht nicht darum: Welche Schwierigkeiten hat die Transformation einer kommunistischen Gesellschaft hin zu einer demokratischen und so weiter und so fort gebracht?

Sondern es geht darum, dieses Symboldatum und diesen Symbolort zu markieren.

Tobias Hollitzer

Die Vorsitzende der Grünen im Stadtrat, Katharina Krefft, sieht das ganz anders. „Die Friedliche Revolution entstand weit vor dem 9. Oktober 89. Sie ist ein Kumulationspunkt einer historischen Entwicklung, einer demokratiepolitischen Entwicklung“, sagt sie.
„Es ist nicht die eine Demonstration, die einen Staat niederreißt, sondern es fängt viel früher an, mit viel Risiko, mit viel Mut. Das zum Ausdruck zu bringen ist viel wichtiger, als das singuläre Ereignis herauszustellen.“
Über die eingereichten Entwürfe soll eine Jury entscheiden, in der neben Mitgliedern des Stadtrats und der Verwaltung auch Denkmalexperten sitzen. Danach wird der Stadtrat wohl noch einmal zustimmen müssen. Beim letzten Mal sind die Vorschläge genau an dieser Stelle gescheitert.
„Es gab eine enorme politische Beeinflussung“, erinnert sich die Grünen-Fraktionsvorsitzende Krefft. Ob es diesmal besser wird?

Unklarheit über die Entscheidungswege

Ganz klar sind die Entscheidungswege noch nicht – selbst einigen Beteiligten im Stadtrat. Verantwortung droht zu verschwimmen zwischen Auswahljury, Bürgerrat, Begleitgremium und dem Stadtrat. Der sollte sich möglichst zurückhalten, glaubt die Grünen-Fraktionsvorsitzende.

Das künstlerische Verfahren muss auch durch künstlerische Expertise entschieden werden. Da kann man keine Politik damit machen. Weil Politik würde das zerreden.

Katharina Krefft von den Grünen

Widerspruch von CDU-Kulturpolitiker Michael Weickert.

Am allerletzten Schluss wird natürlich der Stadtrat entscheiden. Unabhängig der Expertenentscheidung sind wir natürlich diejenigen, die die politische Entscheidung tragen. Die Bürger haben ja uns gewählt und nicht irgendwelche Experten.

Michael Weickert von der CDU

Stadtrat und Stadtverwaltung müssten hier noch klarere Regeln festlegen, fordert Linken-Stadträtin Franziska Riekewald. „Wir wollen bis Herbst auch detaillierter noch mal das ganze Prozedere aufgeschrieben haben. Dass wir dann uns auch einigen und dass so was nicht passiert, dass im Nachhinein gesagt wird: Das Prozedere ist das Falsche gewesen. Wir hatten uns das anders vorgestellt.“
Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung würde das Denkmal gerne noch vor Ende seiner letzten Amtszeit eröffnen. Fünf Jahre hat er noch – das sollte reichen. Und auch im Stadtrat wollen wohl nur wenige, dass Berlin mit seiner Einheitswippe alleine bleibt.
„Wenn das noch mal schiefgeht, wäre das schon eine Blamage allerersten Ranges für die Stadt“, sagt Michael Weickert.

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