Leinwand

Vom schlechten Timing eines Genies

US-Schauspieler Oscar Isaac spaziert in "Inside Llewyn Davis" durch eine schneebedeckte Straße
US-Schauspieler Oscar Isaac friert in "Inside Llewyn Davis" . © picture alliance / dpa / Alison Rosa
Von Alexander Soyez · 04.12.2013
Wer will schon einen Film über Bob Dylan machen? "Wir jedenfalls nicht", sagen die Gebrüder Coen. In ihrem neuesten Werk "Inside Llewyn Davis" präsentieren sie einen Antihelden, der als Folksmusiker ein Loser bleibt.
Ethan Coen: "Die Ära vor Dylan ist weniger bekannt. Es war eine kleine Szene, in der Dylan dann auftauchte, beinahe wie eine kleine Insel. Der kommerzielle Erfolg kam später und nicht zuletzt durch ihn. Der Reiz lag für uns gerade darin, dass diese Welt nicht so vertraut ist – dadurch hatten wir auch ein kreativeres Spielfeld, das wir mit Charakteren bevölkern konnten, die wir wollten. Wer will schon einen Film über Bob Dylan machen? Vielleicht will das ja irgendjemand – Wir wollten das jedenfalls nicht."
Ethan Coen wollte gemeinsam mit seinem Bruder etwas anderes erkunden: Das Innenleben, die Musik und die Roadtrip-Odyssee eines bemerkenswerten aber erfolglosen Folkmusikers Anfang der 60er Jahre – Erlebnisse, Begegnungen und Auftritte eines Loser-Genies, die sich, so Joel Coen, anfühlen als würde er in einer Wartehalle feststecken und auf den Beginn einer neuen Zeit warten.
Joel Coen: "Es ist interessant. Dieser Film zeigt die 60er eigentlich nicht. Auch wenn er 1961 spielt, gehört er eigentlich eher in die Fünfziger und nicht in diese Dekade, die wir kulturell als die 60er verstehen. Wenn Bob Dylan am Ende des Films die Bühne betritt, dann gehen die 60er los."
Inside Llewyn Davis zeigt eine musikalische Folk-Welt im Umbruch, aber mit einem Fuß noch in der Vergangenheit. Und Es ist eine Welt, die auf der Leinwand exotisch wirkt, weil die 50er Folkszene, so die Coen-Brüder, eine fast vergessene Ära ist.
Ethan Coen: "Wir haben mit 'O Brother where art though?' einen Film über die Depressions-Ära gemacht. Und die Folkmusik dieser Zeit ist seltsamerweise bekannter als diese nächste Etappe auf dem Weg in die 60er."
Joel Coen: "Diese Art des Rockn Rolls und diese Folkszene – Diese Zeit ist ein seltsames Glied in der Kette der Musikgeschichte. Wenig bekannt und genau deswegen faszinierend."
Umso vertrauter wirken dagegen das New Yorker Setting und die Charaktere, die der Coen Brüder Film zeigt. Manchmal erinnert wirklich nur der wundervoll verwaschene Retrolook der Bilder daran, dass diese Welt über 50 Jahre zurückliegt.
Joel Coen: "Als wir uns die Frisuren und die Kleidung der ganz frühen 60er Jahre angeschaut haben, waren wir völlig verblüfft, wie ähnlich das dem Style ist, in dem die Kids in Brooklyn heute herumlaufen. Da gibt es fast keinen Unterschied. Es ist als sei man 50 Jahre später wieder an der gleichen Stelle angekommen. Anders sind nur die vielen Tattoos, mit denen diese Leute heute herum laufen. Aber abgesehen davon hätte man unseren Film genauso als Gegenwarts-Film in Brooklyn drehen können."
Mit eigenwilliger Filmkunst zu gefeierten Stars
Hätten Sie es so gemacht, wie Joel Coen es im Scherz vorschlägt, wäre das Herz des Films immer noch dasselbe. Es geht nicht zuletzt ganz einfach um die Frage, warum ein offensichtlich talentierter Künstler nicht seinen Durchbruch schafft. Ist es seine eigene Schuld oder ist er nur zu falschen Zeit am falschen Ort gewesen?
Joel Coen: "Das sind die Fragen, die der Film stellt, ohne dass er da klare Antworten gibt. Das war auch unsere erste Idee. Einen Film über einen Typen zu machen, der sehr gut ist in dem, was er tut, aber eben ein Loser. Warum das so ist? Keiner weiß es. Das ist ein spannendes Thema für eine Story. Dieser Kerl im Film hat etwas Selbstzerstörerisches an sich, das mag ein Grund sein, aber es gibt ja auch genug talentierte und selbstzerstörerische Leute, die trotzdem erfolgreich sind. Vielleicht hat er auch einfach nur Pech oder es ist schlechtes Timing."
In dieser Hinsicht gibt es erkennbare Parallelen zu den Coen-Brüdern selbst, deren Talent unbenommen ist, deren Filme aber alles andere als Mainstream sind und die manchmal sogar so wirken als würden sie in eine andere Zeit gehören. Großer Unterschied : Die Coens sind mit ihrer eigenwilligen und eigenen Filmkunst trotzdem zu gefeierten Stars gewrden. Es hätte aber tatsächlich alles auch ganz anders laufen können, so Joel Coen.
Joel Coen: "Als wir versuchten, für unseren ersten Film die Finanzierung zusammen zu bekommen, konnten wir nichts vorweisen. Wir hatten keinerlei Erfahrung, da war nichts außer einer Idee. Hätte uns ein großes Studio damals Geld angeboten und uns gesagt, dafür müsst Ihr aber die Kontrolle abgeben, dann hätten wir definitiv zugesagt, glauben Sie mir! Aber niemand hat uns etwas angeboten, also mussten wir es alleine machen und hatten dementsprechend jede kreative Freiheit. Also haben wir den Film genauso gemacht wie wir es uns vorgestellt hatten. Und das war so großartig, dass wir darauf natürlich nie mehr verzichten wollten – also haben wir es für den Rest unserer Karriere so weitergemacht."
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