Leinwand

Blick auf ein Filmschaffen am Rande

Erwin Geschonneck als Vater Grubske in "Anton, der Zauberer" (Regie: Günter Reisch)
Erwin Geschonneck als Vater Grubske in "Anton, der Zauberer" (Regie: Günter Reisch) © DEFA-Stiftung
Von Bernd Sobolla · 22.09.2014
Mit einer Retrospektive will das Hamburger Filmfestival eine ganz eigene Kinofilmwelt abbilden: die der DDR. Kuratiert von Andreas Dresen, zeigt die Reihe vor allem Filme, die damals nur wenig Beachtung fanden oder auch inzwischen zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind.
"Der Sozialismus siegt, so sagt Anton, aber bis dahin?"
"150 Mark mehr pro Stück? Einverstanden."
1977 drehte Günter Reisch "Anton der Zauberer“, eine Komödie über den sozialistischen Alltag unmittelbar nach Kriegsende. Der Film handelt von dem halbseidenen Automechaniker Anton, der in einer Kleinstadt die Tochter seines Chefs heiratet, dessen Werkstatt in Schwung bringt und parallel dazu den Schwarzmarkthandel ankurbelt. Bald ist Anton Ostmark-Millionär. Kein Wunder, dass sein Bedürfnis, eine sozialistische Karriere einzuschlagen, nicht besonders ausgeprägt ist.
"Im Herbst wird bei uns Stahl gegossen. Und dann Schwermaschinenbau. Wetten? Glaubst du nicht?"
"Ihnen glaube ich alles. Wollen Sie einen Korn?"
"Es ist nämlich so: Wir richten einen eigenen Fuhrpark ein. Und da suchen wir einen Mann, dem man das in die Hand geben kann. Ich dachte da an dich."
"Ich? Mhm. VEB… Ne!"
"Anton!"
"Entschuldigung. Ist ein blöder Slogan. Handwerker-Deutsch. Wollen Sie noch einen Korn?"
"Keine Filme mehr, wo Leute nur noch so nett reden"
Gespickt mit Wortwitz und viel Tempo erreichte das Werk rund 800.000 Kinobesucher und war einer der populärsten DEFA-Filme.
Zu den verborgenen Schätzen des Malers und Filmemachers Jürgen Böttcher gehören die Dokumentarfilmen "Rangierer" und "Die Küche". In ihnen verzichtete Böttcher völlig auf Interviews und Kommentare: Keine Lügen über die Bestrebungen, den Fünfjahresplan übererfüllen oder den Sozialismus aufbauen zu wollen. Nur präzise Bilder von harter Arbeit. Auch das kann ein politisches Statement sein: Das An- und Abkoppeln bzw. Züge auf neue Gleise zu bringen, kann man durchaus als Metapher für Fernweh und Reisefreiheit sehen.
Jürgen Böttcher: "In dieser Zeit wollte ich keine Filme mehr machen, wo die Leute noch so nett reden. Das, was sie sagen können, wäre Bemäntelung von dem, was sie nicht sagen können. Fast alle waren wütend auf die Stasi und beleidigt und erniedrigt oder konnten die Mauer nicht mehr ertragen."
Schön an der Retrospektive ist, dass sie vor allem Filme zeigt, die dem realen Leben in der DDR nahe kommen - Tristesse inbegriffen. So schilderte Helmut Dziuba mit seinem Film "Erscheinen Pflicht", wie die 16-jährige Tochter eines hohen DDR-Funktionärs wohlbehütet und ohne finanzielle Sorgen aufwächst, im Dienstwagen zur Schule gebracht wird, doch selbst beim Tanzen in der Disco irgendwie apathisch wirkt.
Aber als ihr Vater stirbt, beginnt das Mädchen, das Bild, das sie von ihrem Vater hatte, zu überdenken. Ein glaubwürdiges Jugendporträt, das nur knapp einem Verbot entging, denn man warf dem Film "resignative Melancholie" vor.
Von subtiler Selbstkritik bis hin zu Klartext
Während die meisten Filme dieser Retrospektive "DDR-Deluxe" Gesellschaftskritik eher subtil vermitteln, spricht die Regisseurin Helke Misselwitz in "Winter adé" Klartext, bzw. sie lässt sprechen. Für ihren Dokumentarfilm reiste sie ein Jahr vor dem Mauerfall durch die DDR und traf unterschiedliche Frauen, die über ihre Sorgen und Hoffnung sprechen. Darunter ist auch Kerstin, ein 15-jähriges Mädchen im Punk-Outfit, dessen Vater in den Westen geflohen war.
"Und hast du Kontakt zu Deinem Vater?"
" Ne, darf ich nicht. Also erst einmal, weil er aus politischen Gründen rüber gegangen ist. Und meine Mutter will es auch so nicht. Aber ich würde es gerne. Ich meine: Es ist mein Vater. Das, was er uns angetan hat, war schlimm genug. Aber trotzdem. Würde mich gerne mal mit ihm unterhalten oder so was. Wie es ihm geht, interessiert mich auch."
"Winter adé" ist der radikalste Film der Reihe, in dem man die Wendezeit bereits kommen sieht. Helke Misselwitz konnte ihn 1988 auf dem Dokumentarfilmfestival in Leipzig präsentieren. In der Stadt, wo ein Jahr später die friedliche Revolution beginnen sollte.
"Es war eine hochaufgeladene Atmosphäre durch viele Verbote im Vorfeld. Aber die Leute wollten sich das nicht mehr gefallen lassen. Und dann wirkte dieser Film wie ein Ventil."
"DDR-Deluxe" zeigt, dass die Filmemacher der DEFA ein relativ großes Spektrum an Filmen schufen, auch wenn viele der Werke nur kurz oder unter erschwerten Umständen zu sehen waren.
Dennoch vermisst man in der Retrospektive Werke wie "Geschlossene Gesellschaft" von Frank Beyer, in dem gesellschaftliche Einschränkung persönliche Krisen auslöst, oder einen Kompilationsfilm wie "Gegenbilder – DDR-Film im Untergrund“ von Claus Löser, der ostdeutsche Künstler und ihre Arbeiten jenseits von DEFA-Normen zeigt. Sie hätten die Retrospektive noch bereichert.

Retrospektive "DDR-Deluxe" auf dem (25. September bis 4. Oktober)
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