Leinen warnt vor Europa der zwei Geschwindigkeiten
Nach Ansicht des EU-Parlamentariers Jo Leinen droht die Europäische Union auseinanderzudriften. Sollte die Ratifizierung des EU-Reformvertrages in Irland ein zweites Mal scheitern, müsse man anerkennen, dass es Länder gebe, die zurückbleiben würden, sagte der SPD-Politiker.
Gabi Wuttke: Angesichts der internationalen Finanzkrise sind viele wichtige politische Themen in den Hintergrund gedrängt worden, so auch die Zukunft der Europäischen Union, die weiter um ihre Verfassung bangt. In Dublin will eine Delegation des Europäischen Verfassungsausschusses heute versuchen, ein Loch in ein sehr dickes Brett zu bohren, denn die Iren hatten im Juni dem Lissabon-Vertrag eine sehr deutliche Abfuhr erteilt. Angeführt wird das Gremium vom deutschen Sozialdemokraten Jo Leinen. Guten Morgen!
Jo Leinen: Guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Mitte des Monats war der irische Ministerpräsident Cowen in Brüssel und er hat noch mal bekräftigt, dass er nichts weiß, außer: Seine Landsleute zu drängen, nutzt nichts! An welcher Schraube wollen Sie heute drehen?
Leinen: Nun, der irische Premierminister weiß viel mehr. Er hat nämlich eine Studie anfertigen lassen über die Gründe für das Nein. Das meiste hat nichts mit Europa zu tun, sondern viel mit der Politik in Irland selbst. Und das mag es vielleicht so schwierig machen, aus dieser Sackgasse auch rauszukommen.
Wuttke: Die Iren fühlten sich nicht gut informiert, was eigentlich drinsteckt in diesem Vertrag. Das allerdings wusste man schon relativ kurz nach dem Nein. Wenn Herr Cowen nun diese Studie hat, warum hat er nicht gesagt: Liebe Leute, das ist der Weg, den wir jetzt gehen müssen?
Leinen: Das zweite Referendum darf natürlich nicht noch mal verloren gehen. Und man kann sich vorstellen, das in so einer aufgewühlten Atmosphäre erst mal der Rauch verziehen muss. Bis zu dem Gipfel im Dezember, das ist jetzt in sieben Wochen, da müssen aber Nägel mit Köpfen gemacht werden.
Wuttke: Ja, Sie halten ja unerschütterlich daran fest, dass der Lissabon-Vertrag bis zu den Europawahlen im nächsten Juni in Kraft treten müsse. Es ist noch nicht so lange her, dass Nicolas Sarkozy in Dublin war, die Iren zusammengestaucht hat und sich damit selbst und auch der Sache einen Bärendienst erwiesen hat.
Leinen: Das Parlament in Irland hat einen Sonderausschuss gegründet. Und dieser Sonderausschuss soll bis zum 28. November diesen Jahres einen Bericht machen. Und es ist ein Allparteienausschuss, Opposition wie Regierungsparteien. Und wir erhoffen uns davon einen Schub nach vorne. Das Parlament, die Bürgerkammer in Irland, muss die Brücke bilden zwischen der Bevölkerung auf der einen Seite und der Regierung auf der anderen Seite, ich hoffe, durch einen vernünftigen Vorschlag dieses Sonderausschusses im irischen Parlament.
Wuttke: Aber Sie haben doch mit Herrn Cowen in Brüssel selbst gesprochen? Er war doch in Ihrem Ausschuss? Warum diese Reise, wenn es doch so sehr klar scheint, dass man sich in Irland nicht drängen lassen will?
Leinen: Ich verstehe, dass Irland empfindlich ist gegen Ratschläge und vielleicht sogar gegen Druck aus Brüssel. Von daher waren die Vertreter Irlands in Brüssel immer ungemein vorsichtig. In Dublin ist das ein anderes Umfeld. Wir müssen wissen, wie es weiter geht, was Irland will und natürlich auch, was die Partner bereit sind, Irland im gegebenen Fall zu geben.
Wuttke: Wir müssen natürlich heute Morgen auch noch über eine andere Hütte reden, die ziemlich lichterloh brennt, nämlich Tschechien und das zwei Monate vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft. Die euroskeptische Regierung Topolanek hängt am seidenen Faden und Staatspräsident Vaclav Claus ist ein sowieso erbitterter Gegner des Lissabon-Vertrages und trompetet, dass die Präsidentschaft für ihn was völlig Bedeutungsloses sei. Wie will die EU mit einer solchen Ratspräsidentschaft Staat machen?
Leinen: Die tschechische Präsidentschaft kann wirklich zeigen, warum wir den neuen Vertrag brauchen. Ein Wackelkandidat als EU-Präsident ist so das Letzte, was Europa gebrauchen kann angesichts der Finanzkrise und der sich anbahnenden Wirtschaftskrise. Und jede Präsidentschaft muss auch gewahr sein, vor anderen Krisen, die da hereinkommen. Wir brauchen eine funktionierende Präsidentschaft. Und sollte das in Tschechien schiefgehen, wäre das wirklich der Beweis, dass dieser neue Reformvertrag kommen muss, wo nicht alle sechs Monate die Präsidentschaft rotiert, sondern wo ein EU-Präsident für zweieinhalb Jahre gewählt wird und auch für dieselbe Zeit noch mal gewählt werden kann.
Wuttke: Herr Leinen, das ist aber jetzt sehr kreativer Zweckoptimismus. Tschechien kann doch jetzt nicht das Beispiel für die EU sein, um zu zeigen, wie wichtig die Verfassung ist, denn in diesem halben Jahr, da muss viel auf den Weg gebracht werden, nicht nur der Lissabon-Vertrag, sondern es gibt auch einiges mit Russland zu klären. Man braucht also eine starke EU-Ratspräsidentschaft.
Leinen: Na, ich sehe, dass in Prag zwei Lager miteinander kämpfen. An dieser Stelle kann man nur hoffen, dass die Regierung Topolanek bleibt, weil es droht Schlimmeres zu kommen. Man wird sehen bis in Dezember hinein, ob die tschechische Republik sich blamieren will und auch für Europa wirklich Schaden anrichten will. Bei 27 Mitgliedsländern ist immer vielleicht eine Krise gerade am Kommen. Und die EU muss sich davon freimachen. Und das bietet der neue Reformvertrag durch eine permanente Präsidentschaft, die auch unabhängig ist von einem nationalen Amt, die die EU führt und nicht ein Mitgliedsland in der EU nach vorne schiebt, um die ganze EU zu führen. Das ist ja nur ein Beispiel der Fortschritte, die wir mit dem Lissabon-Vertrag machen können. Und sollte das mit der tschechischen Republik schiefgehen, ich glaube, das wäre dann wirklich der Beweis, wie sehr wie den neuen Vertrag brauchen.
Wuttke: Nun gut, stellen wir uns aber mal vor, die Iren sagen jetzt, wir werden mitnichten bis zum Dezember sagen, wir werden noch vor den EU-Wahlen im Juni eine neue und dazu auch noch eine erfolgreiche Volksabstimmung durchführen und mittendrin kracht dann auch noch die Regierung in Prag zusammen. Was dann?
Leinen: Dann haben wir ein echtes Problem!
Wuttke: Das glaube ich!
Leinen: Dann kommt zu den Krisen, die vorhanden sind, eine weitere hinzu. Dann, glaube ich, gibt es eine politische Dynamik, die in verschiedene Richtungen gehen kann. Und ich würde da nicht ausschließen, dass wir ein Europa der zwei Geschwindigkeiten bekommen, Länder, die vorangehen oder auch vorangehen wollen, und Länder, die zurückbleiben, die einfach nicht mehr erstklassig sind, sondern zweitklassig sind. Das will niemand. Aber wenn es nicht anders geht, dann wäre das der Plan B.
Wuttke: Die Europäische Union bleibt in einer tiefen Krise, dazu Jo Leinen, der Vorsitzende des Ausschusses für konstitutionelle Fragen des EU-Parlaments. Herr Leinen, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Leinen: Auf Wiederhören!
Jo Leinen: Guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Mitte des Monats war der irische Ministerpräsident Cowen in Brüssel und er hat noch mal bekräftigt, dass er nichts weiß, außer: Seine Landsleute zu drängen, nutzt nichts! An welcher Schraube wollen Sie heute drehen?
Leinen: Nun, der irische Premierminister weiß viel mehr. Er hat nämlich eine Studie anfertigen lassen über die Gründe für das Nein. Das meiste hat nichts mit Europa zu tun, sondern viel mit der Politik in Irland selbst. Und das mag es vielleicht so schwierig machen, aus dieser Sackgasse auch rauszukommen.
Wuttke: Die Iren fühlten sich nicht gut informiert, was eigentlich drinsteckt in diesem Vertrag. Das allerdings wusste man schon relativ kurz nach dem Nein. Wenn Herr Cowen nun diese Studie hat, warum hat er nicht gesagt: Liebe Leute, das ist der Weg, den wir jetzt gehen müssen?
Leinen: Das zweite Referendum darf natürlich nicht noch mal verloren gehen. Und man kann sich vorstellen, das in so einer aufgewühlten Atmosphäre erst mal der Rauch verziehen muss. Bis zu dem Gipfel im Dezember, das ist jetzt in sieben Wochen, da müssen aber Nägel mit Köpfen gemacht werden.
Wuttke: Ja, Sie halten ja unerschütterlich daran fest, dass der Lissabon-Vertrag bis zu den Europawahlen im nächsten Juni in Kraft treten müsse. Es ist noch nicht so lange her, dass Nicolas Sarkozy in Dublin war, die Iren zusammengestaucht hat und sich damit selbst und auch der Sache einen Bärendienst erwiesen hat.
Leinen: Das Parlament in Irland hat einen Sonderausschuss gegründet. Und dieser Sonderausschuss soll bis zum 28. November diesen Jahres einen Bericht machen. Und es ist ein Allparteienausschuss, Opposition wie Regierungsparteien. Und wir erhoffen uns davon einen Schub nach vorne. Das Parlament, die Bürgerkammer in Irland, muss die Brücke bilden zwischen der Bevölkerung auf der einen Seite und der Regierung auf der anderen Seite, ich hoffe, durch einen vernünftigen Vorschlag dieses Sonderausschusses im irischen Parlament.
Wuttke: Aber Sie haben doch mit Herrn Cowen in Brüssel selbst gesprochen? Er war doch in Ihrem Ausschuss? Warum diese Reise, wenn es doch so sehr klar scheint, dass man sich in Irland nicht drängen lassen will?
Leinen: Ich verstehe, dass Irland empfindlich ist gegen Ratschläge und vielleicht sogar gegen Druck aus Brüssel. Von daher waren die Vertreter Irlands in Brüssel immer ungemein vorsichtig. In Dublin ist das ein anderes Umfeld. Wir müssen wissen, wie es weiter geht, was Irland will und natürlich auch, was die Partner bereit sind, Irland im gegebenen Fall zu geben.
Wuttke: Wir müssen natürlich heute Morgen auch noch über eine andere Hütte reden, die ziemlich lichterloh brennt, nämlich Tschechien und das zwei Monate vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft. Die euroskeptische Regierung Topolanek hängt am seidenen Faden und Staatspräsident Vaclav Claus ist ein sowieso erbitterter Gegner des Lissabon-Vertrages und trompetet, dass die Präsidentschaft für ihn was völlig Bedeutungsloses sei. Wie will die EU mit einer solchen Ratspräsidentschaft Staat machen?
Leinen: Die tschechische Präsidentschaft kann wirklich zeigen, warum wir den neuen Vertrag brauchen. Ein Wackelkandidat als EU-Präsident ist so das Letzte, was Europa gebrauchen kann angesichts der Finanzkrise und der sich anbahnenden Wirtschaftskrise. Und jede Präsidentschaft muss auch gewahr sein, vor anderen Krisen, die da hereinkommen. Wir brauchen eine funktionierende Präsidentschaft. Und sollte das in Tschechien schiefgehen, wäre das wirklich der Beweis, dass dieser neue Reformvertrag kommen muss, wo nicht alle sechs Monate die Präsidentschaft rotiert, sondern wo ein EU-Präsident für zweieinhalb Jahre gewählt wird und auch für dieselbe Zeit noch mal gewählt werden kann.
Wuttke: Herr Leinen, das ist aber jetzt sehr kreativer Zweckoptimismus. Tschechien kann doch jetzt nicht das Beispiel für die EU sein, um zu zeigen, wie wichtig die Verfassung ist, denn in diesem halben Jahr, da muss viel auf den Weg gebracht werden, nicht nur der Lissabon-Vertrag, sondern es gibt auch einiges mit Russland zu klären. Man braucht also eine starke EU-Ratspräsidentschaft.
Leinen: Na, ich sehe, dass in Prag zwei Lager miteinander kämpfen. An dieser Stelle kann man nur hoffen, dass die Regierung Topolanek bleibt, weil es droht Schlimmeres zu kommen. Man wird sehen bis in Dezember hinein, ob die tschechische Republik sich blamieren will und auch für Europa wirklich Schaden anrichten will. Bei 27 Mitgliedsländern ist immer vielleicht eine Krise gerade am Kommen. Und die EU muss sich davon freimachen. Und das bietet der neue Reformvertrag durch eine permanente Präsidentschaft, die auch unabhängig ist von einem nationalen Amt, die die EU führt und nicht ein Mitgliedsland in der EU nach vorne schiebt, um die ganze EU zu führen. Das ist ja nur ein Beispiel der Fortschritte, die wir mit dem Lissabon-Vertrag machen können. Und sollte das mit der tschechischen Republik schiefgehen, ich glaube, das wäre dann wirklich der Beweis, wie sehr wie den neuen Vertrag brauchen.
Wuttke: Nun gut, stellen wir uns aber mal vor, die Iren sagen jetzt, wir werden mitnichten bis zum Dezember sagen, wir werden noch vor den EU-Wahlen im Juni eine neue und dazu auch noch eine erfolgreiche Volksabstimmung durchführen und mittendrin kracht dann auch noch die Regierung in Prag zusammen. Was dann?
Leinen: Dann haben wir ein echtes Problem!
Wuttke: Das glaube ich!
Leinen: Dann kommt zu den Krisen, die vorhanden sind, eine weitere hinzu. Dann, glaube ich, gibt es eine politische Dynamik, die in verschiedene Richtungen gehen kann. Und ich würde da nicht ausschließen, dass wir ein Europa der zwei Geschwindigkeiten bekommen, Länder, die vorangehen oder auch vorangehen wollen, und Länder, die zurückbleiben, die einfach nicht mehr erstklassig sind, sondern zweitklassig sind. Das will niemand. Aber wenn es nicht anders geht, dann wäre das der Plan B.
Wuttke: Die Europäische Union bleibt in einer tiefen Krise, dazu Jo Leinen, der Vorsitzende des Ausschusses für konstitutionelle Fragen des EU-Parlaments. Herr Leinen, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Leinen: Auf Wiederhören!