Leinemann: Wenig Neues über Rot-Grün

Moderation: Liane von Billerbeck |
Der Journalist Jürgen Leinemann erwartet von den Memoiren des Altkanzlers Gerhard Schröder keine neuen Informationen über interne Debatten und Streitigkeiten der rot-grünen Regierungszeit. Sachlich biete das Schröder-Buch wenig Neues, sagte der „Spiegel“-Reporter. Es erinnere aber daran, dass diese sieben Jahre eine dramatische Zeit gewesen seien.
Lesen Sie im Folgenden Auszüge aus dem Interview mit Jürgen Leinemann:


Von Billerbeck: Tus Talle, Hillu, Doris, Ich will hier rein!, Brioni, Basta!, ruhige Hand, Agenda 2010, uneingeschränkte Solidarität, Atomausstieg, Haarefärben, Enkelgeneration, Hartz IV, lupenreiner Demokrat, Gedöns, Glotze, Vertrauensfrage. Soweit eine – zugegeben – ungeordnete Sammlung von Wörtern, die wir mit Ex-BundesKanzler Gerhard Schröder assoziieren könnten. In dieser Woche erscheinen seine Memoiren, bisher kennen wir nur Häppchen – aus „Spiegel“ und „Bild“. Was erfahren wir daraus? Und: Muss uns das interessieren, was der Kanzler da schreibt?

Darüber sprechen wir jetzt mit dem Journalisten Jürgen Leinemann. Seit 1971 beim Spiegel, Reporter und Büroleiter in Washington, Bonn und Berlin. 2004 ist sein Buch „Höhenrausch“ erschienen, über die „wirklichkeitsleere Welt der Politiker“, so dessen Untertitel. Jürgen Leinemann ist jetzt im Studio. Guten Tag!

Leinemann: Guten Tag!

(…)

Von Billerbeck: Gab es in den Schröder-Memoiren irgendwas, das Sie überrascht hat?

Leinemann: In der Sache nichts. Das kann aber auch eigentlich gar nicht sein, weil das war diese sieben Jahre ja auch eine sehr offen Administration. Viel Geheimnisse sind da nicht geblieben, im Gegenteil, es ist viel zu viel nach außen gedrungen über jede Variante, jede Streitigkeit, und insofern wusste man eigentlich immer alles. Was eben noch mal deutlich wird, auch in diesen kurzen Ausschnitten, was das für eine dramatische Zeit gewesen ist, diese Sieben Jahre. Wir hatten ja am Ende alle so ein bisschen das Gefühl, „nun reicht's und nun ist auch gut“, aber das hatte auch damit zu tun, dass ein ständiger Wechsel, eine ständige Veränderung uns in Atem gehalten hat und eigentlich hatten die Leute das Gefühl, das ist zu viel, zu schnell und zu schrill.

Von Billerbeck: War denn Schröder für diese dramatische Zeit, wie Sie selber sagen, der richtige Kanzler?

Leinemann: Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Ich denke, er war insofern der richtige, als dass er ein sehr offener Mann gewesen ist und das, was ihm oft vorgeworfen wird, nämlich dass er keine Visionen hatte und keine Konzeption für eine längerfristige Politik, das hat auch die positive Seite, dass er sich einlassen konnte auf alles, was passiert. Er hat sich geöffnet gegenüber dem Geschehen und da dieses eine sehr wechselhafte Zeit war mit diesen ganzen Umbrüchen in Deutschland, mit der Veränderung von der rheinischen zur Berliner Republik, mit dem Umzug, dem Generationswechsel und natürlich mit dem 11. September die Veränderungen in der Weltpolitik, auf alles das hat er sehr offen reagiert, nicht immer ganz glücklich, aber auf jeden Fall sehr offen. Und ich könnte mir auch vorstellen, dass jemand, der eine feste Konzeption hätte oder eine Vorstellung davon, wie die Welt sein soll, dass man dann sich mit mehr Blockade dagegen gewehrt hätte.

Von Billerbeck: Andererseits ist so eine Art ad hoc zu regieren auch sehr kurzatmig.

Leinemann: Das ist überhaupt keine Frage, das hat diesen Nachteil, aber ich denke, das, was er für sich in Anspruch nimmt, zu sagen, ich habe die außenpolitische Beweglichkeit erhöht, durch ein etwas distanzierteres Verhältnis zu den Amerikanern, das ist sicherlich richtig, und innenpolitisch hat er durch die Agenda (…) doch einiges in die Wege geleitet.

Von Billerbeck: Ich habe gestern die paar Seiten im Spiegel gelesen. Es gibt spannendere Lektüre, auch von Politikern ... Ich fand es unsäglich und unsäglich langweilig. Wie ist das Urteil des Journalisten Leinemann über den Autor Gerhard Schröder?

Leinemann: Gerhard Schröder ist für diese Art von längerfristigen Büchern, die auch so eine Konzeption im Grunde vortäuschen sollen, die er ja nicht gehabt hat, dafür ist er nicht der richtige Mann. Schröder ist ein Mann, der sehr gut und lebendig erzählen kann, auch aus dem Augenblick und diese Stärken kommen in dem Buch aber zu wenig zum Tragen.

(…)
Von Billerbeck: Herr Leinemann, Sie verbindet eine alte Freundschaft mit Gerhard Schröder. Sie haben 2004 ihr Buch „Höhenrausch“ geschrieben und darin Politik als Sucht beschrieben. Welche typischen Eigenschaften eines Politikers hat Schröder?

Leinemann: Er ist schon einer, dem sein politischer Stellenwert immer das Wichtigste ist, der also seine ganze Person in den Dienst seiner Karriere stellt und seines persönlichen Erfolges. Er ist auch einer, der seine ganze Bedeutung daraus bezieht, weswegen ihm der Abschied aus diesem Amt ungeheuer schwergefallen ist, da hat er kräftig drunter gelitten. Das, was dann auch hinterher wieder kritisiert wurde, dass er so schnell und wie es schien ziemlich wahllos und ohne Rücksicht auf politische Anrüchigkeit Jobs angenommen hat, die ihm Geld eingebracht haben, …

Von Billerbeck: Gazprom!

Leinemann: Gazprom war nur ein Teil davon. Das hatte zum Teil damit zu tun, das er sagt: ich hatte Angst, in ein Loch zu fallen, und das ist auch der Teil, den ich ihm glaube.


Das gesamte Gespräch mit Jürgen Leinemann können Sie für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören.