Leidenschaften und Tragödien

24.01.2013
Vicky Baum hat mit ihren Romanen in den frühen 30er-Jahren Weltruhm erlangt, später verbrannten die Nazis ihre Bücher. Vor 125 Jahren wurde die österreichisch-amerikanische Schriftstellerin geboren, sie verstarb 1960. Ihr Roman "Rendez-vous in Paris" wurde jetzt neu aufgelegt.
Sie ist die Mutter des modernen Unterhaltungsromans, die Ahnherrin von Gaby Hauptmann, Ildiko von Kürthy, Susanne Fröhlich, all jener eben, deren Bestseller den heutigen Publikumsgeschmack treffen, zumal den weiblichen.

Aber ähnelt Vicki Baum ihren Töchtern auch in literarischer Hinsicht? Just zum 125. Geburtstag der Erfolgsschriftstellerin, die am 24. Januar 1888 in Wien zur Welt kam, 1960 in Hollywood verstarb, in den frühen dreißiger Jahren mit Titeln wie "Menschen im Hotel" oder "Liebe und Tod auf Bali" Weltruhm erlangte, lässt sich diese Frage am Beispiel eines nicht ganz so populären, jetzt neu aufgelegten Romans überprüfen. Er heißt "Rendezvous in Paris".

Als Vicki Baum ihn schrieb und 1935 im Amsterdamer Exilverlag Querido veröffentlichte, lebte sie bereits in Amerika, nicht mehr in Berlin, wo die Nazis ihre Bücher verbrannten.

Das Melodram "Rendezvous in Paris" trägt die unverkennbare Handschrift Vicki Baums. Die Handlung ist auf vier Tage verdichtet. In dieser Zeit vollziehen sich Leidenschaften und Tragödien, die das Leben mehrerer Figuren vollkommen verändern. Die Hauptperson ist Evelyn, eine junge Frau, Gattin eines Berliner Amtsgerichtsrates, Mutter von zwei Kindern. Zartbesaitet, schnell in Ohnmacht fallend, dem Aufenthalt in Bett und Badewanne zu-, dem aktiven Alltag eher abgeneigt, scheint sie mehr dem 19. Jahrhundert zu entstammen als den goldenen und rasanten Zwanzigern.

Hals über Kopf verliebt sich Evelyn in den amerikanischen Geschäftsmann Frank. Sie verbringt mit ihm ein heimliches Liebeswochenende in Paris. Was für Evelyn die Erfüllung ihrer sentimentalen Träume ist, zählt für den amerikanischen Schürzenjäger nur als kleine Abwechslung. Das Flugzeug, mit dem Evelyn nach Berlin zurückkehren soll, stürzt ab. Sie kommt ums Leben. Ein Anruf der Lufthansa klärt ihren Ehemann Kurt gleichzeitig über seine Witwenschaft und sein Schicksal als Betrogener auf. Marianne allerdings, die beste Freundin der Familie, steht ihm als Trösterin zu Seite und nimmt im Handumdrehen Evelyns Stelle ein. Im Grunde hat sie schon immer besser zu Kurt gepasst. Man darf diese Entknotung der Handlungsfäden durchaus als Happy End betrachten.

Dass sich die Geschichte an den Zutaten der Kolportage bedient, ist unbestreitbar. Dass der Roman dabei nicht ins Triviale kippt, allerdings auch. Denn die multiperspektivische Erzählweise, die Vicki Baum hier anwendet, ist so literarisch anspruchsvoll wie modern. Jeder der Tage, in denen die Tragödie ihren Lauf nimmt, wird dreimal erzählt, jeweils aus der Perspektive einer anderen Figur: Evelyn, Kurt und Frank. Zusätzliche Raumtiefe gewinnt der Roman durch die Schilderung eines Gerichtsprozesses, der im Hintergrund der Hauptgeschichte abläuft und deren Bürgermilieu mit der proletarischen Herkunft der Angeklagten konfrontiert.

So differenziert, so reich, so nah der hohen Literatur war sie also einmal: Die Unterhaltungsliteratur. So viel wie bei Vicki Baum bekommen wir heute von ihren Nachfahren auf der Bestsellerliste wohl nicht geboten.

Besprochen von Ursula März

Vicki Baum: Rendezvous in Paris
Verlag edition ebersbach, Berlin 2012
344 Seiten, 22,00 Euro

Links bei dradio.de:
"Ich bin eine erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte"
Mehr zum Thema