Leidenschaft fürs Üppige

Von Peter B. Schumann |
Der kolumbianische Künstler Fernando Botero ist bekannt für seine rundlichen, üppigen und voluminösen Skulpturen. 16 seiner Figuren sind ab Dienstag im Berliner Lustgarten und am Pariser Platz zu sehen. Als Vorbild nennt der Kolumbianer die florentinischen Künstler der Renaissance, denn sie hätten die Raumperspektive und das Voluminöse entdeckt.
„Ich bin Lateinamerikaner. Mein ganzes Werk ist davon durchdrungen. Und ich bin ein hundertprozentiger Kolumbianer, mit kolumbianischem Pass und allem drum und dran, auch wenn ich in Kolumbien nach zwei Entführungsversuchen nicht mehr leben kann. Mein Stil aber ist italienisch geprägt, von der großen italienischen Fresken-Malerei des 15. Jahrhunderts.“

Dieses Bekenntnis eines der bedeutendsten lateinamerikanischen Künstler ist nicht leicht zu vermitteln. Fernando Botero ist als ein realistischer Gestalter üppigster Formen bekannt. Manche halten sie für unmäßig, diese schwellenden Frauenkörper und breiten Männerfiguren mit riesigen Gliedmaßen und Hinterteilen, kleinen Köpfen und winzigen Geschlechtsorganen. Bei Pablo Picasso stört das niemanden: Er hat das Reale ins Surrealistische getrieben und das Sexuelle ausgestellt, das Botero eher versteckt, zumindest untertreibt. Bei dem Kolumbianer bleibt das Reale realistisch, wird jedoch deformiert, verliert aber nur das übliche Maß, nicht die Form. Dazu hat ihn die Renaissance-Malerei in Florenz inspiriert.

„Florenz ist die Heimstatt des Volumens. Die florentinischen Maler entdeckten die Raumperspektive. Das war damals revolutionär. Sie kultivierten sie und bezogen dann in die räumliche Darstellung auch den menschlichen Körper ein, der immer plastischere Formen annahm von Giotto über Masaccio bis Michelangelo. Die florentinische Malerei wurde immer volumetrischer und sinnlicher.“

Fernando Botero entwickelte daraus seine „Leidenschaft“ – wie er sagt – für die fülligen, überdimensionierten Körper. Die Monumentalität seiner barocken Rundungen, oft unterstrichen durch starke Farben, ist für ihn Ausdruck von Sinnlichkeit. Caravaggio oder Rubens haben das lange vor ihm auf ihre Weise dargestellt. Seine Kunst hat also – wie die lateinamerikanische Kultur überhaupt – europäische Wurzeln. Daraus hat dieser „Italo-Latino“ – wie er sich gern bezeichnet – seinen persönlichen Stil erarbeitet. Seit Jahrzehnten verleiht er damit Landschaften, Ereignissen und Figuren jenen unverwechselbaren Ausdruck, für den er weltberühmt ist. Eine seiner bekanntesten Serien heißt „Offizielle Portraits“.

„Diese Bilder von Präsidenten, Diktatoren, Militärjuntas sind Satiren auf die 60er Jahre, als es viele dieser Regimes gab ... Das waren furchtbare Typen wie aus Operetten, lächerlich, absurd und gefährlich, die das Land ausraubten und jede Form von Verbrechen begingen. Sie haben mich zu einer großen Anzahl solcher satirischer Darstellungen angeregt ... Die Politik hat mich mein ganzes Leben lang nicht losgelassen.“

Da stehen sie aufgereiht, diese Gestalten mit dem stupiden Blick, die mit ihren fleischlichen Massen den ganzen Raum füllen, so wie die Vorbilder glaubten, sich in ihren Ländern breit machen zu können. Sie sehen ganz unschuldig aus und werden auch wie eine Familienidylle vorgeführt, haben aber stets die Hand am Degen.

Fernando Boteros Bilder und Zeichnungen mögen auf den ersten Blick naiv erscheinen, aber sie enthalten viele Details von ironischer, oft satirischer Schärfe. Er sucht nicht den äußeren dramatischen Ausdruck, will nicht schockieren, sondern den Betrachter an die innere Dramatik heranführen, beispielsweise bei seiner Auseinandersetzung mit der „violencia“, der politischen Gewalt in Kolumbien.

„Ich habe mich mit dem Drama Kolumbiens beschäftigt, ohne an ihm persönlich teilzunehmen, sonst wäre ich vielleicht auch tot. Ich habe fast hundert Arbeiten über Massaker, Folter und Mord gemalt und gezeichnet und sie später dem Nationalmuseum in Bogotá geschenkt, denn sie sind Zeugnisse einer schrecklichen Epoche meines Landes, die hoffentlich bald überwunden wird. Sie sollen die Menschen an die dunkelsten Jahre der Geschichte Kolumbiens erinnern.“

Fernando Botero lehnt es ab, als politischer Maler eingeordnet zu werden, obwohl der mittlerweile 75-Jährige gerade in den letzten Jahren sehr explizit politisch in seinem Werk Stellung genommen hat: auf rund 80 Bildern hat er die Schrecken der US-amerikanischen Folterkammern in Abu Ghraib festgehalten. Doch seine eigentlichen Themen, Motive und Figuren findet er in seinem Heimatland Kolumbien und in Lateinamerika. Wie allen großen Künstlern ist es ihm gelungen, dem lokalen Sujet universale Gültigkeit zu geben.

Das lässt sich auch an seinen Skulpturen ablesen. Diese monochromen, weiblichen und männlichen, drei Meter m hohen Gestalten sind seinen Bildern entsprungen und zeigen ihre ausladenden Rundungen in schönster Nacktheit.

„Ich wollte mein Leben lang Skulpturen machen, so wie die großen Künstler der Renaissance sich alle mit Skulpturen verewigt haben. Aber dazu hätte ich die Malerei für viele Monate aufgeben müssen, denn so eine Statue braucht Zeit. Erst Mitte der 70er Jahre konnte ich mich dazu durchringen. Ich mache jedoch selten mehr als eine Skulptur pro Jahr. Sie erlaubt mir die Steigerung meiner Obsession für das Voluminöse in die dritte Dimension. Doch ich bin nach wie vor mehr Maler als Bildhauer.“

Obwohl viele seiner Plastiken zunächst erdenschwer wirken, beginnen einzelne bei näherer Betrachtung zu schweben: der Mann, der in die Ferne blickt, die Frau, die ihre Rundungen der Welt lustvoll entgegenreckt. Aber da findet sich auch ein Mann, der über einen Liegenden hinwegspaziert: ein politischer Kommentar, der einzige des Bildhauers Botero.

Der treibt lieber seinen Scherz mit der Welt: mit der Katze, diesem riesigen Viech mit der winzigen Zunge, oder der Sitzenden, die doch tatsächlich einen Apfel irgendeinem Adam entgegenhält. Denn Humor, Witz, Ironie blitzen an vielen Stellen des umfangreichen Werks auf und dienen dem großen Kolumbianer dazu, seine oft bitteren Erkenntnisse erträglicher zu gestalten.
Der kolumbianische Künstler Fernando Botero auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor in Berlin
Der kolumbianische Künstler Fernando Botero auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor in Berlin© AP