Leiden der Kriegsheimkehrer

20.01.2010
Svenja Goltermann untersucht in "Die Gesellschaft der Überlebenden" die Leiden der Heimkehrer in die deutsche Nachkriegsgesellschaft. Sie geht der Frage nach, was die Gewalterfahrungen für deutsche Soldaten nach dem Krieg bedeuteten.
"Trauma" ist heute fast ein Modewort. Der Schock und seine tiefen, oft lange unentdeckten psychosomatischen Folgen. Dass sowohl erlittene als auch ausgeübte Gewalt Spuren hinterlässt, haben uns Kriminalistik und forensische Psychiatrie gelehrt.

Da geht es um einzelne Menschen und einzelne Taten. Ausnahmesituationen in einer eigentlich friedlichen Umgebung. Kollektiv davon getroffen werden allenfalls Polizisten.

Dass es noch eine Berufsgruppe gibt, zu deren Arbeitsplatzbeschreibung es gehört, Gewalt bis hin zur Tötung anzutun und von ihr bedroht zu sein, hatten wir hierzulande lange vergessen dürfen: Soldaten. Wir lernen es gerade wieder. An einer Ausnahmesituation namens Krieg.

Andernorts weiß man schon länger, dass Soldaten oft mit post-traumatischen Belastungsstörungen heimkommen. PTBS rückte seit dem Vietnamkrieg in den Blick. Und wer heute vom Hindukusch nach Deutschland zurückkommt, kann zumindest mit Verständnis und Mitgefühl und - ansatzweise - staatlicher Hilfe rechnen.

Die letzte deutsche Soldatengeneration, die Krieg tatsächlich erlebt hat, konnte das nicht. Das hatte nicht nur fatale Folgen für Individuen, Familien und die Zivilgesellschaft, es hatte auch Gründe, die in einem schwer entwirrbaren Gestrüpp aus Schuld, Mentalität, (Finanz-)Politik und wissenschaftlicher Entwicklung liegen.

Svenja Goltermann hat diesen Zusammenhang zum ersten Mal erforscht. Ihr Buch "Die Gesellschaft der Überlebenden" basiert zum einen auf 450 nie zuvor gesichteten Patientenakten aus psychiatrischen Abteilungen in Bethel, Heidelberg und Köln. Viele Männer waren von ihren Frauen geschickt worden, kämpften um Kriegsopferrenten, wurden beschimpft als "Simulanten" oder "Rentenbetrüger".

Sie trafen auf Ärzte, die Psychosomatik nicht mal als Begriff kannten, sondern davon ausgingen, dass der "gesunde, normale Mensch" alles verarbeiten kann. Höchstens Hunger ließen sie gelten als eventuelle Ursache für Hirnveränderungen und psychische Störungen.

Der zweite, wissenschaftshistorische Komplex untersucht die bundesrepublikanische Nachkriegspsychiatrie als "Gedächtniswissenschaft", in der aus der allmählichen Veränderung ihrer Instrumente auch eine neue "Gedächtnispolitik" folgt, Erinnerung sich öffnet für Sensibilität mit Opfern. Aber gleichzeitig immer wieder Türen zugeschlagen werden, zum Beispiel von Ämtern, die ihre Rentenkassen hüten wollen.

Der dritte Komplex ist Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Es wurde zumindest anfangs sehr wohl geredet über Krieg und Gewalt, in Familien, in Literatur und Kino. Gleichzeitig gab es massive Tabuisierung, individuell - man musste ja überleben! - wie kollektiv - es musste ja aufgebaut werden!

Wer von der Studie eine nachträgliche Entschuldung von Wehrmachtssoldaten oder gar deren Umwidmung in Opfer erwartet, wird enttäuscht. Die Historikerin konterkariert jede klammheimliche Relativierung von Schuld und Verbrechen - nicht nur, indem sie den wirklichen Opfern der Mordmaschinerie breiten Raum widmet.

Sie verstellt auch den gedanklichen Fluchtweg einer mechanistischen Vorstellung von Trauma: Die psychischen Probleme der ehemaligen Soldaten hatten viele andere Gründe als die Erfahrung von Kriegsgewalt.

"Die Gesellschaft der Überlebenden" ist ein Mammutwerk im ganz wörtlichen Sinn, ein Riese, in Einzelteilen ausgebuddelt wie aus Eisgebirgen scheinbarer ferner Vorzeiten und durch kluge, konsequente Kontextualisierung zusammengesetzt. Faszinierend zu lesen, nicht nur als rarer Einblick in die andere Seite der bitteren Wahrheit, dass Vergangenheit eben nicht vergeht: auch für die Täter(seite) nicht.

Besprochen von Pieke Biermann

Svenja Goltermann: Die Gesellschaft der Überlebenden - Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg
Deutsche Verlagsanstalt München 2009, 592 Seiten, 29,95 Euro