Leichtfüßige Altersheimkomödie

11.01.2011
In der Seniorenresidenz ist die Hölle los. Die nicht selten von Demenz- und Alzheimersymptomen geplagten Bewohner sorgen permanent für neue Überraschungen. Und die Betreuer sind kaum weniger skurril.
Nein, es mangelt der Gegenwartsliteratur nicht an Romanen, die dem demografischen Umstand Rechnung tragen, dass unsere Gesellschaft allmählich überaltert. War die Literatur früher in jugendbewegten Szeneclubs oder hippen Werbeagenturen zu Hause, so wechselt sie inzwischen die Schauplätze und führt uns mehr und mehr in Krankenhäuser und Altersheime.

Auch die 1981 geborene Französin Camille de Peretti greift diesen Themenwandel in ihrem dritten (vorzüglich übersetzten) Roman auf und lässt ihn in der noblen Pariser Seniorenresidenz "Les Bégonias" spielen.

Wer in der Lage ist, 26.896 Euro und 85 Cents jährlich aufzubringen, darf sich in diesem gepflegten Alterssitz von des Lebens Mühen erholen – oder auch nicht. Denn was de Peretti in ihren 64 Romankapiteln ausbreitet, zeugt kaum von entspannter Seniorenidylle. Die nicht selten von Demenz- und Alzheimersymptomen geplagten Bewohner kommen nicht zur Ruhe, ersehnen bisweilen den Tod, kämpfen mit ihren Malaisen, mit der Langeweile, mit Verwandten, die sich um jeden Besuch drücken, mit widerwärtigen Mitbewohnern, denen man liebsten eine "Gabel in den Hals rammen" möchte, mit den eigenen Wahnvorstellungen und mit Erinnerungen, die keineswegs nur die vermeintlich guten alten Zeiten hochschwemmen.

Drei Figuren – die hochbetagte, soignierte Louise Alma, einst als "Königin des Omeletts" bekannt, die Pfarrersfrau Marthe Buissonette und die ehemalige Bistrobetreiberin Jocelyne Barbier – rückt Camille de Peretti ins Zentrum ihres an einem Oktobersonntag im Jahr 2005 spielenden Romans. In schnellen Kapitelschnitten lernen wir unverwechselbare, kauzige Charaktere kennen, die von den mitunter kaum weniger skurrilen Betreuern in Schach gehalten werden sollen.

Da treffen wir jenen nie zur See gefahrenen "Kapitän", der überall Leichtmatrosen wähnt und ständig zu großer Fahrt aufbrechen will, oder die demente "Baronin" Geneviève, die ihren Mann Alphonse dadurch zum Wahnsinn treibt, dass sie ihn ständig mit verflossenen Liebhabern verwechselt.

Camille de Peretti ist eine einfallsreiche Meisterin des leichten Fachs. Mit untrüglichem Sinn für die unfreiwillige Komik des Lebens kennt sie keine Scheu, makabere Situationen vergnüglich zu schildern – etwa wenn Residenzdirektor Drouin entsetzt feststellt, dass die Kühlanlage ausgefallen ist und deshalb eine in der Hauskapelle aufgebahrte Tote von Ameisenströmen heimgesucht wurde. Ein kräftiges Schädlingsbekämpfungsmittel beseitigt zwar den Missstand, doch die herbeigeeilten Angehörigen wundern sich ein wenig über die Geruchsentwicklung.

Wer bei der Lektüre der Altersheimkomödie "Wir werden zusammen alt" an die Erfolgsromane Anna Gavaldas denkt, geht nicht in die Irre. Camille de Peretti selbst hat, wie der Nachspann verrät, vor allem an ihren Landsmann Georges Perec und dessen großen Roman "Das Leben Gebrauchsanweisung" gedacht. Auch "Wir werden zusammen alt" ist nach einem akribischen mathematischen Kalkül komponiert – das man freilich nicht (er)kennen muss, um dieses charmante, leichtfüßige und nur manchmal sentimentale Buch sympathisch zu finden.

Besprochen von Rainer Moritz

Camille de Peretti: Wir werden zusammen alt
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Rowohlt Verlag, Reinbek 2011
285 Seiten, 19,95 Euro