Leichenwasser im Museum

Von Carsten Probst · 03.12.2010
Im Norden Mexikos herrscht ein Kampf der Drogenkartelle. Wie brutal es dort zugeht, verdeutlicht die Künstlerin und studierte Gerichtsmedizinerin Teresa Margolles nun mit einer verstörenden Schau in Kassel.
Eigentlich geht es bei Ausstellungen von Teresa Margolles immer nur um das Eine. In einem dunklen Raum hört man zum Beispiel Wasser von der Decke auf heiße Platten tropfen -

"...was aus Leichenhäusern in Mexiko gesammelt wurde. Also Wasser, womit Leichen gewaschen wurden."

Oder, im nächsten Raum...

"... eine Mauer, vor der zwei Polizisten mit einem Maschinengewehr erschossen wurden."

Am Ende des Saals dann eine lange Ritze in der Wand, die mit einer seltsamen Masse verspachtelt wurde:

"Das ist Körperfett. Körperfett von ermordeten Personen. Das ist auch eine Metapher für etwas, was in letzter Zeit sehr viel passiert in Mexiko. Es werden sehr viele Leichen gefunden momentan, wo zum Beispiel Glieder verschwunden sind, abgehackt sind, oder der Kopf weg ist oder auch Genitalien und anderes, Teile des Gesichts zum Beispiel weggeraten sind. (...) Und dann hat man so einen Arm so offen liegen, und dann hat man die Schichten, die Haut, Muskeln, Fett, Knochen, und dann lässt sich dieses Körperfett auch einfach entfernen."

Soweit einige sachdienliche Hinweise von Rein Wolfs, dem umtriebigen und gewissenhaften und stets um die Aktualität der Gegenwartskunst bemühten Direktor der Kunsthalle Fridericianum in Kassel. Und für jene, die sich jetzt möglicherweise fragen, ob die Künstlerin die Mordopfer am Ende gar selbst um ihr Körperfett erleichtert hat, sei zur Beruhigung gesagt: Dafür hat sie Assistenten. Und für all jene, die sich fragen, ob das die Polizei erlaubt, was Teresa Margolles da macht, ob es nicht wider die guten Sitten und die Ehre der Toten ist, sei ergänzt: In der nördlichen mexikanischen Grenzregion um die Stadt Ciudad Juárez, der von Drogenkriegen heimgesuchten Welthauptstadt des Verbrechens, wo Margolles zeitweilig lebt und arbeitet,erlaubt die Polizei offenkundig so ziemlich alles, und die Frage der guten Sitten und der Ehre der Toten ist bei ihr im Zweifel besser aufgehoben als bei der örtlichen Selbstjustiz der verschiedenen Banden. Zudem hat Margolles durch ihr Studium der Gerichtsmedizin gute Verbindungen und einen professionellen, wenn auch keineswegs kalten Blick auf das Leiden.

"Meine Arbeiten übertragen das Geschehen. Das Sterben unter diesen Bedingungen, auf eine andere, emotionale Ebene, die es zugleich erlaubt, darüber zu reflektieren. Und es geht mir darum, die Kampfzone dieses Krieges symbolisch auch in das Museum zu verlagern."

Wenn sich nun Teresa Margolles selbst eher als Beobachterin des Mordens und des Leidens versteht und als Mahnerin für die Lebenden: Wie lebt sie selbst in dieser Region. Ist sie ständig gefährdet? Da lässt Margolles zunächst die Kunsthistorikerin
Alpha Escobedo antworten, die aus dieser Region stammt:

"Natürlich haben wir Angst. Wir leben in einer Art Kriegssituation. Das ist nicht nur eine Frage der Toten, der Opfer, sondern gerade auch der Lebenden, wie es überhaupt weitergehen soll in solch einem Kriegszustand."

Und Margolles fügt hinzu:

"Ein Unterschied gegenüber dieser Grundsituation ist, dass ich mich als Künstlerin relativ frei bewegen kann. Ich kann reisen und das Land verlassen. Ich bin eine öffentliche Person, meine Arbeiten werden gezeigt, es sind Fotos von mir zu sehen. Das hat Vorteile, aber auch Nachteile. Ich bin dadurch natürlich immer sichtbar."

Margolles Installationen sind keine, anders als manche mexikanische Filme der letzten Jahre zur selben Thematik, blutigen Horror-Shows. Margolles' Formensprache ist reduziert und geradezu minimalistisch. Der moralische Schrecken vermittelt sich dezent: weniger über den Anblick, als über die beigegebenen Erläuterungen der Arbeiten. Die Frage ist, was die 1963 geborene Mexikanerin wohl damit erreicht in einem so stattlichen alten Museumsbau in der nordhessischen Provinz, mit Blick auf den Kasselaner Weihnachtsmarkt. Das Publikum wird sich wohl ganz sicher nach dieser Ausstellung an die Region Ciudad Juárez erinnern, diese unheimliche, so gar nicht hessische Provinz – mit Blick auf den hohen Absperrzaun, der sie von Texas trennt.

Link zur Ausstellung