Leibrecht: "Rückfall in alte Sowjetmentalität"
Harald Leibrecht hat dem russischen Präsidenten Putin vorgeworfen, das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten und Journalisten nicht unterbunden zu haben. Wenn Putin sich als Demokrat verstehe, müsse er die Meinungsfreiheit endlich gewährleisten, sagte der FDP-Politiker.
Jörg Degenhardt: Monate vor der Parlaments- und ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl, bei der es um die Nachfolge von Vladimir Putin geht, hat sich die Macht in Moskau und in St. Petersburg von ihrer brutalen Seite gezeigt. Mit äußerster Härte ging die Polizei am letzten Wochenende gegen oppositionelle Demonstranten und journalistische Beobachter vor. Auch ein ARD-Fernsehteam wurde angegriffen, getreten und geschlagen. Was ist los in Putins Reich? Dazu Fragen jetzt an Harald Leibrecht. Er sitzt für die FDP im Deutschen Bundestag, ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und hält sich zurzeit in Moskau auf. Guten Morgen, Herr Leibrecht!
Harald Leibrecht: Guten Morgen, Herr Degenhardt!
Degenhardt: Putin soll Zustimmungsraten von 70 Prozent in der Bevölkerung haben. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum der Kreml trotzdem so gereizt auf die ja relativ bescheidene Schar der Protestierer reagiert?
Leibrecht: Es ist durchaus ein Rückfall, so sage ich, in alte Sowjetmentalität zu erkennen, was der Umgang der Demonstration, mit Meinungsfreiheit betrifft. Hier ist durchaus ein Rückschritt zu erkennen. Und jedes Mal, wenn eine – selbst wie in diesen Fällen angemeldet, ordnungsgemäß, wie man so schön sagt – angemeldete Demonstration stattfindet, greifen die Sicherheitskräfte durch, weil die Politik einfach nervös ist. Sie möchte keine Opposition in der Öffentlichkeit haben, aber mit diesen Knüppelaktionen erzielen sie letztendlich nur das Gegenteil, nämlich dass eben die Demonstrationen zumindest außerhalb Russlands in der Öffentlichkeit stattfinden.
Degenhardt: Ist denn Putin direkt verantwortlich zu machen für die Übergriffe der Polizei?
Leibrecht: Zumindest hätte er eingreifen können, schon nach der ersten Demonstration war klar, dass auch eine zweite stattfindet, dann in St. Petersburg. Er hätte sicherlich mit seinen Sicherheitskräften sprechen können, dass sie eben nicht in dieser Härte oder überhaupt gewalttätig durchgreifen. Das ist einfach ein sehr schlechter Stil. Und ich glaube, wenn er sich als – wie Schröder früher sagte – lupenreiner Demokrat geben will, sollte er mindestens bei der Meinungsfreiheit endlich anfangen, dies auch zu beweisen.
Degenhardt: Der Oppositionspolitiker und frühere Schachweltmeister Gari Kasparow hat weitere Demonstrationen angekündigt. Warum hält sich eigentlich der Zulauf für die Putin-Gegner so in Grenzen?
Leibrecht: Natürlich herrscht bei den Putin-Gegnern auch Angst, gerade weil eben so hart durchgegriffen wird. Und dann muss man dazu sagen, dass bei diesen Demonstrationen sich doch eine ziemlich bunte Mischung von Menschen trifft aus den unterschiedlichsten, auch politischen Lagern. Das geht also von doch ganz rechts bis ganz links. Es ist also eine etwas diffuse Geschichte. Und natürlich will ich die Sache auch jetzt rein, was die Politik dieser Demonstration betrifft, nicht unbedingt bewerten. Da kann man unterschiedlicher Meinung sein. Nichtsdestotrotz muss der Staat diese Demonstration tolerieren, denn eigentlich sind sie ja auch erst zunächst friedlich abgelaufen, und die Sicherheitskräfte haben dann eben so hart durchgegriffen.
Degenhardt: In Russland buchstabiert man offensichtlich Demokratie ganz anders, also von einer Demokratie westlicher Prägung kann man doch überhaupt nicht sprechen?
Leibrecht: Nein, also da hat Russland noch einen sehr langen Weg. Man darf natürlich die Hoffnung auch nicht aufgeben, aber wir sind natürlich schon besorgt darüber, dass der Staat immer mehr wieder an sich reißt. So werden jetzt die Gouverneure direkt von Moskau aus ernannt und nicht mehr vor Ort gewählt. Kleinere Parteien können nicht antreten jetzt für die anstehenden Duma-Wahlen im Dezember, weil sie nötigen Mehrheiten an Unterstützern nicht bekommen und auch nicht landesweit antreten können. Und so werden also auch die letzten wirklich demokratischen Kräfte aus dem kommenden russischen Parlament verschwinden.
Degenhardt: Wünschen Sie sich angesichts dieser Demokratiedefizite vielleicht ein klareres Wort von Frau Merkel an die Adresse von Vladimir Putin? Ich meine, der nächste EU-Russland-Gipfel mit beiden ist am 18. Mai in Südrussland. Das wäre doch eine gute Gelegenheit.
Leibrecht: Das ist sicherlich eine gute Gelegenheit, aber auch vorher wird es sicherlich auch Gelegenheiten geben. Man kann ja auch miteinander telefonieren, was ja auch stattfindet. Es ist, glaube ich, wichtig – und das mache ich auch hier bei meinen Gesprächen in der Duma, aber auch innerhalb der Präsidialverwaltung –, dieses Thema unverblümt anzusprechen, den Leuten hier mitzuteilen, dass Demokratie anders aussieht, dass sie eben bei Meinungsfreiheit und Pressefreiheit auch anfängt. Und natürlich auf allen politischen Ebenen muss das Thema angesprochen werden. Es ist wichtig, dass Russland seinen Platz in der Weltgemeinschaft findet. Es ist ein großes, ein wichtiges Land, auch natürlich wirtschaftlich gesehen, für alle auch ein wichtiger Handelspartner. Wir dürfen jedoch nicht die Augen verschließen vor diesen Defiziten, gerade im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit.
Degenhardt: Sie geben mir das Stichwort, Herr Leibrecht, von wegen Handelspartner. Kann es sein oder täuscht der Eindruck, dass der Bundesregierung Wirtschaftsinteressen wichtiger sind als Menschenrechtsfragen?
Leibrecht: Man könnte manchmal zu dem Eindruck kommen, aber das glaube ich nicht. Frau Merkel hat bei ihren auch früheren Gesprächen Menschenrechtsverletzungen in Russland angesprochen. Das habe ich immer sehr begrüßt. Das war bei der Vorgängerregierung leider nicht so der Fall. Und ich glaube auch, dass in diesem Fall Frau Merkel klare Worte finden wird. Ich möchte sie in diesem Fall auch wirklich unterstützen, die Bundesregierung hat hier die volle Unterstützung auch der FDP.
Degenhardt: Von wegen Vorgängerregierung. Die Grünen verlangen von Altkanzler Schröder, seinen Aufsichtsratsvorsitz bei der Pipeline-Gesellschaft niederzulegen, die dem staatlichen russischen Gasmonopolisten Gazprom gehört. Wäre das auch aus Ihrer Sicht angebracht?
Leibrecht: Herr Schröder ist ja inzwischen Privatmann und nicht mehr oberster und mit oberster Repräsentant unseres Staates. Natürlich kann er jetzt beruflich vielleicht auch machen, was er möchte. Ich hätte ihm nicht dazu geraten, diese Aufgabe zu übernehmen innerhalb des Gasline-Konsortiums, das sieht einfach nicht gut aus. Wenn der vorige Kanzler, der maßgebend mit dazu beigetragen hat, dass dieses Projekt zustande kommt, dann nachher im Aufsichtsrat vorsitzt, das macht sicherlich kein gutes Bild und ist politically incorrect, würde ich sagen.
Degenhardt: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch. Am Telefon in Moskau war Harald Leibrecht, er Sitz für die FDP im Deutschen Bundestag und ist zudem Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.
Harald Leibrecht: Guten Morgen, Herr Degenhardt!
Degenhardt: Putin soll Zustimmungsraten von 70 Prozent in der Bevölkerung haben. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum der Kreml trotzdem so gereizt auf die ja relativ bescheidene Schar der Protestierer reagiert?
Leibrecht: Es ist durchaus ein Rückfall, so sage ich, in alte Sowjetmentalität zu erkennen, was der Umgang der Demonstration, mit Meinungsfreiheit betrifft. Hier ist durchaus ein Rückschritt zu erkennen. Und jedes Mal, wenn eine – selbst wie in diesen Fällen angemeldet, ordnungsgemäß, wie man so schön sagt – angemeldete Demonstration stattfindet, greifen die Sicherheitskräfte durch, weil die Politik einfach nervös ist. Sie möchte keine Opposition in der Öffentlichkeit haben, aber mit diesen Knüppelaktionen erzielen sie letztendlich nur das Gegenteil, nämlich dass eben die Demonstrationen zumindest außerhalb Russlands in der Öffentlichkeit stattfinden.
Degenhardt: Ist denn Putin direkt verantwortlich zu machen für die Übergriffe der Polizei?
Leibrecht: Zumindest hätte er eingreifen können, schon nach der ersten Demonstration war klar, dass auch eine zweite stattfindet, dann in St. Petersburg. Er hätte sicherlich mit seinen Sicherheitskräften sprechen können, dass sie eben nicht in dieser Härte oder überhaupt gewalttätig durchgreifen. Das ist einfach ein sehr schlechter Stil. Und ich glaube, wenn er sich als – wie Schröder früher sagte – lupenreiner Demokrat geben will, sollte er mindestens bei der Meinungsfreiheit endlich anfangen, dies auch zu beweisen.
Degenhardt: Der Oppositionspolitiker und frühere Schachweltmeister Gari Kasparow hat weitere Demonstrationen angekündigt. Warum hält sich eigentlich der Zulauf für die Putin-Gegner so in Grenzen?
Leibrecht: Natürlich herrscht bei den Putin-Gegnern auch Angst, gerade weil eben so hart durchgegriffen wird. Und dann muss man dazu sagen, dass bei diesen Demonstrationen sich doch eine ziemlich bunte Mischung von Menschen trifft aus den unterschiedlichsten, auch politischen Lagern. Das geht also von doch ganz rechts bis ganz links. Es ist also eine etwas diffuse Geschichte. Und natürlich will ich die Sache auch jetzt rein, was die Politik dieser Demonstration betrifft, nicht unbedingt bewerten. Da kann man unterschiedlicher Meinung sein. Nichtsdestotrotz muss der Staat diese Demonstration tolerieren, denn eigentlich sind sie ja auch erst zunächst friedlich abgelaufen, und die Sicherheitskräfte haben dann eben so hart durchgegriffen.
Degenhardt: In Russland buchstabiert man offensichtlich Demokratie ganz anders, also von einer Demokratie westlicher Prägung kann man doch überhaupt nicht sprechen?
Leibrecht: Nein, also da hat Russland noch einen sehr langen Weg. Man darf natürlich die Hoffnung auch nicht aufgeben, aber wir sind natürlich schon besorgt darüber, dass der Staat immer mehr wieder an sich reißt. So werden jetzt die Gouverneure direkt von Moskau aus ernannt und nicht mehr vor Ort gewählt. Kleinere Parteien können nicht antreten jetzt für die anstehenden Duma-Wahlen im Dezember, weil sie nötigen Mehrheiten an Unterstützern nicht bekommen und auch nicht landesweit antreten können. Und so werden also auch die letzten wirklich demokratischen Kräfte aus dem kommenden russischen Parlament verschwinden.
Degenhardt: Wünschen Sie sich angesichts dieser Demokratiedefizite vielleicht ein klareres Wort von Frau Merkel an die Adresse von Vladimir Putin? Ich meine, der nächste EU-Russland-Gipfel mit beiden ist am 18. Mai in Südrussland. Das wäre doch eine gute Gelegenheit.
Leibrecht: Das ist sicherlich eine gute Gelegenheit, aber auch vorher wird es sicherlich auch Gelegenheiten geben. Man kann ja auch miteinander telefonieren, was ja auch stattfindet. Es ist, glaube ich, wichtig – und das mache ich auch hier bei meinen Gesprächen in der Duma, aber auch innerhalb der Präsidialverwaltung –, dieses Thema unverblümt anzusprechen, den Leuten hier mitzuteilen, dass Demokratie anders aussieht, dass sie eben bei Meinungsfreiheit und Pressefreiheit auch anfängt. Und natürlich auf allen politischen Ebenen muss das Thema angesprochen werden. Es ist wichtig, dass Russland seinen Platz in der Weltgemeinschaft findet. Es ist ein großes, ein wichtiges Land, auch natürlich wirtschaftlich gesehen, für alle auch ein wichtiger Handelspartner. Wir dürfen jedoch nicht die Augen verschließen vor diesen Defiziten, gerade im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit.
Degenhardt: Sie geben mir das Stichwort, Herr Leibrecht, von wegen Handelspartner. Kann es sein oder täuscht der Eindruck, dass der Bundesregierung Wirtschaftsinteressen wichtiger sind als Menschenrechtsfragen?
Leibrecht: Man könnte manchmal zu dem Eindruck kommen, aber das glaube ich nicht. Frau Merkel hat bei ihren auch früheren Gesprächen Menschenrechtsverletzungen in Russland angesprochen. Das habe ich immer sehr begrüßt. Das war bei der Vorgängerregierung leider nicht so der Fall. Und ich glaube auch, dass in diesem Fall Frau Merkel klare Worte finden wird. Ich möchte sie in diesem Fall auch wirklich unterstützen, die Bundesregierung hat hier die volle Unterstützung auch der FDP.
Degenhardt: Von wegen Vorgängerregierung. Die Grünen verlangen von Altkanzler Schröder, seinen Aufsichtsratsvorsitz bei der Pipeline-Gesellschaft niederzulegen, die dem staatlichen russischen Gasmonopolisten Gazprom gehört. Wäre das auch aus Ihrer Sicht angebracht?
Leibrecht: Herr Schröder ist ja inzwischen Privatmann und nicht mehr oberster und mit oberster Repräsentant unseres Staates. Natürlich kann er jetzt beruflich vielleicht auch machen, was er möchte. Ich hätte ihm nicht dazu geraten, diese Aufgabe zu übernehmen innerhalb des Gasline-Konsortiums, das sieht einfach nicht gut aus. Wenn der vorige Kanzler, der maßgebend mit dazu beigetragen hat, dass dieses Projekt zustande kommt, dann nachher im Aufsichtsrat vorsitzt, das macht sicherlich kein gutes Bild und ist politically incorrect, würde ich sagen.
Degenhardt: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch. Am Telefon in Moskau war Harald Leibrecht, er Sitz für die FDP im Deutschen Bundestag und ist zudem Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.