Lehrreiche Reise
Viele Besucher des Jugendzentrums ComX im Norden Berlins haben sich mit deutscher Geschichte wenig beschäftigt - bis sie an dem Programm "Vielfalt tut gut" teilnahmen. Höhepunkt des Projekts war eine gemeinsame Reise nach Auschwitz.
Serap: "Ich stell Ihnen hier mal unsere Gruppe vor, die jetzt am 25. mit uns nach Gedenkstätte Auschwitz fährt. Hier ist Burak, Adnan, Tarek (Salam!), Ibo, Isi, Ali, Yassin, Magid – und wir halt ein Teil... Wir sind insgesamt – also mit mir - 16 Personen. Wir haben noch zwei Mädchen, die mitkommen."
Donnerstagabend im Jugendzentrum ComX in Berlin-Reinickendorf.
Ali: "Wir sind seit drei Jahren hier – viermal in der Woche."
Isi: "Ist immer unterschiedlich."
Ali: #"Und treffen uns hier zum Beispiel zum Karten spielen. Falls einer Sorgen hat, kommt er zu Serap."
Serap Mamati ist Sozialarbeiterin im ComX. Die 42-Jährige, die ihre eigenen Wurzeln stolz als "multikulti" bezeichnet, betreut hier Jugendliche zwischen 17 und 24 Jahren mit sogenanntem "Migrations-Hintergrund." Deren Eltern kamen fast alle als palästinensische Flüchtlinge nach Deutschland, die Großeltern leben im Libanon, in Jordanien oder Palästina.
Serap: "Wir hatten das Gefühl gehabt, dass die arabischen Jugendlichen vom Zweiten Weltkrieg wenig Erfahrung haben. Da es ja jetzt zur Zeit auch Probleme zwischen Israel und Palästina gibt, haben die Jugendlichen Äußerungen wie zum Beispiel "Du Jude" getroffen ... "
"Jude" als Schimpfwort zu benutzen - unter Jugendlichen sei das leider oft ein Normalzustand, berichtet auch Andres Nader von der Amadeu Antonio Stiftung, die sich gegen Rassismus und Antisemitismus engagiert. Er hat für die Jugendlichen ein Projekt entwickelt, das ihnen eine behutsame Annäherung an das Thema Holocaust und Antisemitismus erlaubt:
"Das Thema war nicht, ihr seid schlimm, wir müssen jetzt etwas dagegen tun. Sondern: Lass uns gucken, warum Geschichte interessant ist ... Was ist die Geschichte euer eigenen Familie ... welche Leidensgeschichte auch habt ihr zu erzählen? Und dann kann ich euch Geschichten erzählen, die mit anderen zu tun haben oder auch Geschichten, die in der Gesellschaft, in der wir jetzt leben sehr wichtig sind."
Deshalb wollte Nader mit den Jugendlichen auch nach Auschwitz fahren. Ein gutes halbes Jahr haben sich Ali, Isi und ihre Freunde auf die Reise vorbereitet. Haben sich Gedenkorte erschlossen wie das Mahnmal im Bayerischen Viertel, haben das Jüdische Museum, das Holocaust-Mahnmal besucht und mit den Neuköllner Stadtteilmüttern gesprochen, muslimischen Frauen, die kurz vorher ebenfalls nach Auschwitz gereist waren.
Ali: "Die meinten, man wird da sehr emotional, wenn man da hin geht ... aber ich glaub, wir haben damit kein Problem. Ich glaub mal nicht, dass wir weinen werden ... "
Drei Wochen später sitzen die Jugendlichen wieder im ComX zusammen. Die ersten Eindrücke der Reise sind verdaut – aber die starke Wirkung des Ortes ist bei Ali, Magid und den anderen noch deutlich spürbar.
Ali: "Was die dort alles gemacht haben mit den Kindern ... Die meisten haben sich einfach die Frage gestellt, was wenn mein Kind, oder meine kleine Schwester oder mein kleiner Bruder dort wäre, wie wir reagieren würden, was wir machen würden ... Ich hab's gewusst. Aber ich hab nicht gedacht, dass das so schlimm werden würde ... Also dass ich auf dem Boden stehe, wo Leute umgebracht wurden, das ist schon hart."
Magid: "Oder die Dosen halt, wo das Zyklon B drin gewesen hat ... Ich konnte das nicht fassen. Wie kann ein Mensch das durchführen, als Beruf – als Mörder arbeiten ... Es gab ein Bild von einem Häftling geschossen ... wo eine Frau mit ihrem Kind in der Hand, so ganz nackt in die Gaskammer lief. Und ich fand dieses Bild sehr traurig. Ich hab schon seit acht Jahren, die ich in Deutschland bin, meine Mutter nicht gesehen. Irgendwie hat es mich sehr berührt."
Besonders beeindruckt hat die jungen Leute die Begegnung mit der Überlebenden Halina Birenbaum. Sogar dass sie geweint haben, geben manche der Jungs freimütig zu. Aber noch ein anderes Erlebnis hat die Gruppe emotional sehr bewegt.
Magid: "Es gab halt Provokationen von Seiten anderer Besucher, die aus Israel waren. Mit Fahnen und die hatten so komische Security dabei und ich fand es nicht so angebracht in ein Lager zu kommen, wo Menschen umgebracht wurden und daraus so eine politische Aktion zu machen."
Eine heikle Situation, erinnern sich auch die Betreuer, zumal zwei ihrer Jugendlichen Palästinenser-Tücher trugen – für sie ein Symbol für Freiheit – für die israelischen Besucher mit Sicherheit aber ebenfalls eine Provokation. Nach der Diskussion des Vorfalls in der Gruppe entschieden die beiden aber von sich aus, ihre Tücher am nächsten Tag im Schrank zu lassen. Ein Zeichen von Friedensbereitschaft sieht Andres Nader darin. Und er freut sich über einen weiteren wichtigen Erkenntnisgewinn:
"Sie kamen dann selber zu dem Schluss: Das waren Juden, die damals verfolgt wurden. Es ging auch darum, dass diese Menschen zum Opfer gemacht wurden in Auschwitz und das haben sie auch anerkannt. Und dann die Geschichte von Israel und darüber, was mit den eigenen Familien passiert ist, das haben sie als getrennte Geschichten behandelt."
Wie nachhaltig die Reise wirkt, wird sich noch zeigen. Isi hat erste Veränderungen bemerkt. Aber Andres Nader will mehr.
Isi: "Mir ist halt aufgefallen: Früher gab's so abwertende Wörter – 'Hey, du Jude'. Und so was sagen die nicht mehr. Oder, wenn es so krass bewegende Momente sind, dass die auf einmal ruhiger werden."
Nader: "Ich hab jetzt subjektiv den Eindruck, dass die Reise eine Wirkung hat und haben wird. Ich glaube, sie haben andere Dimensionen der Geschichte jetzt wahrgenommen und können das auch besser einordnen. Mein Eindruck war: Gelernt haben sie einiges, aber es braucht noch mehr."
Donnerstagabend im Jugendzentrum ComX in Berlin-Reinickendorf.
Ali: "Wir sind seit drei Jahren hier – viermal in der Woche."
Isi: "Ist immer unterschiedlich."
Ali: #"Und treffen uns hier zum Beispiel zum Karten spielen. Falls einer Sorgen hat, kommt er zu Serap."
Serap Mamati ist Sozialarbeiterin im ComX. Die 42-Jährige, die ihre eigenen Wurzeln stolz als "multikulti" bezeichnet, betreut hier Jugendliche zwischen 17 und 24 Jahren mit sogenanntem "Migrations-Hintergrund." Deren Eltern kamen fast alle als palästinensische Flüchtlinge nach Deutschland, die Großeltern leben im Libanon, in Jordanien oder Palästina.
Serap: "Wir hatten das Gefühl gehabt, dass die arabischen Jugendlichen vom Zweiten Weltkrieg wenig Erfahrung haben. Da es ja jetzt zur Zeit auch Probleme zwischen Israel und Palästina gibt, haben die Jugendlichen Äußerungen wie zum Beispiel "Du Jude" getroffen ... "
"Jude" als Schimpfwort zu benutzen - unter Jugendlichen sei das leider oft ein Normalzustand, berichtet auch Andres Nader von der Amadeu Antonio Stiftung, die sich gegen Rassismus und Antisemitismus engagiert. Er hat für die Jugendlichen ein Projekt entwickelt, das ihnen eine behutsame Annäherung an das Thema Holocaust und Antisemitismus erlaubt:
"Das Thema war nicht, ihr seid schlimm, wir müssen jetzt etwas dagegen tun. Sondern: Lass uns gucken, warum Geschichte interessant ist ... Was ist die Geschichte euer eigenen Familie ... welche Leidensgeschichte auch habt ihr zu erzählen? Und dann kann ich euch Geschichten erzählen, die mit anderen zu tun haben oder auch Geschichten, die in der Gesellschaft, in der wir jetzt leben sehr wichtig sind."
Deshalb wollte Nader mit den Jugendlichen auch nach Auschwitz fahren. Ein gutes halbes Jahr haben sich Ali, Isi und ihre Freunde auf die Reise vorbereitet. Haben sich Gedenkorte erschlossen wie das Mahnmal im Bayerischen Viertel, haben das Jüdische Museum, das Holocaust-Mahnmal besucht und mit den Neuköllner Stadtteilmüttern gesprochen, muslimischen Frauen, die kurz vorher ebenfalls nach Auschwitz gereist waren.
Ali: "Die meinten, man wird da sehr emotional, wenn man da hin geht ... aber ich glaub, wir haben damit kein Problem. Ich glaub mal nicht, dass wir weinen werden ... "
Drei Wochen später sitzen die Jugendlichen wieder im ComX zusammen. Die ersten Eindrücke der Reise sind verdaut – aber die starke Wirkung des Ortes ist bei Ali, Magid und den anderen noch deutlich spürbar.
Ali: "Was die dort alles gemacht haben mit den Kindern ... Die meisten haben sich einfach die Frage gestellt, was wenn mein Kind, oder meine kleine Schwester oder mein kleiner Bruder dort wäre, wie wir reagieren würden, was wir machen würden ... Ich hab's gewusst. Aber ich hab nicht gedacht, dass das so schlimm werden würde ... Also dass ich auf dem Boden stehe, wo Leute umgebracht wurden, das ist schon hart."
Magid: "Oder die Dosen halt, wo das Zyklon B drin gewesen hat ... Ich konnte das nicht fassen. Wie kann ein Mensch das durchführen, als Beruf – als Mörder arbeiten ... Es gab ein Bild von einem Häftling geschossen ... wo eine Frau mit ihrem Kind in der Hand, so ganz nackt in die Gaskammer lief. Und ich fand dieses Bild sehr traurig. Ich hab schon seit acht Jahren, die ich in Deutschland bin, meine Mutter nicht gesehen. Irgendwie hat es mich sehr berührt."
Besonders beeindruckt hat die jungen Leute die Begegnung mit der Überlebenden Halina Birenbaum. Sogar dass sie geweint haben, geben manche der Jungs freimütig zu. Aber noch ein anderes Erlebnis hat die Gruppe emotional sehr bewegt.
Magid: "Es gab halt Provokationen von Seiten anderer Besucher, die aus Israel waren. Mit Fahnen und die hatten so komische Security dabei und ich fand es nicht so angebracht in ein Lager zu kommen, wo Menschen umgebracht wurden und daraus so eine politische Aktion zu machen."
Eine heikle Situation, erinnern sich auch die Betreuer, zumal zwei ihrer Jugendlichen Palästinenser-Tücher trugen – für sie ein Symbol für Freiheit – für die israelischen Besucher mit Sicherheit aber ebenfalls eine Provokation. Nach der Diskussion des Vorfalls in der Gruppe entschieden die beiden aber von sich aus, ihre Tücher am nächsten Tag im Schrank zu lassen. Ein Zeichen von Friedensbereitschaft sieht Andres Nader darin. Und er freut sich über einen weiteren wichtigen Erkenntnisgewinn:
"Sie kamen dann selber zu dem Schluss: Das waren Juden, die damals verfolgt wurden. Es ging auch darum, dass diese Menschen zum Opfer gemacht wurden in Auschwitz und das haben sie auch anerkannt. Und dann die Geschichte von Israel und darüber, was mit den eigenen Familien passiert ist, das haben sie als getrennte Geschichten behandelt."
Wie nachhaltig die Reise wirkt, wird sich noch zeigen. Isi hat erste Veränderungen bemerkt. Aber Andres Nader will mehr.
Isi: "Mir ist halt aufgefallen: Früher gab's so abwertende Wörter – 'Hey, du Jude'. Und so was sagen die nicht mehr. Oder, wenn es so krass bewegende Momente sind, dass die auf einmal ruhiger werden."
Nader: "Ich hab jetzt subjektiv den Eindruck, dass die Reise eine Wirkung hat und haben wird. Ich glaube, sie haben andere Dimensionen der Geschichte jetzt wahrgenommen und können das auch besser einordnen. Mein Eindruck war: Gelernt haben sie einiges, aber es braucht noch mehr."