Lehrer, seid ungehorsam!
Immer wieder müssen sich die Lehrer an unserer Schulen auf neue Unterrichtsmethoden einstellen - je nach politischer Farbe der jeweiligen Landesregierung. Auf die Erfahrungen der Pädagogen wird dabei wenig Rücksicht genommen. Damit sollte Schluss sein, meint der Gymnasiallehrer Michael Felten.
Erinnern Sie sich noch, wie das in Ihrer Schulzeit war, wenn der Lehrer mal daneben griff? Wenn er sich verrechnete oder ungerecht war, gar ausfallend wurde? Schüler reagieren dann ja höchst unterschiedlich: Die einen feixen schadenfroh, andere kriegen es gar nicht mit, wieder andere beschweren sich lauthals, lassen gar die Eltern aufmarschieren.
Was aber tun eigentlich Lehrer, wenn ihre Vorgesetzten sich irren, wenn sie Unsinniges von ihnen verlangen?
Ein Beispiel: Die mäßigen Pisa-Bilanzen haben die Kultusbehörden vieler Bundesländer auf die Idee gebracht, ihren Lehrern neue Unterrichtsmethoden vorschreiben. Die Zauberworte der schönen neuen Schulwelt scheinen der Wirtschaftssphäre entlehnt: Eigeninitiative, Partnerarbeit, Selbstkontrolle. Die Lehrperson scheint beinahe überflüssig – ganz anders als etwa bei Pisa-Sieger Finnland.
Eine grün-rote Landesregierung hat gar gesetzlich festgelegt: Schüler sollen in Zukunft nur noch eigenverantwortlich lernen. Bundesweit reisen schon jetzt Schulinspektoren durchs Land, die mit Argusaugen prüfen, ob die Lehrer auch innovativ genug unterrichten. Allerdings sind die neuen Lernmethoden keineswegs unumstritten. Nur leistungsstarke Kinder können nämlich mit viel Selbständigkeit etwas anfangen, für schwächere ist sie nachweislich ein Lernhindernis – vor allem jenseits der Grundschule.
Das dürfte den Lehrern bekannt sein. Aber hört man Protest? Und die Lehrer? Manche folgen dem neuen Trend offenbar euphorisch. Ihre Schüler bekommen jetzt viel Papier und nur noch wenig Person. Viele Pädagogen halten indes am Prinzip differenzierter Steuerung fest, allerdings mit schlechtem Gewissen. Und am Inspektionstag zeigen sie dann Schaustunden, die an die Landpartien des russischen Fürsten Potemkin erinnern: schöne Fassade, aber unrealistisch.
Vielleicht handelt es sich dabei ja um Abgeklärtheit - schließlich folgt der nächsten Wahl wahrscheinlich die nächste Pädagogik. Könnte aber auch eine Portion Duckmäuserei im Spiel sein? Wäre von erfahrenen und unkündbaren Lehrern nicht etwas mehr Rückgrat zu erwarten? Immerhin war es kein Geringerer als der zeitweilige Chef der Kultusministerrunde, der den "Fachleuten für Unterricht" attestierte, sie seien zu Recht sehr autonom.
Das Prinzip der pädagogischen Freiheit verpflichtet die Lehrer nämlich geradezu, selbst diejenigen Mittel zu wählen, mit denen sie ihre Bildungsaufgabe am jeweiligen konkreten Ort möglichst gut einlösen können. Und so dürfen, ja sollen sie gegen zweifelhafte dienstliche Anordnungen Einspruch erheben, persönlich, beim Vorgesetzten.
Und wenn die Behörde insistiert, darf man sich das sogar schriftlich geben lassen. Remonstration heißt das, und es ist nicht nur ein Recht, sondern sogar Pflicht. Natürlich riskiert man den Ruf des Querulanten - aber ist der des Abnickers wirklich besser? Mehr als ein oder zwei zusätzliche Vertretungsstunden kann ein verärgerter Schulleiter dem Kritiker doch nicht aufbrummen.
Auch das Anrücken der Schulinspektion ist nicht so gefährlich, dass sich ganze Kollegien aufführen müssten wie eine ängstliche Kinderschar vor dem autoritären Vater. Warum nicht ehrlich sein und den Unterricht zeigen, den jeder für lernwirksam hält? Zwar ist es schon vorgekommen, dass die Inspektoren attestierten: "Gute Leistungsergebnisse, aber falsche Lehrmethoden". Was paradox klingt, könnte indes auch erleichtern: die Kriterien der Kontrolleure entstammen eben nicht göttlicher Offenbarung, sondern harren noch der Reifung.
Schlimmstenfalls müsste ein widerspenstiges Kollegium zwei Fortbildungsnachmittage investieren. Aber wäre das tragisch? Es ist ja keineswegs so, dass wir Lehrer nichts hinzuzulernen hätten - im Gegenteil: unsere Ermutigungspallette erweitern, den Umgang mit unterschiedlichem Lerntempo ausbauen, in der Reaktion auf Unterrichtsstörungen flexibler werden, uns im Kollegium auf sinnvolle Ordnungsregeln verständigen.
Es käme allerdings darauf an, dass man zu solcher Weiterbildung vernünftige Referenten einlädt. Am besten solche, die das Handwerk selbst beherrschen - die etwa regelmäßig und mit Erfolg schwierige Mittelstufenklassen unterrichten.
Michael Felten, geboren 1951, ist Gymnasiallehrer für Mathematik und Kunst in Köln sowie Lehrbeauftragter an Pädagogischen Hochschulen. Als Autor möchte er dem Erfahrungswissen der Lehrer in der öffentlichen Bildungsdebatte mehr Gehör verschaffen. Jüngste Veröffentlichungen: "Auf die Lehrer kommt es an! Für eine Rückkehr der Pädagogik in die Schule" (2010) sowie "Schluss mit dem Bildungsgerede! Eine Anstiftung zu pädagogischem Eigensinn" (2012). Eigene Website zu pädagogischen Themen: www.eltern-lehrer-fragen.de
Was aber tun eigentlich Lehrer, wenn ihre Vorgesetzten sich irren, wenn sie Unsinniges von ihnen verlangen?
Ein Beispiel: Die mäßigen Pisa-Bilanzen haben die Kultusbehörden vieler Bundesländer auf die Idee gebracht, ihren Lehrern neue Unterrichtsmethoden vorschreiben. Die Zauberworte der schönen neuen Schulwelt scheinen der Wirtschaftssphäre entlehnt: Eigeninitiative, Partnerarbeit, Selbstkontrolle. Die Lehrperson scheint beinahe überflüssig – ganz anders als etwa bei Pisa-Sieger Finnland.
Eine grün-rote Landesregierung hat gar gesetzlich festgelegt: Schüler sollen in Zukunft nur noch eigenverantwortlich lernen. Bundesweit reisen schon jetzt Schulinspektoren durchs Land, die mit Argusaugen prüfen, ob die Lehrer auch innovativ genug unterrichten. Allerdings sind die neuen Lernmethoden keineswegs unumstritten. Nur leistungsstarke Kinder können nämlich mit viel Selbständigkeit etwas anfangen, für schwächere ist sie nachweislich ein Lernhindernis – vor allem jenseits der Grundschule.
Das dürfte den Lehrern bekannt sein. Aber hört man Protest? Und die Lehrer? Manche folgen dem neuen Trend offenbar euphorisch. Ihre Schüler bekommen jetzt viel Papier und nur noch wenig Person. Viele Pädagogen halten indes am Prinzip differenzierter Steuerung fest, allerdings mit schlechtem Gewissen. Und am Inspektionstag zeigen sie dann Schaustunden, die an die Landpartien des russischen Fürsten Potemkin erinnern: schöne Fassade, aber unrealistisch.
Vielleicht handelt es sich dabei ja um Abgeklärtheit - schließlich folgt der nächsten Wahl wahrscheinlich die nächste Pädagogik. Könnte aber auch eine Portion Duckmäuserei im Spiel sein? Wäre von erfahrenen und unkündbaren Lehrern nicht etwas mehr Rückgrat zu erwarten? Immerhin war es kein Geringerer als der zeitweilige Chef der Kultusministerrunde, der den "Fachleuten für Unterricht" attestierte, sie seien zu Recht sehr autonom.
Das Prinzip der pädagogischen Freiheit verpflichtet die Lehrer nämlich geradezu, selbst diejenigen Mittel zu wählen, mit denen sie ihre Bildungsaufgabe am jeweiligen konkreten Ort möglichst gut einlösen können. Und so dürfen, ja sollen sie gegen zweifelhafte dienstliche Anordnungen Einspruch erheben, persönlich, beim Vorgesetzten.
Und wenn die Behörde insistiert, darf man sich das sogar schriftlich geben lassen. Remonstration heißt das, und es ist nicht nur ein Recht, sondern sogar Pflicht. Natürlich riskiert man den Ruf des Querulanten - aber ist der des Abnickers wirklich besser? Mehr als ein oder zwei zusätzliche Vertretungsstunden kann ein verärgerter Schulleiter dem Kritiker doch nicht aufbrummen.
Auch das Anrücken der Schulinspektion ist nicht so gefährlich, dass sich ganze Kollegien aufführen müssten wie eine ängstliche Kinderschar vor dem autoritären Vater. Warum nicht ehrlich sein und den Unterricht zeigen, den jeder für lernwirksam hält? Zwar ist es schon vorgekommen, dass die Inspektoren attestierten: "Gute Leistungsergebnisse, aber falsche Lehrmethoden". Was paradox klingt, könnte indes auch erleichtern: die Kriterien der Kontrolleure entstammen eben nicht göttlicher Offenbarung, sondern harren noch der Reifung.
Schlimmstenfalls müsste ein widerspenstiges Kollegium zwei Fortbildungsnachmittage investieren. Aber wäre das tragisch? Es ist ja keineswegs so, dass wir Lehrer nichts hinzuzulernen hätten - im Gegenteil: unsere Ermutigungspallette erweitern, den Umgang mit unterschiedlichem Lerntempo ausbauen, in der Reaktion auf Unterrichtsstörungen flexibler werden, uns im Kollegium auf sinnvolle Ordnungsregeln verständigen.
Es käme allerdings darauf an, dass man zu solcher Weiterbildung vernünftige Referenten einlädt. Am besten solche, die das Handwerk selbst beherrschen - die etwa regelmäßig und mit Erfolg schwierige Mittelstufenklassen unterrichten.
Michael Felten, geboren 1951, ist Gymnasiallehrer für Mathematik und Kunst in Köln sowie Lehrbeauftragter an Pädagogischen Hochschulen. Als Autor möchte er dem Erfahrungswissen der Lehrer in der öffentlichen Bildungsdebatte mehr Gehör verschaffen. Jüngste Veröffentlichungen: "Auf die Lehrer kommt es an! Für eine Rückkehr der Pädagogik in die Schule" (2010) sowie "Schluss mit dem Bildungsgerede! Eine Anstiftung zu pädagogischem Eigensinn" (2012). Eigene Website zu pädagogischen Themen: www.eltern-lehrer-fragen.de