"Lehren aus Lehman gezogen"

Adalbert Winkler im Gespräch mit Marietta Schwarz · 13.09.2013
Dass die US-Bank Lehman Brothers 2008 nicht vor dem Konkurs gerettet wurde, war nach Überzeugung des Ökonomen Adalbert Winkler völlig falsch. Es sei damals um wenige Milliarden Dollar gegangen, die Kosten der folgenden Rezession seien "dramatisch höher" gewesen.
Marietta Schwarz: Genau heute vor fünf Jahren nahm das wohl dramatischste Wochenende der Bankenwelt der Nachkriegszeit seinen Lauf. Es ging um die Rettung, besser gesagt, Nicht-Rettung der US-Bank Lehman Brothers, die dann, nach dem Wochenende, nämlich am 15. September 2008 Insolvenz anmeldete. Der Tag gilt als Beginn der Finanzkrise, obwohl die Banken- und Immobilienkrise, die, schon vorher angefangen hatte. Beitrag in Ortszeit, Deutschlandradio Kultur (MP3-Audio) Ein Rückblick von Dorothee Holz auf die Geschehnisse in den Septembertagen 2008.

Schwarz: Vor fünf Jahren ging die Investmentbank Lehman Brothers pleite, Dorothee Holz fasste die Ereignisse der Tage damals noch einmal zusammen. Und am Telefon ist jetzt Adalbert Winkler, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Frankfurt School of Finance and Management. Guten Morgen, Herr Winkler.

Adalbert Winkler: Guten Morgen, Frau Schwarz.

Schwarz: Warum konnte der Konkurs von Lehman damals überhaupt solche Auswirkungen haben?

Winkler: Weil, das wurde ja eben gerade deutlich, Lehman eine sehr renommierte und große Investmentbank war. Man konnte sich nicht vorstellen, dass so eine Bank Konkurs anmelden würde. Das führte dann, als es tatsächlich passierte, zu einem generellen Vertrauensverlust. Die Frage, die sich Sparer, Anleger, Investoren übekritisiert falsche Entschrall, nicht nur in den USA, sondern auch hier in Europa und weltweit stellten, war: Wenn Lehman Konkurs gehen kann, welche Bank kann dann eigentlich nicht Konkurs gehen? Und da wir sehr wenig wissen darüber, was Banken eigentlich tun, weil wir ja gerade an sie unser Geld anvertrauen mit dem Ziel, dass sie es für uns anlegen, spielen dann viele auf Sicherheit und ziehen ihre Gelder ab und man bekommt eine allgemeine Finanzkrise.

Schwarz: Wir haben es also damals mit einer der sogenannten systemrelevanten Banken zu tun. Es gibt ja, Herr Winkler, diesen schönen Satz "If a bank is too big to fail, it's too big", also "wenn eine Bank zu groß ist, um sie fallen zu lassen, dann ist sie zu groß". Wie viele dieser systemrelevanten Banken gibt es denn heute noch?

Winkler: Ich würde dem erst mal widersprechen, dass das nur eine Frage der Größe ist. Es ist eine Frage des Renommees und der tatsächlichen Stellung. Wie wird das interpretiert, dass eine solche Bank Konkurs geht? Wir hatten ja auch in Deutschland Banken, die eigentlich in Konkurs waren und dann gerettet wurden vor Lehman, die man gerettet hat, nicht weil man die Bank retten wollte, sondern weil man genau das befürchtete, was nach Lehman eingetreten ist. Und die waren viel kleiner. Ich erinnere da an die IKB-Bank. Das ist nicht so, dass man jetzt sagen würde, wenn man unbedingt alle großen Banken entweder kleiner macht oder wenn man ein Sicherheitsnetz über sie aufspannt, dass man dann eine Garantie hat, dass so etwas nicht passieren kann. Man verbindet halt allgemein mit Banken das Vertrauen: "Die sind sicher." Und wenn halt dieses Vertrauen zerstört wird, riskiert man zumindest, es muss nicht unbedingt so sein, aber man riskiert halt eben einen generellen Vertrauensverlust.

Schwarz: Wurden zu viele Banken gerettet im Zuge dieser Krise?

Winkler: Ich würde sagen, eine zu wenig.

Schwarz: Nämlich?

Winkler: Es wurde ja gerade eben deutlich, es ging um – in Anführungszeichen –wenige Milliarden Dollar, und wenn man sich darüber im Klaren ist, was uns der Konkurs dieser Bank gekostet hat, und zwar uns, meine ich sowohl natürlich den amerikanischen Steuerzahler, und zwar nicht nur direkt für die Folgen dann, sondern natürlich auch die konjunkturelle Situation, das Abtauchen in die Rezession, das in Amerika und dann weltweit stattfand – diese Kosten sind natürlich dramatisch höher als die Rettung von Lehman Brothers gekostet hätte. Von daher würde ich sagen, das war vor fünf Jahren sicher der größte Fehler der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg.

"Finanzkrisen treten immer anders auf, als man es erwartet"
Schwarz: Die Frage, die einen in diesen Tagen dann umtreibt, ist natürlich, könnte ein Lehman Brothers heute wieder passieren?

Winkler: Das Schlimme ist an Finanzkrisen, sie treten immer genau anders auf, als man es erwartet. Was man sicher sagen kann, ist, dass man Lehren aus Lehman gezogen hat. Man hat erst mal eine ganzheitliche Perspektive von Bankenregulierung und Bankenaufsicht jetzt und Finanzaufsicht eingenommen, das heißt, der berühmte Satz, es soll keine Institution und kein Finanzprodukt mehr geben, die nicht mehr reguliert und beaufsichtigt werden. Da hat man sich sicher in diese Richtung weiterentwickelt.

Man hat die Kapitalanforderungen an Banken erhöht, man setzt jetzt auch ganz langsam Forderungen um, dass sie mehr Liquidität halten müssen, das heißt, dass sie jederzeit in der Lage sind, die Forderungen von ihren Gläubigern zu bedienen. Und man hat die sogenannte "makropotenzielle Regulierung" eingeführt, das heißt, man will schon im Boom, der ja dann sozusagen die Treibkraft ist für Übertreibungen und Überoptimismus, dass man im Boom schon eingreifen kann, um halt zu verhindern, dass Banken in eine Situation hineinkommen, dass sie plötzlich entdecken, meine Kredite sind gar nicht so gut, wie es zuerst den Anschein hatte.

Schwarz: Die Credit Suisse hat gestern angekündigt, sie will wieder ins umstrittene Wertpapiergeschäft einsteigen. Sie scheint da keine Risiken zu befürchten. Sind die Banker noch die Zocker, die kein Risiko scheuen, oder ist das ein blödes Klischee?

Winkler: Nein, nach meiner Meinung ist das sicher eines der Probleme, die wir noch nicht richtig angegangen haben, nämlich die Tatsache eben, je stärker Banken, denen die Allgemeinheit, das allgemeine Publikum ihr Geld anvertraut, sich mit den Wertpapiermärkten verzahnen, in denen Schocks, also sehr starke Schwankungen von Bewertungen, von Aktiva, sehr schnell eintreten können, je enger diese Verzahnung ist, desto größer ist natürlich das Risiko, dass, wenn auf diesen Wertpapiermärkten etwas passiert, dass das sich auf die Banken durchschlägt.

Sie haben ja auch in dem Vorspann die Sub-Prime-Krise, das heißt, die Krise auf dem Immobilienmarkt in den USA angesprochen. Also wenn diese Papiere nicht auf dem Markt gehandelt worden wären und dann halt eben nicht so stark eingebrochen wären und die Banken da nicht involviert gewesen wären, dann hätte es ja zu dieser Krise gar nicht kommen können, weil zwischen Banken und Wertpapiermärkten eine Trennung gewesen wäre, die wir heute in der Form nicht haben. Und es ist halt sehr, sehr schwierig, das Rad wieder zurückzudrehen, um da wieder eine stärkere Entzerrung hinzubekommen, damit man da ein größeres Sicherheitsnetz hat.

Schwarz: Jetzt hat das EU-Parlament gerade gestern grünes Licht für die geplante Europäische Bankenaufsicht gegeben. Ist der Steuerzahler damit im Falle einer Rettung aus dem Schneider?

Winkler: Nein, er ist nicht aus dem Schneider. Aber trotzdem ist das ein positiver Schritt, weil die Bankenunion ist ein Eingeständnis dessen, was wir nämlich schon lange haben, dass wir in Europa einen integrierten Finanzmarkt haben. Das heißt, die Vorstellung, dass uns in Deutschland es nichts angeht, wie es italienischen und spanischen Banken geht und umgekehrt, dass diese Vorstellung halt falsch ist. Und wenn man dann halt gemeinsam kontrolliert und gemeinsam beaufsichtigt, dann muss man auch gemeinsam haften. Und das ist genau die Vorstellung, die in der Bankenunion umgesetzt wird.

Es gibt immer ein Risiko einer Finanzkrise. Wichtig ist, dass wir darauf vorbereitet sind, dass, wenn so etwas passiert, wie wir handeln können. Und in dieser Hinsicht ist die Bankenunion neben der Prävention, die auch eine Verbesserung darstellt, ein wichtiger Schritt, um so etwas in Zukunft besser managen zu können.

Schwarz: Adalbert Winkler, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Frankfurt School of Finance and Management. Herr Winkler, danke für das Gespräch.

Winkler: Ich danke Ihnen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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