Legenden einer einzigartigen Künstlerin

21.06.2013
Edith Piaf nahm sich von ihren Liebhabern oft nur das, was sie für den Moment suchte – Sex und Bewunderung. Sie gab aber auch viel zurück. Mehr darüber schreibt Jens Rostock in seiner detaillierten Biografie anlässlich des diesjährigen 50. Todestages der französischen Chansonsängerin.
Riesenerfolge und wunderbare Musik. Kleine und große Skandale. Üble Abstürze und vor allem jede Menge Liebesgeschichten und glamouröse Affären. Die französische Sängerin Edith Piaf (1915 – 1963) kostete gerne die Extreme aus, und ihr Leben bietet bekanntermaßen sehr viel Stoff, der sich spannend und ausführlich erzählen lässt. Aus Anlass ihres 50. Todestages im Oktober dieses Jahres ist nun die erste deutschsprachige Biografie dieser einzigartigen Künstlerin erschienen, die wirklich in die Tiefe geht und eigene Akzente setzt.

Autor Jens Rosteck beschäftigt sich detailliert mit den Legenden und Geschichten, die es um den "Spatzen" gibt, hinterfragt aber erfreulicherweise vieles und hat das umfangreiche Material, das bereits vorlag, neu gelesen, überprüft und erzählt. Dazu hat er Material eingearbeitet, das erst in den letzten Jahren auftauchte (z.B. den Briefwechsel mit dem Radrennfahrer und Ex-Geliebten "Toto" Géradin), wodurch dieses Buch auch schon rein faktisch eine Bereicherung ist. Auch wenn man schon einiges über die Piaf weiß: hier erfährt man – und das in vielen Zwischentönen und Nuancen – sehr viel Neues.

Loses Halbwissen lässt sich mit dieser Veröffentlichung gut auffüllen. Die enge, treue Freundschaft mit Marlene Dietrich wird ebenso ausgeleuchtet wie die intensive, ausnahmsweise rein platonische Liebe zum Dichter Jean Cocteau. Und auch die vielen eingearbeiteten Anekdoten sind überaus lesenswert: Z.B., wie die abgemagerte Edith eines Tages im Stockholmer Theater für die Klofrau gehalten wird, wie sie mit ihrer Entourage umgeht oder wie sie mal wieder einen ihrer zahlreichen Lebensabschnittsgefährten abserviert. Piaf nahm sich von ihren Liebhabern oft nur das, was sie für den Moment suchte – Sex und Bewunderung – gab aber auch viel zurück. Viele ihrer früheren Liebhaber (z.B. Yves Montand, Eddie Constantine oder Georges Moustaki) sind berühmt aus Ihrer Piaf-Liaison hervorgegangen.

Rostecks detaillierte Schilderungen setzen zweifelsfrei einen hungrigen Leser voraus. Piaf-Fan kann man dann aber durch die Lektüre dieses Buches ziemlich schnell werden, wenn man es nicht ohnehin schon war. Außerdem regt die Lektüre dazu an, immer wieder in die Musik einzusteigen und auch weniger bekannte Piaf-Lieder noch einmal neu zu hören und zu entdecken. Es freut einen von daher umso mehr, dass sich Rosteck – er ist Musikwissenschaftler – auch intensiv und mit großer fachlicher Kompetenz mit Piafs musikalischen Output und ihrer künstlerischen Herangehensweise auseinandersetzt.

Nach jedem der zehn Haupt-Kapitel durchleuchtet der Autor mindestens ein zentrales Lied aus dem Piaf-Repertoire und schildert aufschlussreich die Hintergründe. In dem Lied "Hymne à l’amour", an das sich der Titel dieses kurzweiligen und über weite Strecken auch sehr poetisch geschriebenen Buches anlehnt, steckt für den Autor die Summe aus Piafs Schaffen. "So schön und so tragisch sind Liebesbekundungen mit Ewigkeitsanspruch, sind Liebesschwüre, die über den Tod hinaus gehen, selten in eine populäre musikalische Form gebracht wurden", schwärmt Rosteck über dieses, noch heute relevante, Lied.
Besprochen von Matthias Wegner

Jens Rostock: Edith Piaf: Hymne an das Leben
Propyläen Verlag 2013
464 Seiten, 22,99 Euro
Mehr zum Thema