"Lebkuchen waren Symbol einer Verzückung"

Ilja Trojanow im Gespräch mit Herbert A. Gornik |
Zu seinem denkwürdigsten Weihnachten zählt nach den Worten des in Sofia geborenen Schriftstellers Ilja Trojanow das erste Fest in Deutschland, wohin seine Familie ausgewandert war. In Nürnberg, in dessen Nähe sie ankamen, habe sein Vater die ersten Lebkuchen gekauft. Heute wünscht er sich manchmal, die Freude an einem einfachen Lebkuchen wiederzufinden.
Herbert A. Gornik: In diesem Jahr hat er bei Frederking & Thaler den großen Bildband "Kumbh Mela" herausgebracht. Das größte Fest der Welt wird alle 12 Jahre in Indien gefeiert mit 30 Millionen Menschen. Bekannt geworden ist Ilja Trojanow mit dem großen Roman "Der Weltensammler". Und so ein Weltensammler ist er, ein Weltreisender. In Frankfurt habe ich ihn in einem kleinen Wohnwagen nach seinem Weihnachten gefragt. Der Regen prasselte auf das Dach, aber im Trubel der großen Buchmesse war dieser Platz eine kleine warme Oase der Ruhe. Was fällt Ihnen zu Weihnachten ein, wollte ich von ihm wissen.

Ilja Trojanow: Was mir als Allererstes einfällt, ist natürlich, dadurch dass ich aufgewachsen bin in Afrika und sehr viel auch in Arabien war, die Einbindung dieses Festes in seinen wirklichen historischen Raum. Und da fällt mir ein, ich war bei einer Lesung in Marburg und der Buchhändler zeigte mir seine Krippe. Das war eine wunderschöne Krippe von einem Meister aus Niederbayern gemacht und sie war historisch-realistisch. Das heißt, die Menschen sahen aus wie Araber, die Architektur war, wie damals in Palästina wohl die Häuser aussahen. Und dann sagte er mir, dass der Pfarrer vorbeikam und sich beschwert hat, die würden ja alle so fremd aussehen. Und das ist natürlich etwas, was mir immer wieder auffällt. Die Art, wie Weihnachten in Deutschland dargestellt wird, ist nicht die Art, wie ich sie mir vorstelle, weil ich stelle mir so vor, wie ich es in der Gegend, wo sie herkommt, einfach auch erlebt habe. Das heißt, ich habe einfach eine andere Visualität, eine andere Sinnlichkeit, die ich mit dieser Geschichte verbinde.

Herbert A. Gornik: Wie hat denn der kleine Junge oder der kleine heranwachsende Jugendliche Ilja Trojanow Weihnachten fernab von Deutschland gefeiert?

Trojanow: Ich war in Kenia, wo ich aufgewachsen bin, in einem sehr britischen Internat. Das heißt, es war sehr anglikanisch und es war ziemlich nüchtern. Das heißt, wir haben jeden Morgen eine Hymne gesungen. Das heißt aber auch, dass alle möglichen jeglicher, sagen wir mal, Firlefanz aus der Sicht der Internatsleitung unterbunden wurde. Es galt wirklich das Wort und auch Weihnachten war reduziert, einer der Schüler durfte dann die Weihnachtsgeschichte vorlesen und auf das Nachdenken über die Botschaft. Aber alle möglichen Formen von Rituellem oder in irgendeiner anderen Art und Weise greifbarem Nachvollziehen oder Mitfeiern waren leider entfernt. Und als ich dann zum Studieren nach Deutschland kam, rutschte ich völlig in diese kommerzialisierte Weihnachtsgeschichte. Das heißt, ich ging von einem Extrem in ein anderes und hab bis zum heutigen Tag eigentlich nicht ein Weihnachten erlebt, wie ich es mir eher erwünschen würde.

Gornik: Gab es keine denkwürdigen Weihnachten, biografisch erhebende oder besonders abstoßende, besonders schwierige?

Trojanow: Mit Abstand am denkwürdigsten waren die ersten Weihnachten in Deutschland, denn wir waren im Auffanglager Zirndorf, das ist bei Nürnberg. Wir waren natürlich bettelarm und man flieht nur mit einem klitzekleinen Koffer. Und man bekam, ich weiß nicht, ob es fünf oder zehn Mark waren, und damit hat mein Vater auf dem Weihnachtsmarkt in Nürnberg Lebkuchen gekauft. Und wir haben dann zu Weihnachten diese, ich weiß nicht, wie viel in der Schachtel sind, fünf oder sechs Lebkuchen dann gegessen. Und das war wahrscheinlich für mich das bewegendste Weihnachten, weil diese Lebkuchen für mich Symbol waren einer Verzückung, einer unbekannten Verzückung und einer Beglückung, die signalisiert hat, du bist jetzt in einer neuen Welt, in einer anderen Welt. Das heißt, da ist eine der Botschaften der Weihnachtsgeschichte, nämlich Neuanfang, Ablegen von alten Strukturen und ein Streben hinauf in höhere, bessere, neuere Welten, das wurde da wirklich anhand einer Kleinigkeit, aber für mich sehr bedeutenden Kleinigkeit, Lebkuchen, realisiert.

Gornik: Sie sind ein Reisender und haben viele literarische Reportagen über alle möglichen Orte dieser Welt geschrieben. Ich weiß, dass Sie in der Weihnachtsgeschichte gerade die Heiligen Drei Könige so sehr mögen, weil die für Sie eine besondere Bedeutung haben. Welche?

Trojanow: Ja, die Heiligen Drei Könige signalisieren für mich das, was mich an der Religion besonders fasziniert, nämlich dass es ein Zusammenfließen von verschiedenen Traditionen darstellt, die immer wieder eine neue Ausformung erlangen. Und die Heiligen Drei Könige sind ja Magier, es heißt im Griechischen schon Margos, was direkt hinweist darauf, dass sie aus Persien kommen. Und in ihrem ganzen Verhalten, zum Beispiel, dass sie sich vor Jesus in die Knie werfen und ihn zum König ausrufen, zeigt sich, dass es tatsächlich zoroastrische Priester wohl waren. Das heißt, es wird signalisiert, das Christentum kommt nicht aus dem Nichts, sondern es hat Bestandteile, es hat, sagen wir mal, Säulen oder es hat Zuflüsse, die aus verschiedenen Traditionen kommen, nämlich der Erlöser, das, was die Theologen für Trilogie nennen, der … (Anm. d. Redaktion: Schwer verständlich im Hörprotokoll), zuerst im Persischen entwickelt, ist eines dieser Elemente, die das Christentum aufgreift und das finde ich sehr versöhnlich. Denn wenn eine Tradition gerade nicht aus dem Nichts entstanden ist, sondern eine organische Entwicklung vorhergehender Tradition war, dann haben wir, glaube ich, ein Stück weit begriffen, dass es nicht die allein selig machende Wahrheit gibt, die wir gepachtet haben, sondern dass wir zulassen, dass es Nebenströme gibt, die wir genauso respektieren.

Gornik: Wie würde der Vielreisende Ilja Trojanow gerne einmal Weihnachten feiern?

Trojanow: Ich würde wirklich gerne wieder den einfachen Lebkuchen wiederfinden. Das heißt, dieses ganze unglaublich überdehnte, auf Geschenke und kulinarischer Ekstase hin fixierte Weihnachten hinter mich lassen. Ich denke mir, wahrscheinlich erlebt man das am ehesten wenn man, sagen wir mal, in den Südsudan geht oder an irgendeinen Ort und Stelle, wo die Menschen bar jeglicher materieller Verwendung wirklich die einfache Freude an dem Fest noch empfinden können.

Gornik: Sie haben in diesem Jahr bei Frederking & Thaler einen großen Bildband herausgebracht zusammen mit Thomas Dorn, dem Fotografen, "Kumbh Mela – Das größte Fest der Welt". Da feiern alle zwölf Jahre Hindus, 30 Millionen Hindus, das größte Fest der Welt. Wäre es eine gute Idee, um die Essenz, die wirkliche Tiefe von Weihnachten wieder zu rekonstruieren und zu betonen, wenn wir Weihnachten auch nur alle zwölf Jahre feierten?

Trojanow: Das wäre eine sehr schöne Idee. Ich glaube, es wäre sehr viel damit gewonnen, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass Feste wie Weihnachten Feste des Ausstiegs sind. Man soll ja aus dem Alltag hinaustreten in eine andere Sphäre. Man soll gerade das nicht tun, was man sonst immer tut. Und das tun wir überhaupt nicht. Wir sind nicht in einer anderen Sphäre, sondern im Gegenteil. Wir steigern nur den Materialismus, den wir sonst leben, zu Weihnachten besonders. Und das ist, glaube ich, die Pervertierung des Weihnachtsgedankens, so wie er heute gelebt wird. Im Gegenteil, man müsste sagen, Weihnachten bedeutet ein völliges Entmaterialisieren und dass wir einen Tag oder zwei Tage wirklich unsere Seele und den zentralen Themen unserer Existenz widmen und alles andere mal sein lassen.

Gornik: Danke schön!